Horizon Forbidden West - Test: Lass niemals einen Maschinensaurier nah an dich ran
Horizon Forbidden West überzeugt als gelungene Fortsetzung, die einige Schwächen des Vorgängers aufarbeitet, aber dies leider nicht immer mit Erfolg. Lest über Aloys Triumphe und Niederlagen im Westen.
Alles, was eine Fortsetzung sein soll, wenn sie nichts über den Haufen werfen will. Alles, was technisch zu leisten ist, wenn man eine alte und eine neue Konsole mit dem gleichen Spiel bedienen möchte. Das ist Horizon Forbidden West.
Klingt erst mal nach nicht so viel, aber dann wiederum war der Vorgänger eines der beeindruckendsten Spiele für die PS4 und überzeugte mit einer fantastischen Science-Fiction-Handlung. Diese könnt auch gleich zum echten Problem für Neueinsteiger werden. Da werden nur wenige Gefangene beim Einstieg in eine komplexe Terminologie gemacht und es geht gleich in die Vollen. Gaia, Zero Dawn, zwölf KIs, das verschachtelte Ende der alten Welt, alles wird in relativ ungeordneten Brocken hingeworfen, in der Hoffnung, dass es schon irgendwie Sinn ergeben wird. Der Vorteil dessen ist, dass Kenner des Originals, die die schöne Geschichte nach ein paar Jahren immer noch so halbwegs im Hinterkopf haben, direkt einsteigen. Aloy macht weiter, wo sie aufgehört hat. Die Welt retten. Jeder braucht ein Hobby.
Da der erste Teil mit einem der besten Twists der Spielegeschichte aufwarten konnte, gibt es natürlich eine gewisse Erwartungshaltung in diese Richtung. Wird die Magie zweimal funken? Ohne jeden Spoiler: Ja und nein. Man dachte sich eine nette Wendung der Geschehnisse aus, das große Ganze dieser spannenden Welt wird angemessen weiterverfolgt, aber so wie auch die großen Sci-Fi-Autoren selten bei ihrer Fortsetzung mehr glänzten als im Erstlingswerk, geht es auch Horizon. Das ist schon sehr cool, was hier passiert, stimmig und passt, aber der ganz große Flash bleibt dann doch aus. Trotzdem, stimmig, unterhaltsam, würdig. Und ganz schön zerfasert.
Während ein lineares Last of Us sich mit perfekten Timing seiner Handlung widmen kann, hat Aloy eine ganze Welt, um die sie sich kümmern muss. Und so gibt es immer wieder Momente der Art "Sicher, ich rette gerade die ganze Welt, aber für dein Dorf muss auch mal Zeit sein". Und so rennt ihr zig Nebenquests hinterher, die sehr lose, wenn überhaupt, mit der eigentlichen Geschichte verknüpft sind. Das funktionierte im ersten Teil besser, der sich die Weltrettung bis zum Schluss aufhob. Und der Fokus lag auf Erkundung und dem Gefühl, dass es sich um die Völker dreht, die hier leben. Der Zweite hat hier einen kleinen dramaturgischen Kurzschluss, den man als Spieler einfach ignorieren muss. Das ist auch gar nicht so schlimm. Sieht man einmal davon ab, dass praktisch alle Dialoge ungefähr ein Drittel länger sind als es gut für sie wäre, sind Haupt- wie auch Nebenquests gut geschrieben und ich bin Aloy und ihren Freunden gerne einmal um die Welt gefolgt. Egal, ob wir diese retten wollten oder nur ein kleines Dorf an einem Hang.
Zu retten gibt es auch viel: Die Zahl der nebensächlichen Dinge, die es zu tun gibt, ist brutal: Die Welt ist schon nicht gerade klein - gefühlt und geschätzt knapp das Doppelte des Vorgängers - und von Höhlen, über Rebellenfestungen hin zu den Brutstätten der Maschinen gibt es tausend Dinge zu tun. Man tat auch alles, um diese Aufgaben nicht nach statischen Formeln zu designen, sondern jeder einen eigenen kleinen Twist mit auf den Weg zu geben. Sicher, ihr müsst am Ende fünfmal eine Metallgiraffe erklimmen, um ihren Kopf zu hacken. Aber für jeden dieser fünf Anläufe dachte man sich etwas aus, dass diese Aufgabe einzigartig macht. Sicher. Im Rahmen der Möglichkeiten, aber trotzdem. Dieser Anspruch zeigt sich weitestgehend erfolgreich durch das ganze Spiel und alle Aufgaben und ist definitiv eine der großen Stärken von Horizon Forbidden West.
