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Immer mehr schwere Vorwürfe gegen Ubisoft-Mitarbeiter, von "Mafia"-ähnlichen Strukturen ist die Rede

Hier läuft was falsch.

Nach den jüngsten Vorwürfen wegen sexueller Belästigung und Übergriffe gegen mehrere Ubisoft-Mitarbeiter und ersten Konsequenzen daraus wird das Problem nicht kleiner. Im Gegenteil, es wird viel größer.

Immer mehr Berichte und Vorwürfe kommen ans Tageslicht, die zumindest Teile des Publishers in kein gutes Licht rücken. Und es ist nichts, was sich auf wenige Ubisoft-Studios bezieht, es betrifft viele von ihnen.

Es ist heute auch das Titelthema der französischen Tageszeitung Libération, die mit verschiedenen früheren und aktuellen Mitarbeitern des Unternehmens sprach.

Darin berichtet (via Resetera) zum Beispiel eine Frau namens Louise über einen Vorfall im Dezember 2015.

Das Motto an diesem Abend lautete "Back to Future" und sie trug ein Kleid. Tommy François, ihr Manger, habe versucht, einen Kuss von ihr zu erzwingen, während Teile ihres Teams sie festhielten. Sie habe dagegen angekämpft, geschrien und konnte sich dann losreißen. Sie sprach darüber mit einer anderen Managerin des Unternehmens, die das Ganze aber als missverstandenen Scherz abgetan habe. Es es etwas, was er regelmäßig tue.

Die zahlreichen Berichte der früheren und aktuellen Mitarbeiter umfassen sexuelle Belästigung und Übergriffe, Rassismus und Homophobie. Zwar gab es auch Vorwürfe gegen andere Personen und Unternehmen in der Industrie, durch die Zahl der Wortmeldungen sticht Ubisoft hier aber negativ hervor.

Unter Berufung auf eine Person, die aktuell bei Ubisoft arbeitet - und deren Identität man sich bestätigen ließ -, aber anonym bleiben möchte, berichtet Gamasutra, dass das Problem bei Ubisoft "tiefgreifender" und "umfassender" ist, als es bisherige Berichte vermuten lassen. Das "klare Muster an problematischem Verhalten" sei bereits Monate nach Arbeitsbeginn beim Publisher deutlich geworden.

In Sachen Hierarchie spricht die Person dabei von einer "Mafia"-ähnlichen Struktur. Beförderungen würden an Mitarbeiter vergeben, die bereit seien, sich eine "Kugel für die Familie" einzufangen. Und wer nicht nach den Regeln spiele, werde mit niedrigeren Löhnen und einem langsameren Karrierefortschritt bestraft. Die "Familienmitglieder", denen Missbrauch und Fehlverhalten vorgeworfen werde, würden intern an anderen Stellen versetzt und das Problem ignoriert, wodurch man wiederum andere Mitarbeiter gefährde.

"Berichte über Missbrauch würden sofort unter den Tisch gekehrt", heißt es. Und wenn Mitarbeiter versetzt werden, sei es dabei nicht um ernsthafte Veränderungen gegangen, sondern um den Schutz es Unternehmensrufs, um eine "falsche Kultur des Wachstums und der Transparenz" zu erzeugen.

"Die Leute beschweren sich in kleinen Gruppen, aber die zuvor erwähnte falsche Transparenz eliminiert jede Chance auf tatsächliche Veränderung", sagt die Person. "Es ist ein so gut funktionierendes Kontrollsystem, weil im Unternehmen viel geredet wird. Es führt einfach nirgendwo hin. Eine Überprüfung führt in neun von zehn Fällen zu nichts."

Zwar werde darüber gesprochen, doch es ändere sich nichts: "Problematische Ereignisse lösen häufig leidenschaftliche Diskussionen über das interne Social-System 'MANA' sowie vor Ort in vielen Studios aus, in denen betroffene Mitarbeiter ihre sehr berechtigten Beschwerden äußern. Doch wie wir heute sehen können, hat kein Wandel stattgefunden und er findet nicht statt."

Eine andere Person mit durch Gamasutra bestätigter Identität, die ebenfalls bei Ubisoft arbeitet, berichtet von ähnlichen Erlebnissen, von sexueller Belästigung und Übergriffen, zum Beispiel als ein männlicher Kollege eine Kollegin während eines Fotoshootings begrapscht habe. Eine andere Frau sei aufgrund falscher Behauptungen ihres Bosses entlassen wurden, nachdem sie seine Annäherungsversuche zurückgewiesen habe. "Einen Monat später wurde ein Mann eingestellt, um diese Position zu besetzen", heißt es.

