Hard West - Test
The Devil went down to Georgia.
Das ist ohne Frage eines der seltsamsten Spiele der letzten Zeit und nicht unbedingt auf eine „Japan-seltsam"-Art, mehr eine „Warum macht das sonst keiner?"-Art. Wild West ist sicher nicht das spannendste Szenario für die meisten und selbst Klassiker wie Red Dead Redemption halten für diese Leute wenig Reize - gut, dass das Spiel so dermaßen gut ist -, mich eingeschlossen. Ich gucke einen Sergio-Leone-Flick dann und wann so gerne wie jeder andere, aber sonst, bleib' mir einfach weg mit John Wayne und Co. Auf der anderen Seite Deadlands dagegen, das wäre ein ganz anderes Szenario. Deadlands ist ein Pulp-Western-Add-on für das P&P-Rollenspiel Savage Worlds, in dem man westlich des Mississippi auf alles Mögliche stoßen kann. Zombies, Dämonen, Geister und mehr beschäftigen die ehrlichen, gottesfürchtigen Siedler tagein und tagaus. Viel Platz für ein wenig von dieser guten Art von „seltsam" in den vielen Shootouts.
Sollte das kleine Team um Hard West nicht eh schon von Deadlands inspiriert gewesen sein, dann sollten sie es schleunigst spielen, sie werden auf jeden Fall Spaß damit haben und sich freuen, dass sie nicht auf ein Computerspiel warten müssen, das sich des Themas annimmt. Hard West ist Deadlands, das Computerspiel. Und das ist fantastisch, umso mehr, dass es nicht strikt einer einzelnen Figur folgt, sondern sich elegant und in kürzester Zeit ein Set aus Figuren aufbaut, deren Wege sich immer wieder kreuzen, deren Motivationen sich von Szenario zu Szenario dramatisch verändern und über allem ruht ein loser Plot, der es nie zu weit auseinanderlaufen lässt. Das ist Wild West, wie es sein muss. Deals mit dem Teufel, Dämonen, die einen Service-Vertrag mit der Bank haben, und Kometensplitter, die einen Landstrich in ein Irrenhaus verwandeln.
Ich muss auch sagen, dass ich selten so viel Spaß mit den Figuren hatte, egal ob sie gerade gut oder böse waren. In einem Szenario tötete ich jeden. Männer, Frauen, Kinder - letztere wurden natürlich nicht gezeigt, das Spiel ist hart, aber nicht so hart -, ihre Farmtiere, Haustiere, wilde Tiere. Dazu kamen Kannibalismus, Vandalismus und bestimmt noch ein paar mehr -ismen hier und da. Hey, ich wollte meinen Auftraggeber nicht enttäuschen und wenn er der Leibhaftige persönlich ist, dann muss man einfach diese paar Schritte extra tun. Diese Art von Kompromisslosigkeit wird euch innerhalb des Meta-Games geboten, bei dem ihr vergleichbar mit den Blackguards-Spielen auf einer Karte einen Spielmarker umherzieht, jede Menge optionale Orte besucht, eure Figuren ausrüstet und vor allem eine Menge erlebt. Alles, was sich hier zuträgt, wird nur als Text geliefert, was bei einer Indie-Produktion wie dieser zu erwarten ist. Erwartet generell keine technischen Wunder, das ist schon ganz schön 2005, was hier meistens passiert.
Dafür gibt es aber reichlich von diesen Entscheidungen und Konsequenzen, über die immer alle reden. Abgesehen von einer Handvoll für die Handlung wichtigen Figuren kann jeder Begleiter, den ihr hier und da einsammelt, auch sterben. Die Entscheidung, noch tiefer in eine Mine zu wandern, kann eine Belohnung bereithalten oder euch eine gefährliche Verletzung zufügen, an der ihr Werte-seitig noch lang zu knabbern haben werdet. Kauft, gewinnt oder stehlt ihr bestimmte Items, öffnen sich neue Orte. Manchmal passiert das, wenn ihr redet, manchmal, wenn ihr tötet. Das Spiel überrascht häufig genug und obwohl es am Ende immer nur eine Lösung für ein Szenario gibt - optionale Ziele mal außen vor - und ein roter Faden durch Hard West führt, gibt es hier genug, um später noch mal zurückzukehren und anders zu spielen. Ich werde auf jeden Fall noch mal gucken, wie es so kommt, wenn ich nicht The Devil's Bitch spiele, sondern den Bodycount niedrig halte.
