Alt+F40: Kojima macht sich Sorgen um Spielekonservierung – warum überlassen wir sie eigentlich den Piraten?
Folge 53: ... und Cult of the Lamb beweist, dass die kleinen Dinge den Unterschied machen.
Ihr müsst die nächsten beiden Wochen stark sein, denn ich bin im Urlaub. Oder wie nennt man das, wenn man zwei kleine Kinder, die aktuell ziemlich auf Krawall gebürstet sind (sag mir, dass du zwei Jahre alt bist, ohne mir zu sagen, dass du zwei Jahre alt bist, du klebriges kleines Wutmonster!), plötzlich in Vollzeit bespaßen muss? Ist ja auch egal. Mit ein bisschen Glück reicht das Wetter doch für Campen und Strand und der Tapetenwechsel ist gerade auch dringend nötig. Mehr dazu unten.
Auf jeden Fall euch ein paar schöne Tage und wir lesen uns am 8. August wieder!
Inhalt
- Letzte Ausgabe verpasst? Hier lest ihr Folge 52 von Alt+F40: Das virale zweite Leben von Hypercharge - und Card Shark beweist, dass Tutorials auch als Spielinhalt taugen
Wer rettet die Spiele (featuring Hideo Kojima)?
In Zeiten, in denen jedes halbwegs bemerkenswerte Videospiel mindestens ein Remaster erhält, in einer Kollektion neu aufgelegt wird, Abo-Dienste Zugang zur Retroperlen versprechen und verschollene Titel wie Live a Live mit viel Liebe wieder an die Oberfläche gespült werden, könnte man sich beinahe in Sicherheit wähnen. Aktuell sieht es so aus, als würde sich die Branche der Wichtigkeit bewusst, die Werke ihrer Vergangenheit zu bewahren. Und dann liest man Meldungen wie die, dass Service Games wie Spellbreak die Server abgestellt werden und man Assassin's Creed Liberation HD bald einfach nicht mehr kaufen können wird, und weiß: Ganz so einfach ist es nicht.
Wir hätten dann zum Beispiel von möglicher Werksverfälschung während des Remake-Vorgangs noch gar nicht gesprochen. Demon’s Souls auf PS5 und Shadow of the Colossus auf PS4 sind auf subtile Weise nicht mehr dieselben Spiele, die sie mal waren. Und wenn man ehrlich ist, sind auch diese Neuauflagen nur eine Vertagung der irgendwann eben doch kommenden Inkompatibilität mit nachfolgenden Geräten und Interfaces.
Kurzum: Wir sind zwar etwas besser dran als noch vor ein paar Jahren, das Bewusstsein für die Historie ist heute ein schärferes. Aber von echter Archivierung und maximaler Zugänglichkeit zu allen Beiträgen dieses künstlerischen Mediums sind wir weit entfernt. Wir befinden uns immer noch im Notlösungs-Territorium und ich erwarte nicht, dass das System, in dem wir uns bewegen, eine echte Lösung liefern kann.
Das spürt dieser Tage auch Hideo Kojima offenbar ein wenig drückend. Der Meister tweetete, dass er immer gehofft habe, Spiele zu erschaffen, die "50 Jahre unterstützt werden, genau wie Filmklassiker", anders als Filme seien Software, Hardware und Geschmäcker aber einer kurzen Laufzeit unterworfen. "Auch wenn die Bilder und Objekte überdauern, man kann sie nicht mehr spielen. Trotzdem überleben sie als Mem."
Neben ein paar technischen Realitäten steht vor allem eine andere Sache der dauerhaften Konservierung all dieser Werke im Wege: das liebe Geld. Videospiele werden, ebenso wie Filme, von den Verantwortlichen noch immer in erster Linie als Konsumprodukt betrachtet. Anders sind sie so, wie die Dinge aktuell laufen, wohl auch nicht zu realisieren, denn sie sind mit großem Aufwand verbunden. Und doch würde ich mir wünschen, all diese Firmen (ich muss ja keine Namen nennen), würden ab einem gewissen Punkt beginnen, dem Reiz zu widerstehen, mir Spiele wie Super Mario World (ups!) zum 14. Mal zu verkaufen, und sie für alle frei verfügbar zu machen. Gerne in Zusammenarbeit mit Kulturbehörden, die – ohne Profitmotiv – eine smarte Streaming- oder Emulationslösung bereitstellen könnten.
