Ich hasse, dass Enshrouded nun Teil meines Lebens ist. Weil es ganz schön gut ist
Hobby gesucht?
Oh weh. Ich war gerade wirklich nicht auf der Suche nach einem neuen “Hobby-Spiel”. Ich habe DayZ-, Arma- und Rainbow-Six-Semi-Abhängigkeiten hinter mir und gefiel mir zuletzt als Hunt-Showdown-Abstinenzler, war doch plötzlich viel mehr Zeit für andere Dinge. Und jetzt “darf” ich Enshrouded testen und habe wieder ein spielförmiges Problem, dessen fein verästelte Progressionsarme sich nach dem Bisschen Freizeit recken, das mir dieser Job und mein Familienleben mit zwei kleinen Kindern gelassen haben. So ein Mist aber auch, dass Enshrouded schon jetzt, zum heutigen Early-Access-Start so gut ist.
Klar, Keen Games aus Frankfurt wird es freuen, vor allem, weil wir jetzt endlich die Valheim-Vergleiche lassen können. Enshrouded ist jetzt draußen und steht ab sofort für sich. Aber ja: Die Spiele ähneln sich, als abenteuerlustige Fantasy-Crafting-Zeitfresser sprechen sie im Kern dieselbe Zielgruppe an. Enshrouded setzt jedoch im Guten wie im Schlechten weniger auf den Simulationsfaktor des großen Konkurrenten. Weder verfallen eure Bauten mit der Zeit, noch gibt es hier himmelschreiend komische Physik-Unfälle, wenn sich ein fallender Baum mal wieder als tödlichste Entität im kompletten Monsterwald entpuppt.
Enshroudeds handgemachte Welt lädt zum Erkunden ein
Vor allem aber ist die Welt von Enshrouded handgemacht und generiert sich nicht mit jedem neuen Spiel aufs Neue. Keen Games Crafting-Adventure ist damit insgesamt schlicht etwas berechenbarer und bequemer unterwegs. Es schnuppert mit seiner klassischen Quest-Struktur gewissermaßen ein wenig traditionellere Abenteuer-Luft und während das Valheim zweifellos zum wagemutigeren Spiel macht, ist Enshrouded dadurch umso zugänglicher und einladender.
Das meine ich tatsächlich wertfrei. Es ist mehr eine Frage des Vibes, den diese beiden Herangehensweisen erzeugen: Valheim wirkt vom Fleck weg rundheraus feindseliger. Ich hatte dort schon Muffensausen, mich zwanzig Meter in den finsteren Wald zu begeben. In Enshrouded zieht mich die Neugierde auf neue Ressourcen und Zutaten, die mir wiederum neue Crafting-Rezepte schenken, dagegen immer weiter in die Ferne. Ich entdecke Höhlen, die mir plötzlich eine Frage beantworten, die mich seit einem Dutzend Stunden beschäftigt (“wie komme ich an Lehm?”) oder stolpere in Feinde, die ich bisher noch nie gesehen hatte. Urige, wandelnde Pilze, die nicht komplett feindselig scheinen, aber durchaus wehrhaft sind.
Erst, wenn es ins Miasma geht – jenen bläulichen Dunst, der in tieferen Lagen die pittoreske Gebrüder-Grimm-Fantasy-Welt in die Bonbon-Version von The Last of Us verwandelt – wird es etwas verzwickter. Man sieht kaum 50 Meter weit, der Weg nach draußen ist nie offensichtlich und mehr als ein paar Minuten hält man dieser Plage nicht stand. Klar, das ist ein Zeitlimit und der eine oder andere wird darauf allergisch reagieren. Aber zum einen steigert ihr auf diverse Arten im Verlauf eures Spielfortschritts die Zeit, die ihr euch hier aufhalten könnt, zum anderen sind die Folgen für einen Tod nie wirklich verheerend. Zwar lasst ihr viele Gegenstände fallen, die ihr gesammelt habt – vornehmlich Crafting Zutaten, aber das Spiel merkt sich gleich mehrere eurer Leichen und stellt oft genug sicher, dass ihr sie auch erreichen könnt, um sie zu fleddern.
