Skip to main content

Hotel Dusk: Room 215

Der beste Hotelbesuch Eures Lebens.

Ich nenne es den Baphomets-Fluch-Effekt.

Dieses Erlebnis, wenn ein Spiel unsere Ansprüche für alles was danach kommt grundlegend ändert. Wenn ein Spiel so anders, so einzigartig ist, dass wir anschließend nur noch den Kopf schütteln können über das, was wir Tage zuvor noch begeistert gespielt haben. Wenn uns ein Spiel den Atem raubt und von heute auf morgen unsere Erwartungen in ungeahnte Höhen schraubt.

Half-Life war für viele solch ein Titel. Mit seiner Atmosphäre, seiner künstlichen Intelligenz, aber vor allem seinem Leveldesign ließ es fast jeden Shooter vor sich alt aussehen - und viele nach sich. Denn plötzlich reichten durchschlagskräftige Waffen und eine Anhäufung fies aussehender Monster nicht mehr aus. Ohne Spannung und Überraschungseffekte, ohne diese kleinen, gemeinen Schreckmomente wirkte jeder andere Shooter auf einmal bieder, langweilig, gewöhnlich. Half-Life hat nicht nur sein Genre, sondern ebenso seine Spieler auf Jahre beeinflusst.

Das größte Aha-Erlebnis hatte ich aber bei Baphomets Fluch, 1996. Ich war gute Adventures gewohnt, schließlich galten die Jahren zuvor als LucasArts' goldene Ära. Doch was in dem Winter über meinen Bildschirm flimmerte, habe ich bis heute nicht vergessen: Diese einmalige Präsentation, die gleichermaßen lustig wie spannend und dabei auch noch flüssig erzählte Geschichte sowie die nahtlos in die Umgebung eingebundenen Rätsel...

Baphomets Fluch war wie ein Flash für mich, an dem sich jedes Spiel messen lassen musste. Dass ich so etwas noch einmal erleben würde, konnte ich mir nicht vorstellen.

Und dann kam Hotel Dusk.

Persönliches

Herzlich willkommen im Hotel Dusk - und genießen Sie Ihren Aufenthalt!

Hotel Dusk: Room 215, wie es vollständig heißt, ist ebenfalls ein Adventure - oder eine interaktive Story? Ein lebendiger Film noir vielleicht? Es fällt mir schwer, das Spiel zu beschreiben, in simple Worte zu fassen, weil es so grundverschieden ist als alles, was ich zuvor gespielt habe. Es erzählt eine Detektiv-Geschichte, aber auch eine Geschichte über das Leben an sich. Eine Geschichte über Vertrauen und Misstrauen, über Liebe, Freundschaft und Hass, über Ängste und Einsamkeit. Eine Geschichte über Menschen und über Charakter. Eine Geschichte über uns.

Kyle Hyde ist der Schlüssel zu alledem. Ein Ex-Cop, natürlich, äußerlich heruntergekommen, natürlich, in einer Mid-Life-Crisis und mit offenen Rechnungen aus der Vergangenheit. Natürlich. Vor drei Jahren verließ er das New Yorker Police Department, nachdem bei einem Fall gewaltig etwas schief gelaufen ist. Jetzt arbeitet er als Verkäufer an der Westküste, macht manchmal einen auf Privatdetektiv und sucht seinen ehemaligen Partner, der wie vom Erdboden verschluckt ist.

Sein Weg führt Kyle in ein Hotel, das Hotel Dusk. Eine kleine Welt für sich, die zwar schon bessere Zeit erlebt hat, aber dabei etwas Romantisches ausstrahlt, gemütlich und kitschig zugleich wirkt. Fast möchte man es schon als einen eigenen Charakter bezeichnen, ob all seiner kleinen Ecken und Geheimnisse. Da ist zum Beispiel dieser Raum 215, in dem Kyle übernachtet, der sogar einen eigenen Namen trägt: Wish. Weil er angeblich Wünsche erfüllen kann.

Menschliches

Kyle untersucht einen Raum nach Hinweisen.

Hotel Dusk ist jedoch weit davon entfernt, eine Fantasygeschichte zu erzählen, sind es doch die Menschen, die es erst lebendig machen. Über ein Dutzend verschiedenster Charaktere beherbergt das Hotel und jeder besitzt seine kleinen Geheimnisse. Ein Mädchen, das nach seiner Mutter sucht, eine alte Frau, die sich aus irgendeinem Grund nichts sehnlicher wünscht als eine Übernachtung in Wish, ein alter Bekannter von Kyle aus seinen Polizeitagen - und so viele mehr.

Das Besondere an diesen Figuren ist ihre Art, wie sie sich verhalten, wie sie reden, wie sie fühlen. Sie leben. Es gibt nur ganz wenige Spiele, bei denen die Charaktere mehr als nur einem simplen Zweck dienen, den man ihnen häufig geradezu von den Augen ablesen kann. Aber Hotel Dusk geht meilenweit darüber hinaus: Allein an seiner Ausdrucksweise würde man jeden einzelnen Charakter nach ein, zwei Sätzen erkennen, wenn man dabei sein Gesicht nicht sähe. Doch auch, dass sie sich ständig durch das Hotel bewegen und typische, menschliche Macken haben, macht sie soviel glaubwürdiger und lebensechter. Wenn Ihr etwa den Zimmerjungen dabei erwischt, wie er im Wäscheraum Zeitschriften liest, anstatt der strengen Hausherrin zu helfen, dann wirkt das einfach authentisch.

