Homefront: The Revolution - Ein Land und eine Serie ziehen sich am eigenen Schopfe aus dem Sumpf
Na gut, ein wenig Hilfe von all der Crysis-Erfahrung braucht es schon.
Bei der Frage, ob man denn nicht mal für eine Sekunde beim Antreten des Erbes dachte: "Nun, die Prämisse der gefallenen USA ist ja ganz nett. Aber überrannt von Nordkorea? Ernsthaft? Das ist doch ganz schön dämlich", zuckte man bei Crytek nicht mal. Das wird wohl so schnell nicht vorkommen, aber nun ja, das ist es jetzt halt. Der erste Teil hatte allerdings noch ein paar ganz andere Probleme als nun eine etwas bescheuerte inhaltliche Ausgangslage. Aber jauchzet und frohlocket, denn alles wird jetzt gut. Vielleicht. Wahrscheinlich. Könnte sein. Vor allem aber ganz schön Koop. Gehen wir aber doch mal ein paar Probleme von Homefront durch:
1. Homefront war lächerlich kurz
Wie lang ein Spiel genau sein sollte, ist nicht festgelegt und unmöglich generell zu sagen. Meine eigene Theorie ist: so lang wie nötig. Ich denke jedoch, es gab niemanden, der sagte, dass vier Stunden in Homefront dieses Maß auch nur annähernd und für eine Sekunde erreicht hätte. Vier Stunden waren es gerade einmal, danach blieb noch der Multiplayer-Modus. Es war kaum mehr als ein Auftakt, etwas gekürzt wäre es ein längeres Tutorial gewesen, nach wenigen Stunden blieb man etwas ratlos in der neuen Weltordnung stehen und fragte sich schon, was das jetzt alles so genau sollte.
Es ist komplett unklar, ob Homefront: The Revolution deutlich länger wird. Aber angesichts der Grundprämisse kann man wohl davon ausgehen, dass es länger als vier Stunden dauern sollte, eine Stadt Schritt für Schritt zu befreien, indem man Unterstützer sammelt, Gefangene befreit, Waffen hortet und schließlich den Besatzern in den Hintern tritt. Wer mit wenigen Stunden plant, der braucht nicht den Begriff der "reagierenden Besatzung", der übersetzt bedeutet, dass die feindliche KI auf eure Aktionen hin handelt und entsprechend ihre Stärke verteilt. So sollt ihr gezwungen sein, in Bewegung zu bleiben, die richtigen Gelegenheiten herauszupicken und immer wieder unerwartet zuzuschlagen, bis schließlich ein Teil der Stadt nach dem anderen befreit wurde.
Dass ein neues Philadelphia nicht an einem Tag gebaut werden wird, machen auch die Umwelteffekte klar. Ein vollständiges Tag-und-Nacht-System sowie ein dazugehöriges dynamisches Wetter baut man nicht für einen kurzen Run. Ihr sollt oft genug auch durch die Straßen streifen können, die Lage auskundschaften und nicht nur in Daueraction verfallen. Waffen lassen sich wegstecken, um nicht aufzufallen, das von den Truppen gestohlene Handy muss vorsichtig genutzt werden, um Gegner zu taggen und lohnende Ziele auszumachen. Ihr sollt in die Beklemmung der eroberten Stadt eintauchen können, bevor die Waffen sprechen. Vier Stunden wären etwas knapp für all das. Klingt eher nach 40, aber das werden wir dann sehen.
2. Homefront war extrem geradlinig
Zumindest der Koop-Modus sollte dieses Problem in keiner Weise haben. Was gezeigt wurde, war ein simulierter, präparierter Koop, in dem die Spieler ein paar Gefangene aus einer Wachstation befreien sollten. Bevor das passieren kann, ist ein wenig Vorbereitung nötig. Im Gegensatz zu den heutigen USA bietet eben nicht an jeder Straßenecke ein Waffenladen seine Produkte feil. Also über ein paar kurze Umwege ein Waffenlager der Résistance gefunden, dort ein kleines Fernlenkauto eingesammelt und wenig später etwas Sprengstoff. Jetzt weiter zum Außenbereich der Wache. Eine Reihe Soldaten patrouillieren den Bereich. Der Plan sieht vor, dass die kleine, selbstgebaute Lenkbombe zum Tor dahinter fährt, es sprengt, damit die Gefangenen befreit, aber auch die Wachen für ein paar Sekunden ablenkt. Mit der Minibombe einfach offen zum Tor fahren geht nicht, so klein ist sie dann auch nicht, also wird gewartet, bis ein Panzer den Checkpunkt passiert. Schnell rollt das kleine Auto - aus der Ego-Sicht gesteuert - unter den Panzer und fährt ein Stück darunter mit. So versteckt vor den Blicken geht es nah genug an das Tor, alle sind in Position, Zündung und sobald die Wachen den Spielern den Rücken zudrehen, eröffnen diese das Feuer und die Gefangenen können in der Konfusion flüchten. Ein Rückzugsgefecht der Spieler später kann die Mission als gelungen abgehakt werden.
