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Im Vorabtest macht Evolve zum Start viel richtig

Turtle Rocks Ode an die Jagd - ein Spiel, das sich selbst genug ist.

Wenn man von ein paar Jahren mittelschwerer Pro-Evolution-Soccer-Abhängigkeit mal absieht, war ich nie der verbissenste Wettbewerbsspieler. Tatsächlich stressten mich die meisten Mehrspielerschießereien oder liefen zumindest ab einer gewissen Talentstufe einer meiner Auffassung nach nötigen Grundbequemlichkeit beim Spielen zugegen. Geselliges Daddeln lag mir allerdings schon immer, weshalb Turtle Rock wegen Left 4 Dead einen ewigen Stein bei mir im Brett hat. Auch bei Evolve - so lässt sich nach Alpha, Beta und nunmehr drei durchzockten Tagen mit der fertigen Version sagen - schlägt diese DNA sozialer Spaßschießereien mit handhabbarem Stresslevel eher in Armlänge eines gut gemachten Einzelspieler-Thrillers voll durch.

Das veranlasst einige, sich Fragen nach der Langlebigkeit des Spiels zu stellen, denn tatsächlich ändert sich das grundlegende Spielgefühl von Evolve nur selten. Welchen Modus man auch spielt, auf beiden Seiten geht es im Kern darum, sich seine Kämpfe sorgfältig auszusuchen - und wenn es dann dazu kommt, das meiste aus seinem bunten Strauß an Fähigkeiten zu machen. Geistesschnelle ist wichtiger als ein muskulöser Abzugsfinger und die Reflexe eines jungen Spatzen im Frühling. Das ist vollkommen in Ordnung so. Evolve hat sich eine Sache herausgepickt, die ihm Spaß macht, und Jahre daran gearbeitet, es so zu verfeinern, auf dass es euch ebenso sehr erfreue.

So manches Mal zaubert Evolve ein wunderbares Sci-Fi-Panorama auf den Schirm. Schade, dass man es auf der Jagd selten genießen kann.

Der frühe und erfreulich stabile Start (auf den Day-1-Patch warte ich aktuell noch) mit im Laufe des dienstäglichen Vormittags zumindest robusten Verbindungen und zuverlässig pingenden Partien verspricht ein ausgereiftes Spiel, das sich auf seine Kernelemente konzentriert und sich selbst genügt. Es sucht den Spaß nicht im Anhäufen immer imponierender Statussymbole, hängt seine Ranglisten eher im Hintergrund auf. Der lapidare Level neben dem Spielernamen verrät eigentlich, ob ihr einen relativen Neuling im Team kompensieren müsst oder mit welcher Wahrscheinlichkeit euch der Monsterspieler, der gerade den hin und her teleportierenden Albtraum Wraith wählte, schlimm den Hintern versohlen wird. Es nimmt die Schärfe raus und vermittelt: Wir sind hier, um einen spannenden Abend zu verleben.

Einen Grind könnte man diagnostizieren, wenn man Erfolg nur in freigespielten Charakteren und Perks misst, dann unterschlüge man aber, dass dieser nur dazu da ist, euch erst an die nächste Spielfigur zu lassen, wenn ihr die vorherige halbwegs gut beherrscht. Die Chancen stehen ganz passabel, dass ihr den kompletten Charakter- und Monsterkatalog fast nebenbei freispielt, bevor ihr die jeweilige Spielfigur gemeistert habt. Springt einfach ein wenig zwischen den Figuren hin und her, schaltet hier und da etwas frei, anstatt euch in einen Charakter zu verbeißen, und ihr erlebt nicht nur eine deutlich facettenreichere Jagd. Dadurch, dass ihr durch die Augen der Beute und eurer Kollegen blickt, lernt ihr, wie sie ticken und damit, das Spiel als Ganzes deutlich besser zu beherrschen.

Die Voliere ist die wohl schönste Karte.

Angesichts des befriedigenden Spielgefühls und der durchaus bemerkenswerten Unterschiede innerhalb einer Jägerklasse und zwischen den drei Ungetümen ist mir aktuell schon der Weg zur Charakter- oder Monstermeisterschaft Lohn genug, mich hiermit zu befassen. Bereits jetzt tun sich diverse verschiedene Spielarten auf, denn in den weiteren Modi Verteidigung - mein aktueller Favorit -, Rettung und Nest müsst ihr eure Taktik natürlich den Regeln und Zielen entsprechend anpassen. Eine Schlacht um einen Generator zwischen Menschen und einem Monster samt ständig neu spawnender Creeps entwickelt aufseiten beider Parteien einen komplett anderen Rhythmus, der mit unterschiedlichen Figurenkonstellationen die Schlagzahl noch einmal verändert.

Gegen Wraith mit seinen Hit-and-Run-Angriffen verteidigt man anders als gegen Goliath, der bevorzugt nach einem Felswurf auf Konfrontationskurs geht, als Medic Lazarus ist man sehr viel mehr in der Offensive als Val. Selbst ich, der nach fast 25 Stunden Alpha und Beta auf einem halben Dutzend Hunt-Karten schon fast ein bisschen den Kaffee auf hatte, habe durch die neuen Spielvarianten wieder neuen Spaß an Evolve gefunden, auch an Hunt selbst. Ich weiß jetzt mehr über die Mechanismen, habe neue Taktiken gelernt und probiere sie mit Freuden aus. Schon jetzt gefällt außerdem der Modus "Evakuierung". Hier geht es durch fünf Matches verschiedener Modi, deren Ausgang den Zustand der Folgekarte bestimmt. Wasser voller fleischfressender Egel, giftige Gaswolken oder zusätzliche Automatikgeschütze für die Jäger verändern ein paar empfindliche Variablen je nach Schlachtenverlauf. Gute Idee.

Bis man im Rescue-Modus den Dreh raus hat, vergeht eine Weile. Der Rhythmus ändert sich im Vergleich zu 'Hunt' spürbar.

Womit wir wieder beim Anfang und der Frage nach der Langlebigkeit wären: Die werden wir erst gegen Ende der Woche abschließend beantworten, wenn wir mehr Zeit mit Day-one-Patch auf prall gefüllten Servern verbracht haben. Bis dahin überlegt euch vielleicht, was Langlebigkeit für euch auszeichnet, beziehungsweise, was sie im Fall eines Vollpreisspiels bedeutet. Mit über dreißig Stunden auf der Uhr wird es mir zumindest noch nicht langweilig. Und wenn der Lohn vieler Übung und guter Entscheidungen in den Wäldern Shears sich letzten Endes darin erschöpft, mit Freunden und Wildfremden virtuelle Fistbumps zu vollführen - oder nach einem atemlosen Kampf mit hochgezogenen Augenbrauen den Hut voreinander zu ziehen -, dann ist das für mich absolut in Ordnung.

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Alexander Bohn-Elias Avatar
Alexander Bohn-Elias: Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.
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Evolve

PS4, Xbox One, PC

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