Horizon Chase Turbo Test
So wie ihr euch dran erinnert, nicht wie es war.
Da SEGA zwar hochmotiviert scheint immer wieder die gleichen 50 Mega Drive Titel an den Mann zu bringen, in welcher Form es auch nur möglich ist, aber nicht in der Lage ein neues Out Run oder gar Daytona auf die Beine zu stellen, muss anderweitiger Ersatz her. Und den habe ich gefunden. Wobei das wichtigere Namedropping hier sogar Lotus 2 und Top Gear ist, denn so bin ich überhaupt erst auf Horizon Chase Turbo gestoßen. In meinem Bandcamp-Channel poppte plötzlich ein Name auf, der mir bekannt vorkam, aber den ich nicht so richtig einordnen konnte, ihr kennt das: Barry Leitch. Ein Google später und ja, das ist der Mann, der die beiden Soundtracks zu letzteren Spielen schrieb. Die bis heute großartig sind. Das und so ziemlich alles, was bei Gremlin klanglich passierte und hier und da noch was extra. Cool, was macht der Mann denn heute so...?
Wow, das ist das beste Stück Retro-Synth-Amiga-auf-Steroiden, was mir seit sehr langer Zeit untergekommen ist. Es klingt so, wie die besagten Tracks, aber nicht wie sie wirklich waren, sondern wie man sie in Erinnerung behalten hat. Es sind über ein Dutzend Tracks, die einfach feinsten Arcade-Speed versprechen, großartige Melodien, Killer-Hooks, alles dabei. Ehrlich gesagt, nachdem ich das für ein paar Tage in einem realen Auto laufen hatte und klanglich ständig motiviert wurde, Dinge zu tun, die man nicht tun sollte, hatte ich wirklich Sorge, Horizon Chase Turbo zu starten. Dieses Spiel kann diesem Soundtrack nicht gerecht werden. Es müsste Top Gear sein, aber nicht wie es damals war, sondern wie ich es aus langen Nächten vor mehr als 25 Jahren in Erinnerung habe.
Nun, nah dran. Und diesmal nicht im Sinne von "Dessous-Geschäft, bei dem man das Schaufenster vergessen hat", sondern einfach wirklich nur nah dran an einem exzellenten Arcade-Racer, der es schafft dieses Retro-Feeling mit dem nötigen modernen Touch zu verbinden. Aber nah dran ist hier immer noch gut genug, dass es mich wieder bis in die Tiefe Nach wachhielt. Fast wie damals. Was es auch heute zu einem guten Teil dem Soundtrack zu verdanken hat.
Dieser treibt euch durch eine Reihe von Locations, die über die Welt verteilt sind, in jedem davon warten drei Kurse und ein Bonusrennen. So coole Dinge, wie sich aufsplittende Wege gibt es nicht, es sind auch keine Streckenrennen von A nach B, sondern durch die Bank Rundkurse, die ihr ein paar Mal umrundet. Wie es sich gehört, startet ihr auf dem letzten Platz und vor der letzten Ziellinie solltet ihr oben links die Nummer 1 stehen haben, damit es schön viele Punkte gibt und mehr Kurse freigeschaltet werden. Habt ihr auf allen drei Kursen eines Landes den ersten Platz hingelegt, gibt es ein neues Auto. Schafft ihr es, den ersten Platz auf dem Bonus-Kurs zu sichern, werden alle Autos, die ihr habt ein wenig getunt. Habt ihr alle Kurse geschafft, dann werden noch ein paar heftige Herausforderungen freigeschaltet und jetzt kommt das beste: Vier-Spieler-Splitscreen. Mit anderen Worten, es wird alles geboten, was das Genre von ca. 1987 bis etwa 1998 definierte.
Die große Frage ist natürlich, ob das heute noch funktioniert und die Antwort ist einfach: Wenn man es gut macht, dann sind diese einfachen Arcade-Titel nicht im Kern veraltet. Technisch sicher, aber wenn der Kern richtig gefunden und getroffen wurde, dann steht einer Menge etwas schlichterem Spaß nichts im Wege. Das Entscheidende ist natürlich die Steuerung. Wenn diese nicht passt, wenn sie okay ist, aber kein Gefühl hat, dann ist alles andere umsonst. Und glücklicherweise gingen die Brasilianer von Aquiris kein Risiko ein. Ihr habt das fast physisch zupackende Handling dieser alten Spiele, die bei Vollgas in die Kurve gezwungen wurden und euch das in Animation und Verhalten spüren ließen, lange bevor es Rumble für Zuhause gab.
