Homefront
Harter Tobak
Euer Kontakt, ein Vorarbeiter, soll euch eigentlich durch die Kontrollen bringen, doch auf der anderen Seite des Tores wartet ein Empfangskomitee. Er hat euch verraten, um seine Familie aus dem Höllenloch zu befreien. Eine nachvollziehbare Motivation, die hier in einer Zeitlupensequenz mündet. Während Connor eine Wache überwältigt, zieht ihr eure Pistole und ballert einen Soldaten nach dem anderen aus seinen Armeestiefeln. Blitzschnell geht es weiter in Deckung, immer mehr Soldaten strömen heran und das Spiel verströmt sofort Call-of-Duty-Feeling. Für meinen Geschmack etwas zu sehr. Immer gleiche Gegner, Schlauchlevel, wenig Taktik und an einer Stelle muss man erst einen Trigger auslösen, um den Angriff der Gegner zu unterbrechen. Das geht auch anders. Besser.
Danach wird es atmosphärisch wieder heftig. Auf der Rückseite des nächsten Gebäudes, kurz nachdem ihr die Peilsender gefunden habt, entdeckt ihr ein gigantisches Massengrab. Dutzende, Hunderte Leichen werden von Baggern übereinandergeschichtet. Connor ist das zu viel. Er dreht durch und ballert wild um sich. Verzweifelt versucht ihr die anstürmenden Soldaten aufzuhalten, werdet mit zwei Geschütztürmen und Scharfschützen konfrontiert. Ein harter Kampf vor einem wirklich brutalen Hintergrund.
Doch irgendwann sind auch diese Angreifer ausgeschaltet. Nur wie sollt ihr aus dem Lager entkommen, während sich Hubschrauber mit Verstärkung nähern? Angewidert steigt Connor in die Grube mit den Leichen und platziert sich zwischen den Opfern. Ihr hinterher. Wirklich harter Tobak, aber in puncto Atmosphäre und Inszenierung erstklassig.
Wow, erst einmal durchatmen. Die Kaos Studios spinnen hier eine wirklich erwachsene Geschichte, die im dritten Abschnitt aber wieder etwas actionlastiger wird. Um an die Tanklaster zu kommen, müsst ihr ein feindliches Lager vor einem ehemaligen Supermarkt ausschalten. Der Widerstand will es dabei den Nordkoreanern mit ihren eigenen Waffen heimzahlen. Während ihr euch auf eine Scharfschützenposition begebt, schießt ein weiteres Mitglied eurer Truppe, Hopper, mit Phosphor-Granaten auf die Feinde. Gleichzeitig explodieren Autobomben und erneut geht es knallhart zur Sache. Ihr werdet von einem Blindgänger erwischt, aus einem Wachturm geschossen und beinahe in Brand gesetzt.
Dann bricht totales Chaos aus: Die Goliath-Drohne unterstützt euch beim Angriff und lässt sich, wie im ersten Level, über ein Laser-Visier steuern. Soldaten versuchen, das dick gepanzerte Fahrzeug mit EMP-Granaten auszuschalten. Mit dem Scharfschützengewehr beseitigt ihr die Bedrohung, erledigt mit dem Raketenwerfer des Goliath einen Hubschrauber, rückt durch den brennenden Supermarkt vor und platziert endlich die Sender. Auch hier Dauer-Action und Call-of-Duty-artige Inszenierung. Für meinen Geschmack etwas zu viel Taktik, aber das Spielgefühl stimmt und die Charaktere sind nicht alle eindimensional. Am Ende gibt es dann noch eine Variante des klassischen Rail-Shooter-Levels. Während ihr mit dem LKW abhaut, gibt euch der Goliath Rückendeckung. Also blitzschnell Hubschrauber, Truppentransporter und Jeeps anvisieren, sonst jagen sie euer ungepanzertes Fahrzeug mit wenigen Treffern in die Luft.
Ja, die Kaos Studios wagen sich bei Homefront mit ihren zum Teil harten Szenen ganz schön weit aus dem Fenster. Massengräber, Folter und brutale Erschießungen sind bei Filmen ein oft verwendetes Stilelement, bei Spielen aber in dieser Form eine absolute Ausnahme. Im Rahmen der Hintergrundgeschichte gehen diese Sequenzen aber für mich in Ordnung. Auf diese Weise wird schnell klar, wieso die Amerikaner so verzweifelt für ihre Freiheit kämpfen. Es entsteht eine dichte, fast düstere Stimmung, die wenig mit dem dumpfen Patriotismus der Call-of-Duty-Reihe zu tun hat. Für mich ist das ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, auch wenn die Basis, ein doch recht konventionell gestrickter Ego-Shooter, nicht gerade die ideale Voraussetzung für eine solch ernste Botschaft ist.
Und auch spielerisch darf man nicht zu viel erwarten. Homefront wird ein guter, vielleicht sogar ein sehr guter Shooter. Doch abseits der dichten Atmosphäre und der ungewöhnlichen Geschichte greift das amerikanische Team bisher für meinen Geschmack etwas zu sehr auf Versatzstücke vergleichbarer Titel zurück. Mal abwarten, was der Rest der Kampagne zu bieten hat. Schlauchlevel und Rail-Shooter-Geballer gab es in den letzten Jahren mehr als genug. Ich will mehr Freiheiten, echte Abwechslung und ein paar frische Ideen. Ist das zu viel verlangt?