Die Welt selbst ist natürlich auf den Namen des Spiels geeicht und ihr beginnt eure Reise komplett im Osten und zum Ende hin werdet ihr den Westen erreichen. Lose gesagt, ist es eine wahnsinnig komprimierte Form von allem, was westlich der Rocky Mountains passiert, die Trümmer von Las Vegas inklusive. Die Biome gehen nach wie vor sehr harsch ineinander über und die Grenzen zwischen Wüste und Dschungel sind mitunter sehr knapp gezogen. Aber jedes der Gebiete hat seinen Charme, seine Eigenheiten und natürlich auch seine eigenen Maschinen-Wesen, die sie bevölkern. Ohne Frage, diese sind wieder ein Highlight, noch zahlreicher, noch beeindruckender und mitunter noch weit nerviger.
Womit wir langsam zum eigentlichen Gameplay kommen und da sind die Maschinen natürlich ein wichtiger Teil, weil sie bis auf den gelegentlichen Menschen 90 Prozent der Gegnerschaft stellen. Hier lernte man aus ein paar Fehlern des ersten Horizon und fügte ein paar neue hinzu. Aber so ist das halt, wenn man eine komplexe Formel tweaken muss. Es war im Vorgänger relativ schnell klar, dass Fallen das A und O eines erfolgreichen Kampfes sind, wenn man sich nicht anstrengen will. Wer ein geübter Fallensteller war, der konnte jede Maschine ausschalten, ohne einmal das schützende hohe Gras zu verlassen. Das wurde insoweit eingefangen, dass ihr nicht mehr so viele Fallen verteilen dürft, diese etwas schwerer zu platzieren sind und zumindest die besseren Viecher auch nicht mehr ganz so empfindlich reagieren. Das ist gut, denn eine Wiederholung von "Aloy, die Trapperin" brauchte ich nicht wirklich.
Leider tat man nicht nur herzlich wenig, um den aktiven Nahkampf zu verbessern, man gab sich alle Mühe, um diesen endgültig realistisch zu gestalten. Insoweit, dass es einseitig läuft, wenn eine 70-Kilo-Frau mit einem Stock auf eine zwei Tonnen schwere Maschine einprügelt. Es gibt nach wie vor keine Gegneraufschaltung, die Kamera ist ein rein manuelles Chaos und die Biester sind im Schnitt nicht nur schneller als im ersten Teil, sie haben nun fast alle eine ganze Sammlung an AOE-Effekt-Angriffen mit teilweise absurder Reichweite. Das reduzierte bei mir den Kampf fast immer auf Versteckspielen und Waffen mit großer Reichweite. Das und der Fakt, dass ich für den normalen Schwierigkeitsgrad irgendwann komplett übermächtig in Sachen Level war.
Das Gute wiederum ist - und da treffen sich Zero Dawn und Forbidden West -, dass dieses Nutzen der Weite der Landschaft und die Versteckmöglichkeiten ein sehr reizvollen Stealth-Ansatz ergeben, in dem ihr die Schwachstellen der Biester ausnutzt und sie sehr gezielt zerlegt. Nun, zumindest dann, wenn das Spiel euch lässt. Ein paar Mal zu oft für meinen Geschmack wirft euch eine Mission in eine direkte Konfrontation, die zwar nie wirklich unfair ausfiel, aber aus den genannten Gründen weniger Spaß machte, als es ein Bosskampf tun sollte. Sagen wir mal so, ein Kampfsystem sollte zumindest partiell auch ohne die Zeitlupenfunktion funktionieren.
