Horizon Zero Dawn und die Verkehrung des Bekannten
Drei Stunden überleben in einer Urzeit, die erst noch anbricht.
Endlich bekommen wir etwas Kontext zu diesem Hingucker von einem Spiel. Auf Sonys großem Berliner Horizon-Event vergangenen Donnerstag hatte ich die Möglichkeit, Guerrillas erstes Open-World-Abenteuer für ganze drei Stunden auszuprobieren. Gut die Hälfte verbrachte ich mit der Einführung in die Welt und Charaktere, die dem Spiel auf charmante und nachfühlbare Art gelingt. Wer nicht wissen will, wie und wann es losgeht, sollte vielleicht die nächsten zwei Absätze überspringen, auch wenn ich nur die groben Züge der Ausgangslage umreißen werde. Wir sehen uns dann unten. Okay?
---Letzte Chance!---
Nun denn, ohne viel Genaues zu verraten: Ihr beginnt den Titel in Aloys Kindheit, seht und verspürt die Ausgrenzung, die die "Ausgestoßene" schon als Sechsjährige erfährt, während sie bei dem ebenso unberührbaren Rost aufwächst. Andere Kinder und selbst Erwachsene der Stammesgemeinde machen vor der unscheinbaren Kleinen verängstigt kehrt, was wegen gut geschriebener Dialoge und treffend eingefangener emotionaler Regungen direkt eine Bindung im Spieler erzeugt. Das - oder ihr Außenseiter-Dasein drückt bei mir wegen vergleichbarer Erfahrungswerte nur die richtigen Knöpfe.
Nicht in jeder Szene mag der Ausdruck in den Augen der virtuellen Schauspieler komplett menschlich wirken, ihr Gehabe, ihr Tonfall und ihr Verhalten sind es jedoch allemal. Aloys Gesicht und verzaubert-entgeistertes Flüstern, als sie das erste Mal einen anderen Menschen als Rost erlebt, der ihr mit Zuneigung begegnet - das sind die kleinen, aber feinen Momente, mit denen ein Spiel wie dieses schon früh einen Draht zum Spieler aufbaut. Fast vergisst man, dass man sich während dieser Augenblicke noch knietief im Tutorial befindet. Das gelingt nicht vielen Titeln.
---Ende Ausgangslagen-Spoiler---
Eine der interessantesten Entdeckungen machte ich ebenfalls noch in der Einführung: Das Spiel gibt euch in gewissen Schlüsselszenen, die Lead-Concept-Artist Roland Ijzermans in seiner Präsentation vornweg als "Flashpoints" beschreibt, tatsächlich die Möglichkeit, mittels eines Entscheidungsrades auf Handlungsmomente zu reagieren. Aloy bekommt in einer Szene von einem unfreundlichen Dorfbewohner einen Stein an den Kopf geworfen. Es liegt nun bei euch, wie ihr dieser Art von Ablehnung entgegnet. Das Spiel lässt euch aus drei Optionen wählen, die mit Herz, Hirn und Muskeln per Piktogramm die Marschrichtung kennzeichnen, ein Text darunter verrät genau, welche Aktion darauf folgt. Wählt ihr Herz, lässt sie den Stein fallen, den sie hält. Hirn quittiert die feurige junge Dame mit einem gezielten Projektil auf die Wurfhand des Angreifers. Und Muskeln stellt die Feuer-mit-Feuer-bekämpfen-Lösung dar.
Inwieweit man die Handlung dadurch beeinflussen kann, ist noch nicht raus. Allerdings gefallen mir Spiele sehr, in denen man selbst bestimmt, welchen Charakters die Figur ist, die man steuert. Ist meine Aloy jemand, der Vernunft und Größe zeigt? Ist ihr Stolz zu groß, die Feindseligkeiten länger zu schlucken, und demonstriert deshalb kurz, aber schmerzvoll Überlegenheit? Oder ist ihr Charakter von der lebenslangen Gängelung schon derart deformiert, dass sie langsam droht, selbst zum Soziopathen zu werden. Ohne zu wissen, wie Guerrilla es letztlich handhaben wird, schon wenn es so ist, wie hier beschrieben, ändert das für mich grundlegend, wie ich die Handlung erlebe.