Ein Ausflug ins Miasma ist genau das, was es sein soll: ein spannender Gegenpol zu der ansonsten sehr willkommen heißenden Welt. Erst nach einer ganzen Weile setzt das, was von diesem Unheil noch unangetastet ist, euch härtere Grenzen in Form höherstufiger Gegner. Und selbst dann findet man noch Wege, die Kämpfe zu seinen Gunsten zu drehen, was oft genug auch durch Ausnutzen der zugegebenermaßen bislang eher primitiven KI funktioniert. Das ist nicht elegant, aber manchmal eben doch seltsam befriedigend.
Super ist vor allem, wie vielfältig sich die Welt durch die Kombination einer Fantasy-Welt mit mehreren Biomen und eben dem Miasma, das diese befällt, in alle Dimensionen streckt. Das schließt insbesondere auch die Höhe beziehungsweise Tiefe mit ein, denn wie oft man gewissermaßen eine tiefe Kluft oder beinahe eine “zweite Etage” unterhalb der ohnehin schon ordentlich zerklüfteten normalen Ebene dieser Welt findet, das beeindruckt nicht selten. Wie oft man nur noch mal eben in die nächste Höhle schauen will oder von einer bunten Nutzpflanzen-Blüte, die man bisher nicht kannte, zu nächsten gezogen wird, ist allerhand.
Die Quests in Enshrouded
Aber ihr latscht nicht nur ziellos durch die Wildnis. Enshrouded kann problemlos auch zum konsequent geführten RPG werden. Zu Beginn werdet ihr in alle Himmelsrichtungen geschickt, um ein paar erste Helfer zu befreien. Einen Schmied, eine Jägerin, eine Bäuerin und einen Alchemisten findet ihr wie in gigantischen Ü-Eiern konserviert in monolithischen Türmen. Einfache Schalterrätsel, viel Orientierung und ein bisschen Hüpfen und Klettern – es ist nicht wahnsinnig raffiniert, aber spielt als willkommener Geschicklichkeitstest angenehm. Stellt euch das wie einen einfach gestrickten Zelda-Dungeon vor.
Auch bei diesen Unternehmungen findet man immer mal wieder eine Geheimtür oder einen verschütteten Keller, den man mit der Spitzhacke freilegen kann – eine meiner liebsten Entdeckungen in Enshrouded. Das eigentliche Ziel ist aber, dass ihr danach Personal in eurer Basis stehen habt. Ob nun Schmied, Bäuerin oder Alchemist, alle haben weitere Aufträge parat. Etwa Werkzeug oder Zutaten zu besorgen. Nach deren Erfüllung könnt ihr wieder neue Dinge bauen, kochen oder verbessern. Das ist nicht neu, aber in der Menge hier beinahe teuflisch gut gemacht.
Alsbald ist die Karte voll mit Markierungen, die entweder das Spiel für euch gesetzt hat, oder die ihr euch selbst auf die Karte gepappt habt, um etwa wichtige Rohstoffvorkommen zu markieren oder euch Stellen zum Grind anderer Ressourcen zu merken. Das ist manchmal etwas viel und die Orientierung, welche Markierung nun wozu gehört, ist etwas unübersichtlich. Trotzdem ist man unentwegt unterwegs, auf der Suche nach dem nächsten Abenteuer – oder ehrlicher: der nächsten Möglichkeit, neue Dinge herstellen zu können.
Der Kampf ist nichts für Feingeister
Dazu muss man allerdings sagen, dass der eigentliche Abenteuer- und RPG-Teil eher standardmäßig angelegt ist: Das schadet in dieser Sorte Spiel nicht allzu sehr, zugleich könnte Enshrouded hier von weiterer Feinarbeit an allem, was die Spielfigur an sich betrifft, stark profitieren. Der große Skilltree verästelt sich zum Beispiel in Richtung archetypischer RPG-Rollen, versteckt aber auch essenzielle Sachen, wie den Doppelsprung hinter kostspieligen Upgrades, während Skill-Punkte bislang rar gesät sind.