Das ist eine von einer Reihe Varianten, wie sich das hätte spielen lassen können. Natürlich hätten die Spieler auch sofort schießen können. Ein Sniper hätte ihnen dabei Deckung geben können. Man hätte über den Hintereingang in das Gebäude schleichen können. Es soll eine Sandbox sein, in der die Spieler mit den begrenzten Ressourcen und deutlich unterlegenen Waffen, die ihnen als Widerstandskämpfer zur Verfügung stehen, einen Plan fassen sollen. Bei der Umsetzung will ihnen das Spiel möglichst wenig im Weg stehen. Viel weniger linear kann man einen Koop-Shooter kaum definieren.
Crytek betonte deutlich, dass man Crytek Crysis und Far Cry - genau diese beiden wurden genannt, man weiß, was der kritische Spieler hören möchte - bei Homefront: The Revolution im Hinterkopf hat
Die große Frage ist, ob sich auch der Einzelspielermodus so verhalten möchte. Darüber wurde kein genaues Wort verloren, nur dass es eine eigene Solo-Kampagne geben wird. Ich wäre jedoch sehr überrascht, wenn sich diese komplett von der Sandbox abwenden sollte. Wer erst einmal ein großes Areal wie das hier angestrebte Philadelphia der Hand hat, wird es wahrscheinlich auch nutzen wollen, zumal man deutlich betonte, dass Crytek Crysis und Far Cry - genau diese beiden wurden genannt, man weiß, was der kritische Spieler hören möchte - bei Homefront: The Revolution im Hinterkopf hat. Das kann dann zwar räumlich begrenzte, aber innerhalb der Grenzen eben doch sehr freie Gebiete bedeuten. Das sollte es. Es wäre schade, wenn nicht.
3. Homefront war technisch wenig beeindruckend
Das erste Homefront war für seine Zeit OK. Nichts, wo man groß zweimal hingeguckt hätte. Während gerade andere so extrem kurze Spiele wenigstens mit der Technik punkten wollten, war hier nicht viel zu holen. Um definitiv sagen zu können, dass Crytek mit Homefront: The Revolution seinem üblichen Ruf technischer Perfektion gerecht wird, ist es noch viel zu früh. Gerade in den letzten wenigen Monaten einer Entwicklung passiert unglaublich viel im Bereich der Effekte und Details. Aber dafür, dass man hier letztlich noch Pre-Alpha ist, sah einiges wie die Wassereffekte auf den dreckigen Straßen und in den ausgebombten Slums hervorragend und durchaus der nun aktuellen Generation würdig aus. Die Sichtweite über die Ruinen war beachtlich und schon aus der Ferne einen Plan zu fassen scheitert sicher nicht daran, dass man nah ran muss, um überhaupt was zu sehen. The Revolution wird dunkel, dreckig und kein so grünes Endzeitspektakel wie Crysis 3. Aber daran, dass es das Potenzial hat, uns 2015 zu beeindrucken, habe ich keine Zweifel.
4. Homefront wollte ein Call of Duty sein
Die Absicht des ersten Teils war klar: Schaut her, ich bin zwar nicht lang, aber für vier Stunden gebe ich euch all die geskriptete Action, die euer Gehirn vertragen kann. Nun, das klappte nicht ganz, weit weniger noch als selbst bei den schwächsten Vertretern von Activisions Erfolgsreihe. Die Timing war immer ein wenig neben der Spur, das Tempo schwankte zu sehr zwischen überstürzt und Vollbremse. Vor allem jedoch hatte es auf dem Weg nicht viel an Abwechslung zu bieten. Von Anfang bis Ende war es nicht nur spielerisch, sondern auch visuell sehr einheitlich.