Die Welt ist unterdessen weiterhin ein geradezu verschwenderischer Desktophintergund-Generator. Auf dem Rücken eines Strider durch die Auen, Wälder und Tundren zu galoppieren, vermittelt ein tolles Abenteuerfeeling und verheiratet ausladende Weite auf elegante Art mit Orten hohen Wiedererkennungswerts. Man hat das Gefühl, hier kann man sich auskennen. Die unterschiedlichen Biome helfen natürlich bei der Orientierung und als ich das erste Mal unversehens in eine verfallene Stadt hineinreite, in der man noch Straßen zwischen den Stahlgerippen von Wolkenkratzern erahnen kann, schlägt der Zauber des mysteriösen, längst vergessenen Weltuntergangs voll durch.
Diese Apokalypse ist längst wieder dem Leben gewichen. Auch wenn gefährliche Maschinenwesen an jeder Ecke anzutreffen sind, ist das hier eine schöne, einladende Welt. Drastischer hat sich selten ein Studio kreativ neu verpflanzt. Tatsächlich sieht Ijzermans Horizon als eine Art gestalterischen und tonalen Befreiungsschlag. "Ich glaube, es war ein New-York-Times-Artikel über Killzone 3, in dem der Autor das Spiel als technische Errungenschaft lobte, die Detailversessenheit der Materialien und so weiter", erinnert er sich. "Er fragte sich - sinngemäß - was wäre, wenn unser Team sein Talent und seine Bemühungen auf eine schöne Welt richten würde? Und das ist eine Bemerkungen, die Ausschlag für das Projekt gab, denke ich."
Diese Transformation geschah nicht von heute auf morgen. "Wir wollten nicht, dass dieses Spiel düster und ablehnend wird. Wir wollten die Welt einladend und ihre Erkundung angenehm gestalten. Diese Prämisse versetzte uns auch in einen neuen 'State-of-mind', als wir die Dörfer und Siedlungen entwarfen. Visuell sollten sie den Spieler mit offenen Armen empfangen, anstatt wie in Killzone die Frage aufzuwerfen 'Warum bin ich überhaupt hier?'." Das ist ihnen in jedem Fall gelungen. Selbst auf freier Flur ist man stets neugierig, was einen hinter der nächsten Kuppe erwarten mag.
Dennoch steckt noch viel von der Guerrilla-DNA in Horizon. Der Corruptor-Mech hätte in der Form auch über ein Killzone-Schlachtfeld stapfen können. Wie stehen die Chancen, dass Horizon in der Welt von Killzone angesiedelt ist, tausend Jahre, nachdem die Menschen und die Helghast sich in ihrem ewigen Konflikt beinahe gegenseitig ausgerottet haben? Ijzermans scheint der Gedanke abwegiger als mir, oder ich interpretiere sein ausgedehntes Kichern nicht ganz richtig. Es dauert etwas, bis er entgegnet "Interessante Frage" und dann noch etwas weiterkichert. "Ich glaube, das beantworte ich nicht. Aber ich glaube... man kann sagen, dass es keine Verbindung gibt. Ich lache nur, weil es ja auch die Theorie gibt, dass alle Pixar-Filme im selben Universum spielen. Man muss sich schon ganz schön verbiegen, um das zu sehen. Wenn die Leute das wirklich wollen, dann können sie Horizon im selben Universum wie Killzone verorten, aber sie müssten sich schon anstrengen."
