Ich hasse Deadpool. Warum liebe ich dann Deadpool & Wolverine?
Eine Zauberkiste von einem Film.
Ganz ohne Spoiler zu Deadpool & Wolverine wird das hier nicht gehen. Die größten Plotmomente und besten Gags behalte ich aber für mich.
Machen wir es kurz: Deadpool ist von allen bekannteren Superhelden der, den ich am wenigsten mag. Tatsächlich hege ich sogar auf konzeptioneller Ebene eine starke Abneigung gegen ihn. Natürlich ist Ryan Reynolds ein cooler Typ, und klar, die Filme sind oft einfallsreich und stellenweise richtig lustig. Aber ich fand den Charakter an sich schon immer reichlich halbstark und war nie ein besonderer Fan von Figuren, die die vierte Wand durchbrechen. Vor allem nicht, wenn der Plot so tut, als stünde wirklich etwas auf dem Spiel.
Wenn mich der “Merc with a mouth” direkt anzwinkert und jegliche dramaturgische Fallhöhe mit einem kessen Spruch abfedert, erinnert mich das nur regelmäßig daran, dass ich einen Film schaue und die wahre Realität neben dem Spektakel liegt. Für mich gibt es fast kein effektiveres Mittel, als Aufregung und Spannung eines Action-Abenteuers zu untergraben und allein deshalb habe ich schon Probleme. Für Deadpool & Wolverine sollte nun noch erschwerend hinzukommen, dass der Film die Todsünde der Leichenfledderei an einem meiner liebsten Marvel-Filme begeht: Logan. Warum ist dann Deadpool & Wolverine jetzt einer meiner liebsten Superheldenfilme der letzten Jahre?
Was ist diesmal anders an Deadpool?
Das hat eine Menge Gründe, zuallererst vermutlich den, dass es mich gleich zu Anfang komplett entwaffnete und meine persönliche Ablehnung gegen eine Rückkehr Hugh Jackmans vollkommen entkräftete… indem es die von mir befürchtete sprichwörtliche Leichenfledderei an Logan ins Buchstäbliche umsetzte. Mithilfe eines Timepads der TVA holt Deadpool das tatsächliche Gerippe des verstorbenen Logan aus der Erde und – als er einsehen muss, dass es den Guten endgültig erwischt hat – bringt mit dessen Adamantium-Knochen eine halbe Armee der Zeitwächter unter die Erde.
Das ist zu gleichen Teilen respektlos der Vorlage gegenüber, wie es nun mal zu Deadpool passt, und stellt trotzdem ein für alle Mal klar: Egal, wie sehr Wolverine auch diesen Film noch tragen wird, der Logan, den wir 2017 haben sterben sehen, ist und bleibt tot. Sein Opfer wird nicht rückgängig gemacht oder abgeschwächt. Was als Gag startet, gibt dem Multiversum ein wenig Schärfe – auch wenn ich nicht komplett sicher bin, wann und in welchem Universum dieser Film überhaupt spielt – und erinnert daran, dass auch die anderen Varianten bekannter Charaktere Wesen mit Gefühlen und Problemen sind, die es wert sein können, gehört zu werden…
Tatsächlich war ich überrascht, wie der Film es trotz der hohen Gag-Dichte trotzdem schaffte, aufrichtig zu wirken. Er packt die treibenden Elemente – Deadpools Universum und damit seine Freunde retten, nachdem es durch das Opfer von Logan kollabiert – stets an einen Ort, an dem die umherfliegenden dreckigen Witze der Heiligkeit seiner Mission nichts anhaben können. Egal, wie albern und chaotisch es wird, daran, dass Wade Wilson nicht egal ist, was mit seiner Welt passiert, besteht nie ein Zweifel. Und jungejunge, wie Jackman dem neuen, von “Survivor’s Guilt” zerfressenen Wolverine noch im Comic-akkuraten Kostüm eine lebensmüde Schwere mit auf den Weg gibt, das ist ohne Abstriche vom gleichen, großen darstellerischen Format wie in James Mangolds Abgesang auf den größten X-Men.
Das schwappt zu guten Teilen auch auf Reynolds’ Deadpool über, ganz egal, wie sehr der sich auch gerade den Mund vom hässlichsten Hund der Welt ausschlecken lässt. Insgesamt ein erstaunlich gefühliger, manchmal sogar überraschend bitterer Film, etwa wenn Logan Deadpool in einem Minivan am Tiefpunkt ihrer Reise gehörig die Leviten liest. Der wilde tonale Mix sollte nicht funktionieren, die quer durch ein Vierteljahrhundert Superheldenfilme marodierende Geschichte am Höhepunkt der Multiversum-Müdigkeit nur noch langweilen. Aber Regie, Buch und Schnitt sind so auf den Punkt, dass sich alles absolut homogen vermischt. Es sind sogar Tanz- und Musiknummern mit großen Pop-Stücken drin, die zehn Jahre nach Guardians of the Galaxy eigentlich verboten gehören. Hier sind sie trotzdem gut.
Alles in allem kommt am Ende ein Film heraus, der so einiges schafft: Das Andenken von Logan zu bewahren, trotz Deadpool-Beteiligung nie zu lächerlich zu wirken und sogar den Spaß in zum Teil zu Recht vergessenen Filmen und Figuren einer bestimmten Ära zu finden. Selbst mit dem Multiversum und dem Void, mit dem die TVA in Loki die Marvel-Zeitlinie von Unerwünschtem säubert, stellten die Autoren Shawn Levy und Ryan Reynolds etwas Interessantes an. Mit Blick auf den auch textuell mit einigem Biss behandelten Wechsel von Fox zu Disney kommt in dieser Lizenz-Schrotthalde so einiges zum Einsatz, dem man eigentlich keine Träne hinterher weint. Trotzdem ist es hier so smart genutzt, dass man sich freut, es wiederzusehen.
Der beste Marvel-Film seit Jahren
Die erste größere Cameo im Film war einer der lustigsten Gags der letzten Jahre und sagt viel darüber aus, wie immens bewusst sich die Macher über den aktuellen Stand des Universums und des Fandoms sind. Mehr mag ich nicht verraten, es ist ein Scherz, den man selbst gesehen haben sollte. In jedem Fall steckt der Streifen so voller abseitiger Ideen und schönen Anspielungen und Versatzstücken, dass er es rechtfertigt, ihn sich wiederholt anzuschauen. Das Bedürfnis hatte ich bei Marvel-Material seit Endgame nicht mehr.
Trotz über zwei Stunden Laufzeit spürte ich keinerlei Längen, obwohl genaugenommen diverse Szenen alles andere als Plot-treibend oder dem Charakterwachstum zuträglich waren. Hier und da wird der Film für einen guten Gag förmlich angehalten. Aber eine Komödie darf das. Die handvoll Witze, die meiner Ansicht nach nicht so gelungen waren (einen speziellen Konflikt zugunsten eines Scherzes zu beenden, wäre zum Beispiel nicht meine Wahl gewesen), kann ich jedenfalls gut verschmerzen. Alles in allem ein toller Film.Es wundert mich nicht, dass er an den Kinokassen Rekorde bricht, so gefällig wie er ist und wie sehr er sich für mehrmalige Besuche förmlich aufdrängt.
Deadpool & Wolverine wird seinem Titel mehr als nur gerecht: Dieses Crossover ist ein echtes Event, Unterhaltungskino der besten Sorte, und erinnert damit an das MCU zu seinen stärksten Zeiten. Wenn ein Deadpool-Film sogar mich überzeugt, müssen wir das Schlimmste hinter uns haben…