IL-2 Sturmovik: Birds of Prey
Fliegt gut
Nennt mich einen Heuchler, aber während es mir keine Probleme bereitet, deutsche Bomber im Anflug auf Stalingrad oder Dover im Dutzend vom Himmel zu holen, habe durchaus so meine Schwierigkeiten damit, im April 45 einer Bomberflotte im Anflug auf Berlin Geleitschutz zu geben. Mal ehrlich, zu diesem Zeitpunkt des Krieges gab es nicht mehr allzu viele lohnende Ziele und nur eines davon war richtig Premium. Und von der Luftwaffe war nach der gescheiterten Ardennenoffensive sowieso nicht mehr viel übrig, auch wenn IL-2 Sturmovik: Birds of Prey diesen Punkt etwas gelassener sieht und euch auch über dem Himmel von Berlin noch etwas bieten möchte. Trotzdem, Geleitschutz für Bombardements auf (Rest)Großstädte sind einfach nicht meine Sache, aber lassen wir das.
Es gibt ja während der Kampagne noch anderes zu sehen und bombardieren als Berlin. Deutsche Zerstörer vor Dover beispielsweise, Bomber vor Stalingrad, Ziele an der Ostfront und eben in den Ardennen. Einmal komplett von 1940, als die RAF ihre Finest Hour vor den Kreideklippen feierte bis eben zum unrühmlichen Ende deutscher Weltmachtwahns 1945, zieht sich die aus etwa 30 Missionen zusammengesetzte Kampagne des Kampfes gegen die Luftwaffe. Erzählt wird diese aus der Sicht aller Beteiligten, außer natürlich den Deutschen. Auf eine Achsenmächte-Kampagne verzichtete der russische Entwickler Gaijin Entertainment dankenswerterweise und erspart einem so noch größere Gewissenskonflikte.
Dabei ist die Begegnung mit Birds of Prey für mich ein recht persönliches Wiedersehen, war doch die PC-Version seinerzeit mein erster Testkandidat überhaupt. Dieser Hardcore-Simulation bescheinigte nicht nur ich einen brachialen Umfang und noch mehr Realitätsversessenheit. Umso spannender ist es zu sehen, wie man etwas auf das Pad bringt, was auf dem PC eigentlich ohne anständiges Flugequipment kaum spielbar war. Die kurze Antwort: unheimlich gut. Um zum Start niemanden zu überfordern, wird im Arcade-Modus abgehoben und drei kurze Tutorials wollen absolviert werden, bevor ihr überhaupt etwas machen dürft.
Die Verteilung der Kontrollen löste man geschickt, indem der linke Stick steuert und der rechte nicht nur das Seitenruder, sondern auch die Drehleistung des Motors reguliert. Die Bordgeschütze liegen auf dem Trigger und zahlreiche Ansichten, inklusive Feindsicht, Cockpitperspektive - mit und ohne Cockpit - und Rundumblick sorgen für Übersicht. Gutmütig ist dabei gar kein Ausdruck für das Arcade-Verhalten. Wer hier in einem Spin zu Boden trieselt, sollte dafür ein Achievement bekommen.
Ganz anders sieht es mit dem Simulationsmodus aus. Den dürft ihr erst benutzen, nachdem ihr das entsprechende Tutorial hinter euch brachtet, und das hat auch gute Gründe. Er macht euch schnell deutlich, dass die Flieger damals nicht umsonst Kisten hießen und mitunter ungefähr die gleichen Flugeigenschaften mitbrachten. Stall und Spin sind hier beinahe schlimmere Feinde als die Deutschen und mit sehr feinfühligem Sinn für Realismus lenkt es sich so wirklichkeitsnah, wie es mit einem Daumenstick wird. PC-Hardcore-Simulanten dürfen gerne und nicht ganz zu Unrecht die Nase rümpfen, auf Konsole stellt das Flugverhalten von Il-2 derzeit die Referenz.
Um die feinen Unterschiede der fast 30 Flieger zu erfahren, müsst ihr aber nicht unbedingt den Brutalo-Modus meistern. Auch auf Arcade verhält sich eine Spitfire und eine P-51 so komplett anders, dass ihr bei den feinfühligen Zielanflügen schon genau beachten müsst, mit dem richtigen Gefühl für die spezielle Maschine zu korrigieren. Drehverhalten, Steigraten, alles passt, und ein neues Flugzeug freizuschalten verkommt nicht zum rein optischen Tapetenwechsel.