Jede Kurve muss sich am Limit anfühlen, nur dann habt ihr eine Chance und das heißt, dass ihr im richtigen Moment zum Gas auch noch mal die Bremse drückt, aber das Gaspedal bleibt unten. Der zweite Teil der Gleichung ist das Verhalten des Wagens, sobald ihr anderen Fahrzeugen ausweichen müsst. Das ist vielleicht das Schwierigste, war es damals schon und hat viele Möchtegern-Racer in unspielbare Gurken verwandelt. Nicht so Horizon Chase Turbo. Mit einem eleganten Schnippen am Stick zieht ihr leicht über die Spuren und präzise um die lahme Konkurrenz herum. Es fühlt sich alles richtig an und das ist keine kleine Leistung.
Auch wenn die Gegner natürlich langsamer sind als ihr, heißt es nicht, dass das Spiel einfach wäre, ganz im Gegenteil. Wer diese alten Arcade-Racer nicht kennt, wird sich spätestens ab dem dritten Land wundern, was hier los ist. Die Kurven werden fieser und enger, liegen hinter Hügeln und wenn ihr die Strecke nicht kennt, dreht ihr euch durch den Sand. Macht das vier, fünf Mal in einem Rennen und das war es mit Sicherheit, da hilft euch auch die Handvoll Turbos nicht weiter. Im Gegenteil, zündet ihr die falsch, richtet ihr mehr Schaden als alles andere an. Lernt die Kurse, forciert es nicht und findet den Flow. Dann ist es hart aber fair.
Dieser Flow ist schließlich die letzte Disziplin im Genre und er entsteht aus der Summe aller bisherigen Teile. Hier kommt auch die Technik ins Spiel und Horizon Chase Turbo ist schön, aber es ist eine Schönheit, die ganz klar im Auge des Betrachters liegt. Das ist natürlich alles schon ganz schön schlicht. Die Autos gehen noch auf ihre charmante Matchbox-Art, die Hintergründe passen zu dem Früh-90s-Appeal der Musik und des Spielgefühls und es ist alles in sich stimmig. Aber das eben auf eine sehr minimalistische Weise, die auch im Artdesign ruhig etwas ambitionierter hätte sein dürfen. Aber die 60 Frames sind natürlich Ehrensache und mir für meinen Teil reicht es als das, was es ist und vor allem den Effekt der "rollenden" Hügel, das fast ein wenig an das Pixel-Scaling der 80er erinnert - auch wenn es natürlich untexturierte Polygonmodelle sind -, hat es mir angetan.
Und so komme ich dann in den Flow, in dem eingebrannte Streckenkenntnis, treibender Soundtrack, das Auf-und-ab der Hügel und das Schwimmen durch das Gegnerfeld eins wird. Flow erreicht, drei Stunden später und eine gute Zahl an Rennen weiter lockert sich der Griff ums Pad und Zufriedenheit wie nach einem guten Workout stellt sich ein. Habe ich vermisst. Würde ja sagen "warum machen sie sie heute so nicht mehr", aber scheinbar hat genau das jemand ja hiermit getan. Zeit ein paar Bier in den Kühlschrank zu packen, Freunde anzurufen und in ein paar Stunden dann mit dem Splitscreen gute Zeiten aufleben zu lassen. Für ein, zwei Stündchen geht das mit so einem Spiel immer.
Sicher, das Spiel ist nicht ganz so gut wie sein Soundtrack, aber ehrlich gesagt, das war auch kaum möglich. Dreht ihr das im richtigen Leben auf der echten Straße auf, dann besteht die Gefahr, dass ihr anfangt, euch mit Krankenwagen Rennen zu liefern. Forza Horizon 4 kann nur davon träumen, einen solchen Soundtrack zu haben und ich sehe mich jetzt schon schreiben, dass es der König seiner Klasse ist, aber bei der Musik nun mal hinter Horizon Chase Turbo anstehen muss. Dass Horizon Chase beim Rest dann wohl nicht ganz mithalten kann, ist schon okay. Es weiß genau, was es sein möchte, es will euch dieses Lotus-Feeling geben, das auf eine ausreichend moderne Art. Genau das schafft es: Die Vergangenheit so aussehen zu lassen, wie ihr euch an sie erinnert und nicht, wie sie war. Ich habe dieses Genre die letzten Jahre vermisst und zu sehen, dass es dafür einen guten Grund gab, tut irgendwie gut. Und klingt vor allem gut!
Entwickler/Publisher: Aquiris - Erscheint für:PC, PS4 (Xbox One und Switch sollen folgen) - Preis: ca. 20 Euro - Erscheint am: erhältlich - Getestete Version: PS4 - Sprache: Deutsch, Englisch, andere - Mikrotransaktionen: nein
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