Auch das Kampfsystem ist bislang wenig dynamisch. Paraden und Ausweichrollen sind zwar möglich, ebenso wie das Betäuben eines Feindes, indem man eine Leiste voll prügelt, um dann eine Super-Attacke auf ihn loszulassen (die sich leider eher nach vorgefertigter Animation anfühlt als nach einem Schlag, den man selbst tätigt). Die Anlagen für ein smartes Kampfsystem sind also da. Jedoch fehlt den Schlägen an sich noch Rhythmus und Kraft, wenn eine Einhändige-Waffe stets die immer gleiche Drei-Schläge-Kombo abspult. Es ist gut genug, aber ginge auch deutlich einnehmender. Doch dafür ist der Early Access ja da.
Die Macht der Blöcke
Aber hey, vom Wichtigsten haben wir noch nicht gesprochen: der ungemein mächtigen Baufunktion. Sie ist ohne Zweifel das Herz von Enshrouded, was sicher daran liegt, dass es eine sehr viel feinere Version des Minecraft-Systems ist und auf würfelförmige Grundheinheiten setzt. Die einzelnen Würfel, die ihr platziert, sind hier aber nicht halb so groß wie man selbst, sondern haben nur etwa eine Seitenlänge von 30 Spiel-Zentimetern. Fertigt an der Werkbank einfach aus dem gewünschten Material die benötigte Menge Blöcke und das Baumenü bastelt dann daraus komplette Gebäudelemente, Wände mit oder ohne Tür beziehungsweise Fenster oder eben Decken und Dachelemente. Jedes einzelne davon besteht aus einer bestimmten Menge Blöcke.
Das Coole daran ist, dass man problemlos auch einzelne Würfel setzen oder entfernen kann. Zu Anfang kommt einem das dezent fummelig vor, weil das Spiel es recht genau nimmt, aber nach etwas Eingrooven, weiß man das System in seiner Struktur zu schätzen. Vor allem, weil man sogar gezielt unterscheiden kann, ob man nur Terrain oder Bauelemente entfernen will. Ich habe viel Zeit in mein Domizil gesteckt – etwas weniger in die meiner Begleiter – und habe das nicht bereut. Ein robustes System, mit dem man sich gern auseinandersetzt und seinen Ideen Ausdruck verleiht. Ich freue mich schon auf die ersten unterirdischen Anwesen, die Spieler im Netz präsentieren werden.
Im Gegensatz zum etwas steifen Kampfsystem ist die Baumechanik also schon zum Start ausgezeichnet gelungen und weckt schnell ungeahnte Ambitionen, wenn erst mal vier Wände mit Deckel drauf in der Wildnis stehen. In meinem Fall begann es harmlos: “Wie wäre es mit einem Keller?”. Dann “statt dem Flach- doch lieber ein Spitzdach?”. Zwanzig Minuten später: “Ach, weißt du, wenn ich schon dabei bin, die Wandabstände symmetrischer zu ziehen, kann ich auch gleich eine zweite Etage draufmachen…”. “Oh, Moment, dann lieber das Schlafzimmer unterm Dach statt im Erdgeschoss”. “Warte kurz, die Strohmatratze kann ich eigentlich auch mal aufrüsten. ‘Hartholz’ braucht mein Schreiner dafür? Wo zur Hölle finde ich das denn!? Hab’ da eine Idee, gleich mal losmarschieren…” Man merkt beinahe gar nicht, wie man vom Hundertsten ins Tausendste kommt. Aber euer Familie wird es merken.
Meine Wunschliste für den Early Access
Dass man das alles zusammen mit bis zu fünf Freunden auf demselben Server erleben kann, ist verdammt cool. Zwar profitiert nur der Host von dem Welten- und Story-Fortschritt und den gemeinsamen Bauvorhaben. Aber die Charaktere der Gäste behalten alles, was sie finden und schalten zum Teil schon Crafting-Rezepte in ihrer Welt frei, weil die oft ans bloße Finden von Ressourcen gebunden sind. Es ist ein wirklich cooles Koop-Spiel, ob man nun vornehmlich baut oder questet.
