Harry Potter und der Halbblutprinz
Henry vs. Harry
Letztens war ich wieder abends mit Henry unterwegs. Es ging zu einer Lesung über revolutionäre Poesie. Henry mag so was ja und der Abend begann gut. Während der Fahrt erzählte er abermals von seiner Zeit mit der Rollins Band. Wie immer begann er zu schwadronieren, dass die Kinder heute ja keine gute, zornige Rock-Musik mehr machen. Das regt Henry immer ziemlich auf. Die Venen seines Stiernackens beginnen dann so komisch zu pulsieren. Das sieht ziemlich gefährlich aus. Ich schwenkte vorsichtig zu der Literatur zurück. Das beruhigte ihn und er erzählte von dieser tollen Mandela-Biographie, die er gerade liest. Ich sagte, dass ich vor kurzem den siebten Band von Harry Potter beendete und es ganz gut fand.
Henry stieg mit beiden Füßen auf die Bremse.
Wir standen mitten im dunkelsten Viertel der Stadt. Eine unangenehme Stille breitete sich zwischen uns aus. Sie wurde nur von dem rhythmischen Rauschen des Blutes in Henrys bedrohlich geschwollenen Halsmuskeln untermalt. Er sagte: „Du hast was gelesen?“ Ich dachte mir, dass er wohl einfach etwas falsch verstanden hatte. Ich antworte unschuldig: „Harry Potter.“. Seine rechte Vene verbündete sich mit 30 Prozent seiner Halsmuskulatur und zusammen traten die beiden mich durch die Autotür auf die Straße. Dort stand ich dann sehr verwirrt herum. Henry brüllte mich an: „Niemand in meinem Auto ließt besch… Kinderbücher! Hau bloß ab, Du…” Den Rest konnte ich wegen des Reifenquietschens nicht mehr verstehen. Henry war weg. Dafür stand neben mir eine etwas mitgenommen aussehende Frau. Von ihr erfuhr ich, dass Henry schon länger ein Problem mit Harry Potter hat.
Ok, ich mag also Harry Potter, auch wenn ich zugebe, dass es ein eher kindliches Vergnügen ist. Aber die Geschichten sind nett, die Charaktere lebendig und man ertappt sich doch dabei sich zu wünschen, dass die echte Welt ein wenig magischer wäre. Und sobald ihr das Spiel zum sechsten Buch beziehungsweise Film einlegt, dann solltet ihr bereits ebenfalls wissen, worum es hier geht. Harry Potter und der Halbblutprinz verzichtet auf jegliche Erklärungen und wirft euch von Minute Eins an ins Geschehen. Kennt ihr Dumbledore, Hermione und Snape, dann ist das völlig ok. Haltet ihr den goldenen Schnatz für etwas, mit dem man an thailändischen Flughäfen besser den Drogenfahndern aus dem Weg geht, werft ihr besser zuerst einen Blick auf diese Seite.
Das sechste Spiel leidet wie auch sein Vorgänger darunter, dass die Vorlage kaum eine zu spielende Geschichte hergibt. Die Potter-Bücher leben in kleinen Einzelereignissen, die sich nur schwer zu einer kohärenten, in einem Spiel interessanten Storyline verbinden ließen und auch der Halbblutprinz hat seine liebe Mühe, wenigstens ein paar Schlüsselmomente sinnvoll aneinanderzureihen. Einen Spannungsbogen, den findet ihr nicht. Schnell und abgehackt werden euch Brocken eher vagen Bezugs hingeworfen, die der hohen Qualität des Originals kaum gerecht werden.
Trotzdem hilft es der von vornherein schwierigen Umsetzung des Materials nicht, dass man sich bei einem Spiel für ein halbes Dutzend Systeme auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigte. Keine Frage, es läuft flüssig, aber alles andere wäre auch ein Fehdehandschuh in das Gesicht der 360. Texturen und Objekte erinnern spätestens bei näherer Betrachtung an hochgezüchtete PS2-Vertreter und so hübsch einige der Hogwarts-Örtlichkeiten trotz des beschränkten Mitteleinsatzes aussehen, an jeder Stelle ist es deutlich, dass sich seit dem Orden des Phönix aus der ersten Spielgeneration der Konsole nichts getan hat.
Dabei hätten vor allem die Helden und Bösewichter eine Grundüberholung dringend nötig gehabt. Ginny wirkt wie irgendetwas zwischen niederträchtig und debil, Ron scheint eine misslungene Schönheitsoperation zu viel hinter sich zu haben und Dumbledore würde man in der U-Bahn einen Euro zustecken. Es grenzt ans Surreale, wie die Figuren vertraut und doch daneben und mit teilweise erschreckend begrenzten Animationen daherkommen. Das dramatische Finale bricht schließlich endgültig zusammen, als Dumbledore und Snape auf Bauchrednerei umsteigen und die Lippen sich gar nicht mehr bewegen.