Hellgate: London
Dämonisch bis in den letzten Tunnel
Als alter Haudegen der Pen- und Paper–Zeit war meine Phantasie ja immer gefordert. Was ich mir jedoch nie unter einem Rollenspiel vorgestellt habe, sind leere Straßenzüge, links die Ruinen eines Bürohauses, rechts Autowracks, mittendrin: Ich – eine Riesenknarre in der Hand, der Lauf glüht noch rot, Rauch steigt aus der Mündung, während vor mir ein Zeitgenosse solch' atemberaubender und zugleich Gänsehaut erzeugender Schönheit liegt, wie man sie sonst nur aus der Silent Hill-Reihe kennt.
Ja, Hellgate: London ist anders. Es ist sogar so anders, dass man sich nie, aber auch wirklich nie sicher sein kann, was einen hinter der nächsten Ecke erwartet. Schließlich ändert diese gottverdammte Stadt jedes Mal ihre Gestalt, wenn man sie betritt. Was wird es also diesmal sein? Eine Horde halb verrotteter Zombies, die sich Euch mit schlurfenden Schritten nähert oder vielleicht ein Zähne fletschendes Alien, die Krallen ausgefahren, bereit zum Sprung?
Auch wenn die Diablo 2-Veteranen im Flagship-Team (immerhin rund 50% der Truppe) dafür einen Dämon nach mir benennen werden - um einen Vergleich mit dem Urvater des „Prinzip Zufall“ komme ich einfach nicht herum. Wie schon damals setzen die Entwickler auf diese einfache, aber geniale Methode, die Spannung und den Wiederspielwert hoch zu halten. Mehr noch – sie wird perfektioniert!
Konnte man damals noch 100% darauf vertrauen, dass Gegner A an Punkt B zu finden ist und höchstwahrscheinlich einen Gegenstand der Kategorie C fallen lässt, so werden diesmal selbst Komplettlösungen so zuverlässig wie ein Fahrplan der deutschen Bahn. Wann werde ich wo, von wem, welchen Auftrag erhalten? Wie komme ich dorthin – und ja, werde ich dort überhaupt sicher ankommen? Welche Monster stellen sich mir in den Weg? In Hellgate: London liegt das alles in der Hand von Rainer Zufall.
Da durchstreife ich mit der Londoner Subway das wohl größte Dungeon der Welt, als sich plötzlich mein PDA meldet (Apokalypse hin oder her, wir haben das Jahr 2036!). Ein Auftrag! Also noch einmal schnell in einer der U-Bahn-Stationen vorbeigeschaut. Seitdem die Dämonen die Welt dort oben überrannt haben, sind die düsteren Schächte die letzten Bastionen der Menschheit und übernehmen die Rolle der klassischen RPG-Dörfer und -Städte. Doch auch hier ist auf nichts und niemanden Verlass – nicht selten muss ich diesen beschwerlichen Weg umsonst auf mich nehmen, denn die Händler stehen keineswegs wie angenagelt auf der Stelle.
Beeindruckend ist dabei auch die Genauigkeit der eigens dafür entwickelten Engine. Sie arbeitet so präzise, dass Übergänge zwischen diesen Puzzle-Stücken quasi nicht spürbar sind und sich die einzelnen Aufträge und Gebiete nahtlos aneinander fügen. So unvorhersehbar und flexibel die einzelnen Quests dabei sein mögen, so grundsolide – das Wort linear hat so einen faden Beigeschmack – ist hingegen die eigentliche Storyline. Diese besteht im Prinzip aus verschiedenen Fixpunkten, Bausteinchen, die erst durch den Mörtel (Aufträge und Kämpfe) aneinander gekittet werden. Kurzum: Das Ziel ist zwar stets dasselbe, der Weg dorthin ist jedoch immer verschieden.
Allerdings stehen einem nicht alle Aufträge offen. Ein guter Teil der Quests sind an die eigene Klasse gebunden. Will man das Spiel also im vollen Umfang genießen, jedes verfügbare Quest abschließen, alles über die Hintergrundgeschichte und die NPCs erfahren, muss man sich erst einmal den Respekt und das Vertrauen aller drei Fraktionen verdienen – oder würdet Ihr jeder daher gelaufenen Kampfmaschine Euer Herz ausschütten? Ihr ahnt es also – einmal mehr heißt es Botengänge und „Töte Person XY“-Aufträge erfüllen, um den eigenen Ruf aufzupolieren.
Moment! Drei Fraktionen? Also nur drei Klassen? Ja und nein! Bei der Erstellung des Alter-Egos stehen einem neben der Wahl der üblichen Attribute – Geschlecht, Größe, Gewicht, Frisur … -, lediglich die Klassen Tempelritter, Kabalist und Jäger zur Verfügung. Durch das gezielte Verteilen von 30 Fertigkeitswerten und Fähigkeiten lässt sich jede Klasse wiederum in drei weitere Unterklassen unterteilen. Nachdem ich die drei nun schon genannt habe, kann ich sie ja gleich der Reihe nach vorstellen. „Templer – Leser; Leser – Templer.“ Der gute Mann / die Gute Frau ist der Allrounder unter den Charakteren, der neben soliden magischen Fähigkeiten auch einen kräftigen Schwertarm besitzt. Ihn könnt Ihr also zu einem Experten des Nahkampfs ausbilden oder die Höllenbrut mit Hilfe seiner Auras und Verstärkungszauber durch die Downing Street prügeln. Erinnert irgendwie an die typischen Paladine aus World of Warcraft, oder?.