Die Parallelen in einigen Kreaturen-Designs gibt er zu, führt sie aber auf eine einfache Tatsache zurück. "Unsere Designer, die an unseren vorherigen Projekten schon beteiligt waren, haben natürlich eine gestalterische Handschrift. Es ist so sehr Teil unserer DNA, dass man es schon mit einem großen Knüppel herausprügeln müsste", so Ijzermans. "Aber sobald sich mehr von der Story enthüllt, glaube ich, passt das alles wieder - ähm, nicht dass es einen Bezug zu Killzone gibt", lacht er schon wieder, "sondern warum es seinen eigenen Look hat". Und ja, nichts sieht so aus wie das hier.
Inhaltlich ist der Fall etwas anders gelagert, denn den Ablauf kennt man von Spielen, die ein wenig schneller am Markt waren als dieses hier. Die Vergleiche mit Far Cry und den neuen Tomb Raiders kommen nicht von ungefähr. Eine offene Welt mit Herden an "Tieren", die man an bestimmten Stellen immer antrifft, Stealth-Gras zum Verstecken und viele Symbole auf der Karte (die hier nur auf den ersten Blick 2D ist - sehr schick!) sah man ebenso schon mal wie die Funktion, dass das Erklimmen einer bestimmten hohen Struktur Teile der Karte mit Punkten von Interesse füllt. Nur dass es hier eben wandelnde Mecha-Brachiosaurier sind. Aloys Mobilität, optionale Gruften, Crafting von Pfeilen und Munition sowie Komponenten-Upgrades für Waffen und Ausrüstung sind Dinge, die auch Lara kennt. Aber so ist das nun mal, wenn man sehr viel Zeit in ein einziges Spiel hineinsteckt. Ijzermans gibt sich unerschütterlich zuversichtlich, sagt, man vertraue auf die Systeme, die man integriert hat.
Es ist nicht schwer zu sehen, warum, denn tatsächlich ist es ein Traum, Aloy zu steuern, in Sprung- und Bodenschlitterzeitlupe Pfeile zu verschießen und mit einigen der schönsten Sprunganimationen der letzten Jahre durch die Pampa zu watzen, während jeder Grashalm sich freudig aus ihrem Weg zu lehnen scheint. Die Vertrautheit mit den Basissystemen hilft sogar zunächst, sich als geschickte Jägerin Aloy zu fühlen, und gibt Sicherheit im Umgang mit denjenigen Mechaniken, die man eben nicht sofort begreift. Anders als die genannten Konkurrenztitel verlässt sich Aloy im offenen Kampf nämlich nicht auf bloße Feuerkraft, sondern eher auf ihre vielen Möglichkeiten, Auseinandersetzungen indirekt zu ihren Gunsten zu kippen, etwa indem sie Feinden Seilfallen stellt und dergleichen. Das erzeugt einen etwas breiteren Spagat aus Jagen und Gejagtwerden, als ihn Spiele für gewöhnlich hinlegen.
Am Ende bleibt der Eindruck eines fantastisch polierten und - wie Ijzermans schon richtig sagte - einladenden Spiels mit einer spannenden zentralen Figur. Horizon mag spielerisch nicht jede Erwartung trickreich untergraben. Auf thematischer Ebene gelingt es ihm aber sehr wohl: Aloy ist hart im Nehmen und wunderkindartig talentiert. Aber all diese Actionheldinnen-Qualitäten kommen von einem glaubwürdigeren Ort als bei der versammelten Konkurrenz. Und als ich kurz vor Schluss des Demo-Abschnittes in einen versteckten Ort hineinstolpere, über dessen Natur ich nichts verraten will, offenbart sich mir der ganze Zauber einer Welt, die den Tomb-Raider-Gedanken auf den Kopf stellt: Aus einem Altertum heraus, das keines ist, erkundet man Reste einer Zukunft, die mal war. Was für eine faszinierende Verkehrung bekannter Abenteuermotive!
Entwickler/Publisher: Guerrilla Games/Sony - Erscheint für: PlayStation 4 - Geplante Veröffentlichung: 1. März - Angespielt auf Plattform: PS4, PS4 Pro