Neben einem etwas schmissigeren Kampfsystem habe ich für den Rest des Early Access vor allem Benutzerführungs- und Handhabungs-Wünsche. Zum Beispiel kann man in Valheim Kisten benennen. In Enshrouded muss man selbst Disziplin walten lassen und sich ein System einfallen lassen, was in welcher Kiste liegt. Angesichts der wechselnden Kistengrößen, die man oft aufgerüstet, und der exponentiell ansteigenden Menge an Gegenständen wird es hier irgendwann recht fummelig.
Die magischen Kisten, aus denen eure Helfer die Ressourcen automatisch für Herstellungsvorhaben entnehmen, gehen schon in die richtige Richtung. Aber weder die Runen, mit denen der Schmied eure Waffen verbessert, noch die Baublöcke fürs Crafting funktionieren mit ihnen. Diese Dinge müsst ihr im Inventar bei euch tragen, wenn ihr sie verwenden (lassen) wollt. Auch wären Sortierhilfen und Mechanismen, gezielt Items in dafür vorgesehene Kisten abzuladen, wünschenswert. Ich hoffe, Keen Games überarbeitet das künftig, damit man nicht zu viel mit Inventarschiebereien beschäftigt ist. Und wenn wir schon dabei sind: Keen Games, es wäre nett, wenn man komplette Gebäude oder einzelne Wände kopieren und / oder versetzen könnte. Danke!
Läuft auch auf einem Spiele-Laptop gut – die Technik von Enshrouded
Optisch dürfte diese Art von Pastell-Fantasy mit leicht knubbeligen Figuren Geschmackssache sein. Es gibt einige Szenen, da sieht Enshrouded auf jeden Fall exzellent aus, vor allem, wenn wenig Licht durch das Miasma fällt oder volumetrischer Nebel mit Gewalt das grelle Sonnenlicht davon abhalten will, in eine Höhle hineinzuscheinen, durch die man sich gerade rätselt. Das Spiel läuft auf meinem Gaming-Laptop mit Geforce RTX 3060 in 1440p und mittleren Einstellungen nicht ganz mit 60fps und bricht unter der Last der Dämmerungs-Lichteffekte schon mal ordentlich ein. Da ist Raum für Optimierung, sicherlich auch auf meiner Seite, denn das Einstellungsmenü gibt noch einiges her. Aber dann wiederum ist mein Laptop auch alles andere als ein Gaming-Biest und es spielte sich bisher überwiegend gut. Wird dennoch Zeit, dass mein “großer” PC wieder einsatzbereit ist…
An Bugs habe ich ein paar Abstürze zu beklagen, wenn ich das Spiel per alt+tab verlasse. Weil das Spiel alle naselang speichert, war das aber nie ein Problem. Auch geht alle paar Stunden mal das Auswahlmenü mit den Bauelementen nicht mehr zu und versperrt mir dann die Sicht auf mein Bauvorhaben. Davon abgesehen kamen mir erfreulich wenige technische Probleme unter. Das hier ist alles andere als ein überstürzter Release.
Enshrouded Early Access Test – Vorläufiges Fazit:
Was soll ich sagen, abseits des originellen und mächtigen Bausystems erfindet Enshrouded das Crafting-Survival-Rad nicht neu. Aber man hat das Gefühl, es hat von seinen Ahnen eine Menge gelernt. Mit seiner klassischen Action-RPG-Struktur hat es zudem eine gute Chance, auch Leute einzufangen, die weniger Lust verspüren, sich ihren Spaß in solchen Welten selbst zu suchen.
Davon abgesehen macht Enshrouded den guten ersten Eindruck eines Early-Access-Titels, den man jetzt schon schmerzfrei unterstützen kann. Ich habe bereits über 35 Stunden gespielt und bin noch lange nicht in der Mitte der sich gefühlt endlos in die Höhe reckenden Karte angekommen. Es gibt so viel zu tun – und ich habe immer noch Lust darauf. Da geht sie hin, meine freie Zeit…
Wertung jetziger Stand: Empfehlenswert
Enshrouded | |
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