Letzteres Problem könnte Homefront: The Revolution haben, muss es aber nicht. Die gezeigten Ruinen sahen sich alle recht ähnlich, aber viel von Philadelphia war noch nicht zu sehen. Welchen Spielraum ein solch immer noch begrenzter Ort - Call of Duty weiß schon, warum es grundsätzlich global denkt - bieten kann, da bin ich mir nicht sicher, aber ich lasse mich gern positiv überraschen. Ein Problem, das weder Multiplayer-Modus noch Solokampagne haben sollten, sind Spieltempo, Abwechslung und Timing, zumindest direkt am Ansatz des ersten Homefront gemessen. Sicher, vom Einzelspielermodus war nichts zu sehen, aber es ist unwahrscheinlich, dass man all diese sehr freien Sandbox-Mechaniken hat und dann daraus enge Korridore baut. Und in der Buddelkiste bestimmt jeder sein Tempo selbst.
5. Homefronts Handlung war wirklich bekloppt
Man muss manchmal mit einer Fortsetzung das Schlechte mit dem Guten nehmen. Man fragt sich jedoch schon, was das Gute für Crytek gewesen sein könnte. Sicher, der Name ist bekannt, auch wenn nicht nur positive Erinnerungen damit verknüpft sind. Sonst jedoch bauen sie ein komplett neues Spiel. Bis auf die Handlung halt, und - das ist natürlich jedem selbst überlassen - die halte ich für extrem dämlich. Nordkorea hat Superwaffen und erobert die Welt? Es gibt viele gute Gründe, sich Sorgen um diese ganz eigene Diktatur des Wahnsinns in Nordkorea zu machen, von dem Wohlbefinden der dortigen Bevölkerung bis hin zu unkontrollierten Atomwaffenhandel wird da einiges geboten. Aber dass sie in wenigen Jahr(zehnt)en mit überlegener Technik die USA besetzten, das gehört dann doch eher in die Kategorie der Fiction im Science-Fiction. Oder vielmehr der drunken, stupid Fiction.
Nun, manche Dinge im Leben kann man sich nicht aussuchen. Crytek nimmt es, wie es ist, und steckt die Besatzer dann auch gleich in verdächtig nach Crysis aussehende Anzüge, entsprechende Panzer - die man später vielleicht fernsteuern darf - inklusive. Am Himmel kreisen waffenstarrende Super-Luftschiffe und woher das alles kommt... nun, wen kümmert es wirklich? Auf Philadelphia fiel die Wahl nicht ganz willkürlich. Es ist eine der Geburtsstätten des allumfassenden, oft idealisierten, manchmal missbrauchten und manchmal rettenden Freiheitsglaubens der USA. Kein schlechter, wenn auch ein wenig zu offensichtlicher Ort, um die Revolution zu starten. Die Besatzung dauert zum Start des Spiels bereits vier Jahre und die meisten Bewohner haben sich damit abgefunden. Um den Pathos komplett in The Red White and Blue zu tauchen, ist es aber keine Elite-Einheit, kein Retter von außen, sondern ein Jedermann, der die Feuer der Freiheit neu entzündet. Wo der gelernt hat zu schießen wie ein Profi-Söldner? Nun, in Pennsylvania und damit auch Philadelphia ist es legal, ab 18 Jahren Waffen zu besitzen und offen zu tragen. Da wird sich sicher der eine oder andere außerhalb staatlicher Institutionen finden, der damit umgehen kann. Viva La NRA, die Tea Party kann starten, sie hatten doch recht, auch wenn sie in einem Punkt sogar in einem bekloppten, fiktiven Schwachsinns-Setting daneben liegen: Es war nicht der König von England, der da aus dem Westen einmarschierte.
Eine Revolution?
Für die Serie? Auf jeden Fall. Noch gründlicher kann man kaum neu und frisch durchstarten. Statt auf das geradlinige Gerüst des Vorgängers zu setzen, will man sich der Tugenden von Crysis besinnen und entgegen des Besatzer-Settings dem Spieler viele, viele Freiheiten geben. Gerade der gezeigte Koop-Modus verspricht da viel. Wie variantenreich es am Ende wird, ob diese Sandbox den Sprung in Richtung mehr Macht für den Spieler und seine Kreativität bieten kann oder sie am Ende doch nur die Checkpunkte des Bekannten abhakt, das lässt sich aktuell unmöglich sagen. Aber allein das Versprechen, es zu versuchen und damit eben nicht nur billig auf den Namen zu setzen und einen weiteren Titel in der von Call of Duty beherrschten Arena scheitern zu lassen, sondern eine neue Spielweise zu eröffnen, ist absolut löblich. Bis zur Befreiung Philadelphias im Jahre 2015 ist es noch ein weiter Weg, aber die Stimmung ist da und der erste Schritt getan. So starteten schließlich die meisten Revolutionen.