Wo man es dann etwas zu gut meinte, das ist das Crafting. Beim Inventar und der Handhabung dessen - auch bei den Händlern - machte man praktisch alles richtig, aber was ihr alles sammelt... gute Güte. Minecraft und Valheim zusammen haben nicht so viel Schrott gesammelt, wie ich das in den letzten Tagen tat. Jeder Bogen - und es gibt gefühlt Tausende und sicher an die Hundert - muss in drei bis fünf Stufen ausgebaut werden. Jede Stufe außer der Ersten braucht mindestens ein besonderes Teil, dessen Drop-Wahrscheinlichkeit auch mal nicht garantiert ist und dem man eine halbe Stunde hinterherrennen darf. Bei sechs Element-Effekten sollte man auch am besten sechs Bögen haben, die alle darauf optimiert sind, schließlich haben die Maschinen auch entsprechende Stärken und Schwächen. Da sind wir noch nicht mal bei den Rüstungen. Und ein Teil einfach kaufen? Ist nicht, auch die Händler brauchen Rohstoffe, die Aloy erst mal heranschaffen muss. Das ist kompletter Overkill, in den man sich richtig reinknien kann, wenn man das möchte. Oder man lässt es und nutzt, was man hat. Selbst auf Schwer ging das noch, erst auf dem höchsten Level ist diese etwas nervige Art des Feintunings dann nicht mehr optional.
Optimierungsbedarf gibt es auch beim Inventar, denn 20 (ohne Übertreibung) Items auf "Steuerkreuz unten" zu legen und den Spieler dann mit links und rechts zwischen ihnen durchschalten zu lassen, ist nicht effektiv. Aber zumindest ist es effektiver, als die Spezialfertigkeiten zu nutzen. Denn die lassen sich nur über das verschachtelte Menü zum Steigern der Fertigkeiten auswählen. In sechs Kategorien schaltet ihr die tollsten und situativ sehr nützlichen Sachen frei, nur um zu vergessen, dass dieses Quasi-Ultimates existieren, weil im eigentlichen Spiel ein übersichtliches Menü zum Wechseln vergessen wurde. Horizon Forbidden West hätte sehr oft den Spruch "manchmal ist weniger mehr" beachten sollen und wäre wahrscheinlich immer besser damit gefahren.
Das ist umso ärgerlicher, weil viele dieser Dinge, mit denen ihr zugeschüttet werdet, wirklich gut gemacht sind. Es tat mir immer leid, einen der Spezialangriffe wegzusortieren, wohl wissend, dass ich ihn so schnell nicht wiederfinden werde. Die Unterschiede der Waffengattungen sind ausgezeichnet balanciert, auch, ohne dass es in jeder Gattung noch zig individuelle Waffen gibt. Und trotz alledem, solange ich nicht in einem unfairen Nahkampf feststeckte oder mich durch einen Wust von Crafting kämpfte, nur um mal wenigstens einen guten Bogen zu haben, dann hatte ich die restlichen 80 Prozent der Zeit Spaß. Damit, mich an Maschinen anzuschleichen, ihnen von hohen Bergen aufzulauern und ihnen zu zeigen, welche richtig gute Spezialattacke ich aus einem richtig schlechten Menü herausgefischt habe. Horizon Forbidden West ist eines von diesen Spielen, wo so vieles so gut funktioniert, dass ich mich über das, was eben schiefging, tagelang aufregen könnte.
Dazu gehört auch, dass Horizon noch nicht gelernt hat, dass es nicht okay ist, eine Wand willkürlich als nicht erklimmbar zu erklären. Auch solche Open-World-"Anfängerfehler" gibt es oft genug. Jede Wand sieht gleich aus, aber wenn eine Mission dadurch zu einfach werden würde, ist sie eben nicht erkletterbar. Spielerisch verständlich, aber ein heftiger Bruch der Immersion. Nun, nicht so heftig wie Aloys Gesicht nehme ich an. Dafür wurde nämlich der Begriff Uncanny Valley erfunden. Jedes Standbild sieht perfekt aus, kein Thema. Aber wehe, sie redet oder zeigt Mimik. Dann wird klar, dass hier Schauspielerin und Modell nicht zusammenpassen. Was erstaunlich ist, denn bei jedem NPC ist genau das der Fall. Die sind perfekt, mitunter fast auf Last-of-Us-Niveau. Nur bei Aloy fragt man sich immer, was falsch ist. Man weiß, dass etwas nicht stimmt. Man kann es nicht genau benennen, aber all die Stunden, die man mit ihr verbringt, wird man genau dieses Gefühl nie los. Aloy sieht so nett aus, ich möchte sie daten, aber dann beim Date würde sich mich ständig latent vor ihr fürchten. Und das nicht nur, weil sie tonnenschwere Maschinen mit Pfeil und Bogen zur Strecke bringt...