Aktuell überlassen Spielefirmen den Piraten dieses empfindliche Feld (für die man bei einer neuen Gemeingut-Urheberrechtslage für etwaige alte Spiele ein neues Wort finden müsste). Ich kann mir nicht vorstellen, dass man diesen Teil seiner Historie gerne in die halbseidenen Ecken des Internets verbannt sieht. Und noch weniger vermag ich, mir auszumalen, dass man Fans, die nichts weiter wollen, als gezielt und komfortabel noch einmal in ein nicht ohne Weiteres zugängliches Stück Spielegeschichte einzutauchen, kriminalisieren möchte. Denn es sind dieselben Leute, die den Mythos dieser Unternehmen, mit ihren Gänsehaut-Jingles und Freudentränen-Splash-Screens, am Leben halten.
Klar, wir machen uns alle aus gutem Grund gerade viele Gedanken über die Zukunft. Immer öfter habe ich aber das Gefühl, die Vergangenheit kommt entschieden zu kurz. Es wundert nicht, in einem Medium, das so schnelllebig ist, wie dieses. Aber ich wünschte mir schon, wir hätten mittlerweile zumindest eine Idee davon, wie wir in 50 Jahren so mit Kunst auf obsoleten Medien interagieren, dass jeder daran teilhaben und ihren Beitrag im Herzen in die Zukunft tragen kann. Gelingt uns das nicht, werden Games in der Breitenwahrnehmung wohl immer ein Spielzeug bleiben.
Das Wichtigste der Woche, KW 29/2022, Alex Edition
In der Rotation: In with the Devil bekommt so langsam die Kurve. Ich mag das Katz-und-Maus-Spiel und das Rätselraten, ob Larry Hall wirklich verantwortlich ist für die Frauenmorde. In jedem Fall eine spannende, stimmungsvolle Serie und wohl das letzte Mal, dass ich Ray Liotta in einer neuen Rolle sehen werde. Barry Staffel 2 ging stark, aber mit gemeinem Cliffhanger zu Ende. Ms. Marvel endete gehetzt, aber unterhaltsam. Am Wochenende hätte ich nicht übel Lust The Gray Man von den Russo-Brüdern auf Netflix zu schauen. Hat sich den schon jemand gegeben? Spielerisch ist gerade viel God of War 2018 angesagt.
Musiktipp der Woche: The Prodigy – Voodoo People. Diese Woche hatte ich mal wieder Lust auf "auf die Schnauze" und bin bei alten The Prodigy gelandet. Ich hatte ja keine Ahnung, dass das Erkennungsriff von Voodoo People aus Nirvanas ‘Very Ape’ gesampled ist. Man lernt nie aus – und oft genug steht einem dabei der Hals weit offen. Mind Blown. Egal: unfassbar treibender Track, der Ende der Neunziger selbst die härtesten Rocker in der Disko auf die Tanzfläche fegte. Natürlich bin ich irgendwann auch bei Firestarter gelandet, das mich traurig machte, jetzt nicht mal eben einfach Wipeout 2097 spielen zu können, womit wir wieder beim Thema Konservierung und Urheberrecht wären...
Höhepunkt der Woche: Diese Woche konnte ich ein wenig tiefer in die Preview-Version von Cult of the Lamb einsteigen und als alter Atheist holen mich Themen religiöser Verblendung natürlich bestens ab. Vor allem aber besticht am Spiel von Massive Monster aber, wie gut die Entwickler verinnerlicht haben, dass es oft die kleinen Dinge sind, die ein passables von einem ausgezeichneten Spiel unterscheiden. Ein historisches Beispiel wäre wohl das, was ich und ein paar Freunde damals den "Mariokreis" nannten. Hüpfer, auch in 3D, gab in dieser Ära viele. Aber nur in Super Mario 64 fühlte es sich so irre gut und intuitiv an, mit der Spielfigur im Kreis zu laufen. In Cult of the Lamb ist es der Schwung, in dem das vom Spieler kontrollierte Lamm seine Waffe schwingt, wie bei Treffern der Bildschirm wackelt und der mitreißende Verve, mit dem er seine Ausweichrolle hinlegt.