Links die 3D-Welt, rechts die Karte - so wird Hotel Dusk gespielt.

Gleiches gilt für Kyle: Sicher nicht der sympathischste Held der Spielegeschichte, aber dafür dank seiner Ecken umso menschlicher, zumal er auch Fehler machen kann. Zu Beginn beispielsweise, als ihm ein junges, freches Mädchen den Weg ins Obergeschoss blockiert. Sie will partout nicht den Weg frei geben, egal wie sehr Ihr den Freundlichen, den Hilfsbereiten mimt. Aber Ihr könnt sie deswegen durchaus anschnauzen. Übertreibt Ihr es allerdings, stattet Euch kurz darauf der Hotelbesitzer einen Besuch ab und setzt Kyle schlichtweg vor die Tür: Solche Gäste will er hier nicht sehen. Dann heißt es, die Szene noch einmal zu spielen und dieses Mal den Verstand über das Bauchgefühl siegen zu lassen, das dieser kleinen Göre gerne eins reinwürgen würde.

Überhaupt sind es die Dialoge, die das Spiel bestimmen, es vorantreiben. Denn obwohl Ihr eben besagte Fehler machen könnt, nimmt es Euch doch an der Hand und führt Euch zielstrebig durch den Storyplot. Wenn Ihr eine Aufgabe löst, könnt Ihr sicher sein, dass sich gleich irgendwo eine Tür öffnet und jemand Kyle in ein neues Gespräch verwickelt. Dabei schreitet stetig die Zeit voran; neue Wege stehen Euch offen, Konflikte werden gelöst und Kompromisse eingegangen.

Visuelles

Weil Hotel Dusk aber mehr als nur eine fesselnde, interaktive Story ist, trefft Ihr hin und wieder auch auf ganz klassische Rätsel - etwa, wie Ihr ein Schloss öffnen sollt, für das kein Schlüssel existiert. Aber selbst solche simplen und vermeintlich gewöhnlichen Aufgaben seht Ihr dank der Steuerung plötzlich mit ganz anderen Augen. Denn während der Touchstick in anderen Spielen eher als Mausersatz zum Einsatz kommt, verlängert er hier häufig Eure Hand ins Virtuelle: Biegt Ihr einen Draht auseinander, müsst Ihr die Finger fast so bewegen, als würde tatsächlich ein Stück Draht vor Euch auf dem Tisch liegen. Knackt Ihr ein Schloss, fummelt Ihr mit dem Stick herum wie mit einem Dietrich.

Sieht schon auf Screenshots gut aus, in Bewegung aber noch viel besser: Der Grafikstil.

Ebenfalls sehr gut gelöst ist das Erkunden der Spielwelt: Ein Bildschirm stellt eine 3D-Ansicht der Umgebung dar, der Touchscreen zeigt eine Übersichtskarte zeigt, auf der Ihr Kyle in jede beliebige Richtung bewegt. Seht Ihr einen interessanten Gegenstand, richtet Ihr Euren Blick darauf, klickt auf eine kleine Lupe und schon könnt Ihr ihn - jetzt in 3D - genauestens untersuchen.

Das alles wäre schon mehr als genug, um sich in Hotel Dusk zu verlieben. Aber das ist noch nicht alles: Die Präsentation, insbesondere der Grafikstil, ist schlicht und ergreifend ganz große Kunst. Nicht nur der bewusst trist-traurige Look des Hotels, sondern vor allem die überwiegend in Schwarz und Weiß gehaltenen Charaktere - die so aussehen, als wären sie einem Storyboard entsprungen, aber doch perfekt animiert sind. Die mehr Emotionen allein mit ihren Gesichtszügen und kleinen Gesten transportieren, als es andere Spiele mit High-End-Grafik und Sprachausgabe schaffen. Es könnte nicht besser sein.

Ich nenne es den Hotel-Dusk-Effekt.

Dieses Erlebnis, wenn ein Spiel unsere Ansprüche für alles was danach kommt grundlegend ändert. Wenn ein Spiel so anders, so einzigartig ist, dass wir anschließend nur noch den Kopf schütteln können über das, was wir Tage zuvor noch begeistert gespielt haben. Wenn uns ein Spiel den Atem raubt und von heute auf morgen unsere Erwartungen in ungeahnte Höhen schraubt.

Ob es Euch ähnlich ergeht? Wenn Ihr mit Adventures und dem Film noir auch nur ansatzweise etwas anfangen könnt, dann bin ich mir sicher, dass Euch Hotel Dusk vom Hocker reißen wird. Klar, man braucht Geduld, besonders angesichts des mäßigen Spieltempos sowie der manchmal ausufernden Dialoge. Aber sofern Euch das nicht stört, werdet Ihr mit diesem Spiel die vielleicht besten fünfzehn bis zwanzig Stunden auf dem DS verbringen. Freut Euch darauf!

Hotel Dusk: Room 215 ist in Nordamerika bereits für den Nintendo DS erhältlich. Nach Europa kommt das Spiel voraussichtlich im 2. Quartal dieses Jahres.

Schon gelesen?