Was die Welt angeht, merkt man, dass es ein Spiel zwischen zwei Generationen ist, denn wie auch beim letzten Assassin's Creed merkt man ein wenig die Handbremse, die für die PS5 sicher angelegt wurde. Nicht, dass Horizon Forbidden West schlecht aussehen würde, in keiner Weise. Es gibt wunderschöne Landschaftseindrücke, dichte Vegetation - mit der die Kamera immer mal wieder einen Kleinkrieg ausfechten muss -, hier und da mal beeindruckende Gebäude und praktisch immer beeindruckende Maschinen zu bewundern. Der in sich geschlossene, durchdachte und immer wieder mal hinreißende Artstyle von Horizon Forbidden West gefällt, ohne Frage. Aber dann wieder ist es halt nicht der Quantensprung weg von der Vorgängergeneration, sondern mehr der nächste auf Sicht gegangene Schritt. Ein wunderschönes Spiel ist es trotzdem. Nur eben keines, bei dem ich mit offenem Mund vor dem Monitor saß (wie zum Beispiel bei Last of Us 2, Linearität hat seine Reize). Der Fairness halber: Es war an solchen Momenten näher dran als Valhalla und Halo.
Und damit sind wir zurück am Anfang: Horizon Forbidden West ist eine gelungene Fortsetzung. Es probiert, sich zu verbessern, wo es schwächelte. Es riskiert ein wenig was im Zuge dessen und landet nicht immer Volltreffer. Der Nahkampf mit seiner manuellen Kamera weiß immer noch nichts mit sich anzufangen, aber das banale Fallenstellerleben ist vorbei und wurde nun deutlich spannender. Der Overkill an Crafting und Items hätte nicht sein müssen, aber ausgerechnet diesem Aspekt gelingt ein seltener Spagat, dass der Fan sich eingraben darf und auch ein paar Boni findet und der Desinteressierte auch ohne all das gut leben kann. Die Struktur der Menüs ist immer noch nicht ideal, da muss man noch mal ran.
Aber es gibt eben auch viel Gutes. Am meisten möchte ich, glaube ich, die Nebenquests loben. Die müssen zwar mit einem dramaturgischen Grundproblem leben, machen aber wirklich das Beste daraus und versuchen, so individuell zu sein, wie es nur geht. Das allein rechne ich Horizon Forbidden West schon sehr hoch an. Und da auch die restliche Handlung eine gute Brücke zu einer möglichen Fortsetzung baut und gleichzeitig gut für sich dasteht, kann ich ihr nur vorwerfen, dass sie halt nicht ein zweites Mal das Wunder des gelungenen Super-Twists aus dem Ärmel schüttelt.
Sicher, ich kann mich lange über Aloys etwas befremdliche Gesichtsanimationen wundern, möchte manchmal den Controller auf den Screen werfen, weil das sicher effektiver ist als alles, was ich sonst im Nahkampf reißen kann, und ärgere mich über eine coole Fertigkeit, die ein verunglücktes Menü vor mir versteckte. Aber am Ende des Tages habe ich über 40 Stunden im Forbidden West zugebracht und das war weit mehr Zeit, als für den Test nötig gewesen wäre. Das mache ich nicht, um zu ranten, sondern, weil ich die allermeiste Zeit doch Spaß hatte. Ich habe viele gute Erinnerungen an diese Stunden und da ich auch plane, noch ein paar dranzuhängen, macht Horizon wieder mal eine ganze Menge richtig.