Etwa ein Drittel des Spiel werdet ihr in diesem Adventure-Modus verbringen, beim Rest könnt ihr euch aussuchen, ob ihr es mit XCOM, Jagged Alliance oder irgendeinem anderen rundenbasierten Kleingruppen-Taktikspiel vergleichen möchtet. Hard West bedient sich hier und da, mixt es etwas und sein einziges zumindest nicht vorher genau so umgesetztes Element ist der Glückswert. Jede Figur hat neben der Lebensenergie einen Glückwert. Schießt ihr auf einen Gegner, dann wird eine Prozentanzeige eingeblendet, wie wahrscheinlich ein Treffer ist. Bei zum Beispiel einer Chance von 70 Prozent können zwei Dinge passieren. Ihr trefft und der Gegner erhält seinen Schaden, aber er bekommt 30 Glückspunkte dazu (jedoch nie mehr als das Maximum). Verfehlt ihr ihn, kommt er diese Runde davon, aber es werden 70 Glückspunkte abgezogen. Er hatte halt verdammtes Glück und das hält nicht ewig. Sinkt der Glückwert auf 0, steigt die Wahrscheinlichkeit eines Treffers dramatisch. Auf diese Weise ist selbst ein gut gedeckter Charakter nach ein paar danebengegangenen Schüssen in Gefahr, sich eben doch mal eine Kugel einzufangen, was endlose Stellungsgefechte deutlich gefährlicher für beide Seiten macht.
Davon abgesehen wird brav gezogen. Ihr habt zwei Bewegungspunkte, wobei Schießen in der Regel den Zug beendet, sofern ihr nicht eine Waffe habt, die zwei Schüsse pro Runde erlaubt - was ausgerechnet die sonst meist nutzlose Derringer zu einer ziemlich mächtigen Zweitwaffe macht. Spezialfertigkeiten wie besondere Treffer und Schüsse - Treffer mit Folgeschaden, Gegner verwirren, Bande-Schüsse und vieles mehr - sind nur mit einem bestimmten Glückswert möglich. Ihr habt Heilungsgegenstände, Boosts aller Art und überhaupt, was man aus anderen Spielen der Art so kennt. Deckung ist natürlich wichtig und Hard West bietet hier ein solides System aus Deckungszonen, Trefferwahrscheinlichkeiten und Schadensregulierungen, immer je nachdem wie ihr euch aufstellt. Ein paar Objekte wie Kellerklappen lassen sich nutzen, um Deckung zu suchen und es gibt sogar ein paar Stealth-Abschnitte hier und da, in denen ihr Feinde bedrohen könnt, damit sie für ein paar Runden ruhig bleiben, während ihr euer Ding macht. Es ist ein in diesem Aspekt sehr vollständiges, sich keineswegs oberflächlich anfühlendes Spiel, das auch Genre-Pros durchaus ansprechen dürfte.
Teilweise ist es vielleicht sogar ein wenig zu hardcore. Gerade am Anfang, wenn eure Figuren noch frisch sind, haben sie nur eine Handvoll Trefferpunkte. Ein guter Treffer und das war es. Das ist ohne Frage realistisch und es motiviert auch, denn das Gefühl für echte Gefahr ist damit immer gegeben, aber auf der anderen Seite hasse ich es, ein Szenario immer wieder zu spielen, nur weil der letzte Gegner dann doch noch schlicht Glück hatte und ich drei Mal zuvor nicht. Hauptcharakter tot, danke fürs Spielen, bitte noch mal von vorn. Und ja, von vorn. Ihr könnt innerhalb eines Kampfes nicht speichern und laden. Zeitlicht ist das nicht das Problem, ein Kampf dauert nur in den seltensten Fällen länger als eine halbe Stunde. Aber eine halbe Stunde alles noch Mal zu machen, weil der Trefferzufallsgenerator der Meinung war, ich würde mit 70 Prozent Trefferwahrscheinlichkeit drei Mal daneben schießen? Das sind echte Frustmomente. Es macht genug Spaß, sodass man sich halt eben noch mal durchbeißt, es gehört irgendwie zum Genre, aber trotzdem.