Und so richtig schön kaputt gehen die Dinger auch. Vom einfachen Flügeldurchschuss bis zum rauchenden Trümmerwrack mit Restflugzeit gibt es viele Abstufungen und als eine der größten Gefahren entpuppen sich frisch abgeschossene Feindtrümmer. Eben hingt ihr noch schön an der Sechs, feuert aus allen Rohren und plötzlich zertrümmert ein halber Bomberflügel euren Jäger. Also schnell wegrollen, ein Gegner in Birds of Prey stellt erst dann keine Gefahr mehr dar, nachdem er sich in den Acker grub.
Die technische Umsetzung lässt dabei das inzwischen deutlich in die Jahre gekommene PC-Original weit hinter sich. Aber nicht nur in diesem Vergleich glänzt Birds of Prey, nach allen Maßstäben wurden die sechs verschiedenen, riesengroßen Areale perfekt umgesetzt. Ob nun ein Überflug über Dover Castle oder ein wenig Sightseeing in den Ardennen, hier passt alles und das auch ohne jede Ruckler und beinahe endloser Fernsicht. Nehmt dazu noch liebvoll designte Flugzeugmodelle und ihr habt ein wirklich überraschend schönes Spiel, das seine Abrundung durch einen gewohnt hochwertigen Jeremy-Soule-Soundtrack erfährt.
Das Grundgerüst der Flugsimulation kann man also nur also perfekt gelungen und rund bezeichnen, etwas, das auf das Design der Missionen nur bedingt zutrifft. Sicher, es gibt nur so viele Dinge, die sich mit einem WWII-Flieger anstellen lassen, aber ein wenig mehr Abwechslung im Ergebnis als nur Angriffe und Bombenruns hätten es schon sein dürfen. Leider bleibt auch das Gefühl eines dynamischen Schlachtfeldes ein wenig auf der Strecke, obwohl mitunter bis zu hundert Flieger in der Luft sind. Es fühlt sich nicht wirklich nach echtem Aufbau, sondern nach purem Scripting und damit ein wenig billig an.
Auch eine echte Multiplayerkampagne sucht ihr vergeblich. Dogfighting und Team Battle mit bis zu 16 Spielern sind eine sichere Bank und immer für eine Runde gut, aber ohne einen echten Rahmen hält die Motivation nicht ewig an. Für ein wenig Randchaos sorgt da Capture the Airfield, eine Art Capture the Flag mit Flughäfen. Die eigenen Felder zu verteidigen und auch noch auf den anderen zu landen, setzt echte Gruppenkoordination voraus, und hier gibt es Raum für Teamplayer sich zu entfalten. Trotzdem, einen echten Ersatz für eine dynamische Kampagne bietet das auch nicht.
Solche Versäumnisse anzukreiden, heißt aber schon auf extrem hohem Niveau zu jammern. IL-2 Sturmovik: Birds of Prey schafft eine elegante Brücke zwischen gelungenem und keineswegs billigem Arcade-Spaß für die Masse und dem Simulationsanspruch des Hardcore-Modus. Natürlich hinkt dieser immer noch dem PC-Vorbild hinterher, aber auf einer Konsole ist das auch besser so, denn diese Zielgruppe würde eh nie das Pad anrühren, für das hier die Anpassungen perfekt gelangen. Als Action-Simulator funktioniert Birds of Prey perfekt, nur den leichten Mangel an Abwechslung muss man halt verschmerzen. Ich bin gespannt, ob es dem Spiel gelingt, das Nischendasein abzustreifen und die breite Masse zum Fliegen zu bewegen. Wahrscheinlich nicht, aber das ist dann nicht die Schuld von Birds of Prey.
IL-2 Sturmovik: Birds of Prey gibt es überraschenderweise nicht nur für Xbox 360 und PS3, sondern auch auf DS und PSP. PC-Spieler halten sich an das bisherige, von der Community vergoldete, IL-2 Sturmovik. Erhältlich in diversen Ausführungen.