Dass darüber öffentlich gesprochen und berichtet wird, könnte tatsächlich zu Änderungen führen, so hat es zumindest von außen den Anschein, wenngleich Gamasutra anmerkt, dass Mitarbeiter skeptisch sind. Bevor sich was ändern kann, müssten erst einmal Probleme eingestanden werden.

"Obwohl es viele von uns gibt, die diese Probleme anerkennen und sie jeden Tag bekämpfen, bezweifle ich, dass dies der Auslöser ist, mit dem die Wurzel des Problems angepackt und etwas für uns getan wird", sagt die Quelle.

"Einige bestimmte Leute werden aussortiert und dann heißt es wieder business as usual. Weiße Männer in allen Machtpositionen, die sich gegenseitig schützen und ein Team für die Personalabteilung auswählen, die ihr fragwürdiges Verhalten ebenso schützt, während Frauen und POC die Arbeit erledigen. Sie überschreiten das Budget, weil das 'Kernteam' es für Reisen nach LA und San Francisco ausgegeben hat, und es gibt übertriebene Marketingkampagnen, während die eigentlichen Entwickler nicht mehr als den Mindestlohn erhalten."

In vielen berichteten Fällen zeigt sich, dass anscheinend nichts getan wurde. Eine Person, die früher bei Ubisoft arbeitete, schreibt, dass man bei Ubisoft North Carolina sexuelle Belästigung durch das Verteilen von Geschenkgutscheinen unter den Tisch kehren wollte - nicht nur für die betroffene Personen, sondern auch für Zeugen des Vorfalls.

Woanders ist die Rede davon, dass ein Mitarbeiter in einem nicht näher benannten Studio Kolleginnen nach Blowjobs gefragt habe und versucht habe, sich auf einem Ubisoft-Event mit einem DJ zu prügeln. Auch dazu wurden Beschwerden eingerichtet, aber diese Person "wurde nie gefeuert".

Eine Frau, die als Praktikantin im Jahr 2014 zu Ubisoft Massive kam, schreibt auf Twitter über die Avancen eines Teamleiters, der für ihre Beurteilung verantwortlich war: "Er fing an, meine Hand heimlich zu halten, mich zu berühren und schließlich küsste er mich, es war buchstäblich ein Zungenkuss. Nicht nur der eine Kuss auf jede Wange. Er würde den Aufzug anhalten, wenn wir alleine waren, und mich küssen. Wir haben viel geschrieben und unsere Freundschaft wurde sehr schnell kokett. Und es fing damit an, dass alles geheim war. Ich war jetzt so tief in all dem, dass ich nicht wusste, wie ich ihm sagen sollte, dass ich das nicht wollte. Er fing an mich zu kontrollieren und ich bemerkte es zuerst nicht einmal. Ich durfte mich nicht mit anderen Jungs im Studio anfreunden und gab mir Kommentare wie: 'Das solltest du nicht', 'das würde ich nicht empfehlen oder 'ich mag sie nicht'. Er wollte mich für sich und ich fühlte mich, als wäre ich sein Spielzeug."

Veränderungen sind schwierig, wenn die Entscheider zum Teil mit zum Problem gehören. Klar ist anhand der vielen Berichte, dass es bei Ubisoft anscheinend ein größeres Problem gibt und sich was ändern muss. Die Stimmung im Unternehmen sei derzeit "gedämpft", schreibt Gamasutra.

In einer E-Mail an Mitarbeiter habe Ubisoft-CEO Yves Guillemot seine "tiefe Solidarität" zum Ausdruck gebracht und sich "zutiefst betroffen" gezeigt, ebenso wolle das Unternehmen mithilfe eines externen Partners eine "multidisziplinäre Arbeitsgruppe" etablieren.

"Diese Gruppe muss bessere Lösungen und Tools entwickeln, um Vorfälle oder schwerwiegende Probleme unverzüglich und unparteiisch zu erkennen, zu melden und zu lösen", schreibt er. "Um ihre Vorschläge zu unterstützen, wird diese Arbeitsgruppe mit Unterstützung eines externen Partners Fokusgruppentreffen organisieren, um eure Meinung zu hören und eure Standpunkte zu verstehen. Ich werde regelmäßig an diesen Sitzungen teilnehmen."

In einer weiteren E-Mail betont Cecile Cornet, Chief Talent and Communications Officer von Ubisoft, das Unternehmen sei "entschlossen zu handeln". Ein Aktionsplan sieht unter anderem eine anonyme Möglichkeit zum Melden von Vorfällen, eine Prüfung durch Dritte und interne Untersuchungen vor.

Für die Mitarbeiter, die in der Vergangenheit darunter litten oder aktuell darunter leiden, ist auf jeden Fall zu hoffen, dass Ubisoft es ernst meint. Die Befürchtung der Betroffenen ist einer Quelle zufolge, dass das Thema nach einiger Zeit wieder in Vergessenheit gerate.

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