Noch dazu fühlt es sich nicht immer fair an. Die KI scheint nicht beim Würfeln zu schummeln, sie schießt bei ähnlichen Trefferchancen genauso gut oder schlecht und die drei Schwierigkeitsgrade - ein Ironman-Modus kann getrennt davon dazu geschaltet werden - werden über die Lebenspunkte justiert. Nein, sie hat eine Möglichkeit, die ihr nicht habt, wobei das Warum dessen unklar bleibt. Sobald ihr auf einen Gegner zulauft, der in seiner Runde Aktionspunkte übrig ließ, wird ein roter Radius um ihn angezeigt. Lauft ihr in diesen Radius und er hat eine Sichtlinie, wird er automatisch schießen und praktisch immer treffen, auf diese kurze Distanz mit voller Wucht. Ihr dagegen könnt keine solche verzögerte Aktion nutzen, was bedeutet, dass ein Gegner mit einer Schrotflinte gerne mal die letzten Meter sprintet, sich vor euch stellt und abdrückt, ohne dass ihr reagieren dürft. Wenn ihr das macht, gibt es eine extrem hohe Chance, dass euch das umbringt. Die KI ist generell eher unteres Mittelmaß, wenn es um Gruppentaktik geht, aber wenn das die Kompensation dafür sein soll, fühlt es sich schon wie Cheaten an.
Auch ist das Spiel keineswegs durch und durch poliert oder frei von Bugs. Oft genug hatte ich das Problem, dass ein gerade gekauftes Item nicht im Menü auffindbar war - darüber, dass das Kauf-Menü umständlich ist, sehen wir mal gnädig hinweg. Nachdem ein paar Items verbraucht waren, tauchten die Sachen wieder auf, es scheint also so zu sein, dass man manchmal einfach nicht weit genug nach unten scrollen kann. Eine Runde musste ich beenden, weil meine Figuren sich nicht mehr bewegen, aber die Gegner sich nicht blicken ließen, um wenigstens so noch das Ganze auf die eine oder andere Art zu beenden. Ich konnte Hard West durchspielen, aber ich will nicht ausschließen, dass da irgendwo auch noch ein paar Quest-Bugs drinstecken. Alles also nicht zu dramatisch, aber ihr seid gewarnt.
Hard West ist inhaltlich das vielleicht spannendste Western-Setting, das ich je in einem Videospiel hatte. Der mal eher komische, mal sehr, sehr, düstere Horror-Touch und die übernatürlichen Elemente bereichern das Szenario ungemein. Vom ersten bis zum letzten Szenario wollt ihr wissen, was mit diesen Figuren passiert, wie es alles endet und ob es doch noch Hoffnung für den Westen gibt. Fantastisch, großes Material, Rockstar, ruft bei denen an, lasst euch für das Szenario eines neuen Red Dead beraten, dass dann hoffentlich mehr wird als nur ein billiges Dead Rising im Westen. Das Spiel selbst geht angesichts der Möglichkeiten, die so ein Team bei einem solchen Titel hat, völlig in Ordnung. Ich fand schon damals, dass Blackguards mit seiner Oberwelt eine spannende Blaupause für kleine Indie-Teams sein könnte, die keine Budgets für 3D-Welten haben. Und Hard West ist der beste Beweis, dass das stimmt.
Ihr habt viel Optionales auf den Karten, das euch Stimmung gibt und Entscheidungen abverlangt, die es dann auch zumindest mit ein paar Konsequenzen aufwerten kann. Auch ein wenig lesen statt nur gucken, aber das ist halt der Preis dafür. Der rundenbasierte Taktikkampf hat mit seinem Glückssystem ein solides Ass im Ärmel, aber der KI unfaire Mittel mitzugeben und das in einem Spiel, in dem eine Kugel wirklich töten kann, hätte nicht sein müssen. Nächstes Mal bitte ein wenig mehr Balance und mehr vom "I" in der KI, dann wird es noch besser. Es ist ein seltsames Spiel, auf das man sich ein wenig einlassen muss, das mit seinem Szenario aber weit mehr Spieler greifen dürfte, als es ein traditionelles John-Wayne-Setting gekonnt hätte. Gebt ihm also eine Chance, auch wenn es nicht nach viel aussieht. Vielleicht nicht das beste Spiel, das ich in den letzten Monaten hatte, aber sicher eines der spannendsten und ungewöhnlichsten, das auch wirklich besagte Chance verdient hat.