Ich hasse dich, Aiden Pearce
Ein Anwärter auf den schlimmsten Protagonisten der Videospielgeschichte.
In einem Spiel brauche ich mehr Zeit, um mich in einen spielbaren Charakter hineinzuversetzen. Ich muss seine Handlungen nachvollziehen, damit beim Spielen keine Dissonanz auftritt. Immerhin soll ich die geforderten Aktionen aktiv ausführen. Zeigt mir Aiden vor dem Tod seiner Nichte. Lasst mich die idyllische Familie aus seiner Perspektive erleben, damit ich selbst motiviert bin, den Täter für all das Unglück zur Strecke zu bringen.
Das beste Beispiel für die positive Umsetzung einer ähnlichen Situation ist Spec Ops: The Line, dessen Hauptcharakter sich ein zentrales Element mit Aiden Pearce teilt: Sie sind schlechte Menschen, die grauenhafte Dinge tun. Nur mit dem Unterschied, dass Spec Ops: The Line durch eine intelligente Struktur für Empathie sorgt. Man vergisst selbst sehr schnell, warum Walker und seine beiden Kameraden eigentlich nach Dubai kamen. Erst nach und nach stellt man sich die Frage, ob die eigenen Aktionen überhaupt noch gerechtfertigt sind. Doch zu diesem Zeitpunkt ist es meist schon zu spät. Man steckt zu sehr im Schlamm und arbeitet sich immer tiefer in den Sumpf hinein. Und im Gegensatz zu Watch Dogs kritisiert Spec Ops: The Line die Handlungen seines Hauptcharakters und zeigt, wie leicht wir uns von Spielen manipulieren lassen.
Auch bei Spec Ops steht ihr gegen Ende des Spiels vor einer Wahl, bestimmte Personen zu erschießen. Ein Hubschrauberabsturz lässt euch zunächst alleine zurück. Kurz darauf findet ihr einen eurer Kumpanen wieder und macht euch auf die Suche nach Lugo, dem dritten Teammitglied und Scharfschützen der Gruppe. Bis ihr ihn schließlich findet, stellt euch Spec Ops vor die mit Abstand härtesten Stellen des gesamten Spiels. Selbst auf dem normalen Schwierigkeitsgrad werdet ihr immer und immer wieder sterben. Nicht nur wegen des größeren Gegneraufkommens, sondern weil euch Lugo fehlt, der zuvor per Anweisung fast jeden Feind problemlos ausschalten konnte. Ihr merkt also nicht nur eine emotionale Verbindung zum Charakter - immerhin ist Lugo so geschrieben, dass er leicht zu mögen ist. Auch spielerisch weist euch Spec Ops auf den Verlust der Figur hin.
Wenn ihr dann schließlich auf Lugo trefft, seid ihr durch den Frust der vorangegangenen Szenen auf 180. Ihr seid genauso genervt wie die Charaktere selbst. Dann findet ihr das Lager und müsst zusehen, wie ein paar Einwohner Lugo erhängen. Zwar versteht ihr unterbewusst, warum die Leute, deren Familien ihr zuvor ermordet habt, Lugo töten wollten. Doch es packt euch in diesem Moment der blinde Zorn. Die Einwohner des kleinen Lagers kommen immer näher auf euch zu und ihr erleidet Schaden. All euer angesammelter Frust baut sich auf und es fällt leicht, das Feuer zu eröffnen. Das Spiel konnte viele Leute so dazu treiben, auf eigentlich unschuldige Zivilisten zu schießen. Dabei hat man die Wahl, einfach in die Luft zu ballern, um die Einwohner zu vertreiben. Nur hat einen das Spiel nie auf diese Alternative hingewiesen, was die Situation noch kraftvoller gestaltet.
Watch Dogs ist so etwas egal. Es will keine kritischen Kommentare abgeben oder euch vor schwere Aufgaben stellen. Es will euch Dinge tun lassen, die es für cool hält und die Aiden Pearce anscheinend zu einem ebenso coolen Helden machen. Ihr sollt Empathie für Aiden und seine Entscheidungen empfinden. Nur gibt euch das Spiel an keiner Stelle auch nur einen Grund dazu. Denn es ist zu sehr damit beschäftigt, euch durch eine actiongeladene Situationen nach der anderen zu peitschen. Zum Leidwesen eines Protagonisten, der mir ein komplettes Spiel ruinierte.