Es ist ein schön anschauliches Beispiel dafür, dass Videospiele nicht einfach nur bedeuten, dass dieses oder jenes passiert, wenn man einen bestimmten Knopf drückt. Nicht das "Was" ist wichtig, sondern das "Wie", will man den User das Spiel auch fühlen lassen. Damals scheiterten von Croc bis Gex fast ausnahmslos alle am "Mariokreis" – was der englischen Redewendung "running circles around the competition" eine extrem bildliche Bedeutung verleiht. Dass heutzutage kleine Indie-Studios das meistern, was damals nur den größten im Business gelang, feiern wir, denke ich, heutzutage nicht genug.
Mir gefällt er jedenfalls ziemlich gut, dieser flotte Mix aus schnellem, raumbasiertem Roguelite, mit nicht allzu hartem Anforderungsprofil (nicht jedes von dieser Sorte muss eine Lebensaufgabe sein!), und niedlich-morbidem Aufbauspiel. Das Beste: in drei Wochen geht's schon los mit der Vollversion.
Mittelpunkt (?!) der Woche: Es war eine wahnsinnig anstrengende Woche. Nervlich vor allem. Nachdem unser Kleiner letzte Woche flachlag, war diese Woche unser Großer dran und der Bärenanteil der letzten Tage war davon dominiert, für unseren Zweijährigen einen Kinderreisepass zu bekommen, damit wir nächste Woche nach Dänemark an die See fahren können. Das ist normalerweise ein Akt von einer halben Stunde. Leider hatten wir uns keine Vorstellung davon gemacht, wie am Ende die Bremer Behörden seit Corona (und jetzt dem Ukraine-Krieg) sind. Seit C19 nur noch mit Termin, und die gibt es erst wieder ab Mitte Oktober, mit dem Verweis, dass täglich neue freigeschaltet werden.
Also jeden Morgen um 8:30 das Gleiche: Meine Frau und ich jeweils am eigenen Rechner vor der Webseite der Terminvergabe, fleißig am Strg+F5 drücken. Ich malte mir einen klaren Wettbewerbsvorteil aus. Mit 165Hz Monitor, 11ms Ping, Razer Viper Ultimate Maus mit 18.000dpi, Google-Autofill und passablen Gamer-Reflexen sollten mir die drei Klicks, die es braucht, schnell genug gelingen. Und scheiterte in etwa 26 Mal, einen plötzlich aufgetauchten Termin zu reservieren, versuchte es aber über den Tag verteilt immer wieder. Ich könnte schwören, manchmal kam die Fehlermeldung schon, bevor ich "Abschicken" geklickt hatte. Mit Anlauf auf die Abfahrt war die Laune war entsprechend mäßig und angespannt. Nach dem siebten Service-Center-Anruf am fünften Tag haben wir heute tatsächlich doch noch einen Termin für den späten Nachmittag bekommen.
Sicher, wir sind selbst schuld und andere Leute haben drängendere und schwerwiegende Probleme, aber ich hasste sie diese Woche doch mit all der privilegierten Weißglut, die jemand aufbringen kann, der seinen Lebensunterhalt mit dem Zocken von Computerspielen verbringt. Und das ist eine ganze Menge. Nun gut. Jetzt hat’s geklappt. Mal schauen, was jetzt noch dazwischenkommt.
Tiefpunkt der Woche: Mir ist eingefallen, dass ich letztens doch mit einem Kumpel ein cooles neues Batman-Spiel gezockt hatte, einen Brawler, Zeichentrick-Optik, von WayForward. Der war richtig gut. Dann habe ich herausgefunden, dass "letztens" 12 Jahre her ist, was selbst für mich ein Rekord gewesen sein müsste. Ich strecke "letztens" gerne mal ein paar Monate, ein Jahr in Einzelfällen. Aber Batman The Brave and the Bold hatte ich tatsächlich zuletzt auf der Wii gespielt. Selten habe ich mich nach dem Googeln einer Sache älter gefühlt als diesen Mittwoch.