Ich vermisse den Überraschungseffekt in der Spielebranche. Leaks sind mit daran schuld
Aber es ist auch kein herausragendes Jahr.
Denkt einmal darüber nach: Wann wurdet ihr von der Spielebranche zum letzten Mal wirklich überrascht? Ich meine hier wirklich große Dinge, die keiner hat kommen sehen. Spontan fällt mir mit Blick auf die vergangenen Jahre tatsächlich sehr wenig ein, was mich etwas traurig stimmt. Einer der Gründe dafür sind für mich die ganzen Leaks, die in den vergangenen Jahren kontinuierlich zugenommen haben.
Gefühlt kriecht jedes Jahr ein neuer Leaker aus einem Loch, versorgt uns vorab mit geheimen Details über kommender Projekte, Ankündigungen, Shows, Updates und was auch immer. Versteht mich nicht falsch, bei miesen Arbeitsbedingungen, Diskriminierung, Belästigung und ähnlichen Fällen bin ich absolut dafür, dass solche Vorkommnisse ans Licht der Öffentlichkeit gelangen. Aber müssen wir wirklich jedes Spiel schon gefühlt im Detail kennen, bevor es überhaupt angekündigt wurde?
Nehmen wir als Beispiel das Remake von The Last of Us, das zum Ende des Summer Game Fest vorgestellt wurde. Gut, da ist Sony nicht ganz unschuldig, leakte man die finale Bestätigung doch kurzerhand selbst nicht lange vor der Veranstaltung. Passiert Unternehmen hier und da, nobody is perfect. Erste konkrete Remake-Gerüchte von zuverlässigen Quellen gab es allerdings schon Anfang 2021. Die Ankündigung der Neuauflage dieses enorm beliebten Spiels verkommt so mehr zum erwarteten Standardprogramm, statt zum Ausklang noch einen Aha-Effekt zu bieten. Ähnlich lief es beim Remake von Resident Evil 4 bei der State of Play. Im Grunde warteten wir seit Monaten nur darauf, dass Capcom es offiziell macht. Ich hab's beim Angucken zur Kenntnis genommen, fertig.
Zugegeben: Wir befinden uns da in einer zwiespältigen Situation. Auf der einen Seite nervt es vermutlich nicht nur mich aus den genannten Gründen. Auf der anderen Seite können wir es uns nicht leisten, darüber nicht zu berichten. Es sind Dinge, die gelesen werden. Und wenn wir alleine darauf verzichten, diese Sachen zu vermelden, schneiden wir uns nur ins eigene Fleisch, weil die Meldungen dann auf anderen Seiten angeklickt werden und nicht bei uns. So läuft das Internetgeschäft.
Gleichzeitig muss man als weiteren Faktor festhalten, dass 2022 einfach kein herausragendes Jahr ist, bei dem noch mit vielen großen Ankündigungen zu rechnen wäre. Wir wissen im Grunde, was dieses Jahr noch kommt und was nicht. Alles, was jetzt neu angekündigt wird, dürfte wohl noch weiter entfernt sein, von einzelnen Ausnahmen abgesehen. Insofern fand ich Microsofts Ansatz, nur Sachen zu zeigen, die innerhalb der kommenden zwölf Monate kommen, ganz angenehmen. Wo wir gerade beim Xbox-Showcase sind, gilt dort aber das Gleiche. Kojima? Keine riesige Überraschung. Minecraft als Strategiespiel? Hot Wheels-DLC für Forza Horizon 5? Wussten wir vorher.
Letztlich geht durch die ganzen Leaks diese Art von Zauber verloren, den solche Überraschungen und Ankündigungen versprühen können, wenn sie zum richtigen Augenblick kommen. Ankündigungen, die man nicht kommen sieht. Wenn eine Show vielleicht bisher gut war, am Ende aber noch dieser eine, echte Knaller kommt - oh, here's one more thing! Dessen Wirkung jedoch abgeschwächt wird, wenn wir im Vorfeld schon davon wussten und es somit nur noch nickend hinnehmen. In solchen Momenten entsteht eher das Gefühl, seine Zeit beim Livestream eher verschwendet zu haben, denn inoffiziell war ja klar, dass Spiel X und Spiel Y auftauchen.
Es ist ja bei Weitem kein Thema, das nur die Spielebranche betrifft. Leaks gibt es rund um Bücher, Serien, Filme und so weiter. Ich gehe nicht davon aus, dass es in Zukunft weniger wird, eher noch mehr. Echte Überraschungen, etwa das aus dem Nichts kommende Return to Monkey Island, dürften immer seltener werden. Schade, ich vermisse sie.