Immortals of Aveum im Test - Fable als Shooter mit Special-Forces-Magiern? Funktioniert!
Mit dem Namen hat das Game eigentlich keine Chance, aber es nutzt sie.
Ich hatte selten so einen undefinierten, aber doch intensiven Flashback zurück in eine Spiele-Ära wie bei Immortals of Aveum, in diesem Falle die Xbox-360-Ära. Das beginnt schon mit dem Namen. Sicher, es sind nicht mehr die 80er, wo gefühlt jedes zweite Spiel Ninja-Irgendwas heißen kann. Nicht jedes Spiel kann so prägnant sein wie Diablo oder Assassin’s Creed. Aber das hier klingt schon direkt nach einem drittklassigen Fantasy-Buch-Titel, der nicht den Umweg über das Hardcover nahm. Es hilft auch nicht, dass er einfach nur die nichtssagende Berufsbezeichnung der Protagonisten zusammen mit dem Namen ihrer Welt nennt. Es klingt einfach nach gar nichts.
Dass das auch genau diesen Effekt hat, merkt man schon daran, dass ich einem halben Dutzend sehr Spiele-affinen Menschen in der letzten Woche sagte, dass ich gerade Immortals of Aveum spiele. Alle waren sehr überrascht, dass es sich dabei um das neue große EA-Solo-Shooter-Action-Adventure handelt, das nächste Woche erscheinen würde. Entweder hatten sie absolut noch nie davon gehört oder bei dem Namen allein schon abgeschaltet. Und das ist sehr schade, denn Immortals of Aveum hat sehr viel mehr zu bieten als einen unglücklichen Namen.
Die Zusammenfassung, die irgendwann mal geboten wurde, war „Call of Duty mit Kampfmagiern“ und das ist teilweise nicht falsch. Es ist aber auch deutlich mehr als das und das merkt ihr schnell. Ihr werdet in eine irgendwie recht vertraute Fantasy-Welt geworfen, in der vieles an Fable erinnert. Das Design der Häuser, die Farben, vielleicht ist auch deshalb die gefühlte Nähe zur 360-Zeit so präsent. Als junger Straßen-Magier, der in den hier wortwörtlich unteren Rängen der Gesellschaft gerade so über die Runden kommt, erlebt ihr, wie ein böser Herrscher und seine Truppen alle eure Liebsten und euer Viertel dem Erdboden gleichmachen. Im letzten Moment, bevor es ihn auch erwischt, entdeckt der Held große magische Kräfte und wird vom guten General unter ihre Fittiche genommen. Fünf Jahre später wird er dann schließlich zu einem Immortal, ein Elite-Kampfmagier für die besonderen Aufträge.
Die Welt von Aveum ist nicht uninteressant. Im sogenannten Everwar beharken sich Fraktionen von Magiern seit gefühlt immer, verwüsten dabei den Planeten und die Wunde, ein scheinbar endloser Abgrund, breitet sich immer weiter aus. Die Motive der unterschiedlichen Seiten sind plausibel und die „Bösen“ haben auch ein wenig mehr Schattierung als man es erwartet hätte. Sicher, ich würde Aveum immer noch nicht allein für die Story spielen und war mitunter massiv genervt, dass ich keine Zwischensequenz abbrechen konnte, aber es war doch intelligenter, als es hätte sein müssen. Dazu kommt hier und da noch ein wenig Humor, zum Beispiel, wenn die „Immortals“ jedes Mal mit den Augen rollen, wenn sie jemand fragt, ob man das wortwörtlich nehmen muss und sie auf die eine oder andere Weise abwinken. Im Prinzip gelingt Immortals of Aveum die lockere und nicht zu übertriebene Flapsigkeit, die Forspoken Anfang des Jahres gerne gehabt hätte.
Spielerisch werden die Ähnlichkeiten zu Fable noch deutlicher. Aveum ist keine offene Welt, sondern besteht aus einer Reihe größerer, verwinkelter Bereiche, die ihr immer wieder im Rahmen der Handlung neu besucht. Ihr bekommt fortwährend mehr Fertigkeiten, um große Schleimhaufen zu beseitigen, die Wege versperren oder die Laylines, die sich durch den Himmel ziehen, als Fortbewegungsmittel zu nutzen. Es ist ein wenig Metroidvania im Programm und nicht auf eine schlechte Art. In einem der per Schnellreise jederzeit fix zu erreichenden Gebiete hier und da noch mal was abzugrasen, das habe ich definitiv häufiger gemacht als es unbedingt nötig gewesen wäre.
Das liegt auch daran, dass die Bewegung schlicht Spaß macht. Euer Magier ist erstaunlich sportlich und fix unterwegs. Er kann sogar nach dem Doppelsprung noch gleiten und überhaupt funktioniert das dezente Parcours für ein Ego-Perspektiven-Spiel, das eigentlich ein Shooter ist, erstaunlich gut. Und ja, es ist ein Shooter. Ihr habt drei Arten von Magie. Blau entspricht dem Sturmgewehr mit Einzelschuss. Mittlerer Schaden, sehr präzise, Alleskönner. Rot ist die Schrotflinte mit großer Flächenabdeckung und viel Schaden, aber eben nicht auf Distanz und grün schließlich ist eine Art automatische SMG mit vielen Schüssen. Ihr habt unendlich Munition, müsst aber auch „nachladen“.
Hat man dieses Konzept verinnerlicht, spielt sich Immortals of Aveum auch nicht grundlegend anders als ander Ballergames. Man muss sich an ein paar Eigenheiten gewöhnen, zum Beispiel daran, dass magische Energie nicht so klein wie eine Gewehrkugel ist. Wenn ihr hinter eine Ecke vorlugt, dann kommt es sehr häufig vor, dass die Hitbox des Projektils an eurer Deckung hängenbleibt, wo eine Kugel zum Beispiel in Call of Duty klar vorbeifliegen würde. Da Immortals aber überhaupt kein Deckungsshooter sein möchte und euch andere Werkzeuge gibt, ist das nicht so wild. Ihr habt etwa einen Schild, den ihr in Sekundenbruchteilen vor euch aufbaut, der mit euch geht und durch den ihr durchschießen könnt. Ihr habt Artefakte, die Gegner verlangsamen oder kurz ausknocken und vor allem solltet ihr in Bewegung bleiben und auf die Farben achten. Ein blauer Gegner ist empfindlich für diese Farbe, ein Gegner mit roter Aura hat einen Schutzschild, den ihr am schnellsten mit roter Magie zerstört.
Ich hatte Sorge, dass die Farbspielereien mich nerven würden, aber da dies beim Design der Kämpfe dezent und überlegt eingesetzt wurde, ist es sogar eher ein Bonus und macht die Begegnungen interessanter. Auch dass große Gegner euch oft genug schnell erledigen können, dass es eine Vielzahl an halbwegs interessanten Bossen und immer wieder den einen oder anderen neuen Trick in eurem Arsenal gibt, dass ihr in einem großen Fertigkeitenbaum freischaltet, hält die Kämpfe bis zum Ende frisch und oft genug aufregend. Ich muss wirklich zugeben, ich hatte mit Aveum mehr Spaß als mit den meisten normalen Shootern der letzten Jahre.
Das lag aber auch daran, dass die Kämpfe und magischen Schießereien nur ein Teil der Gameplay-Gleichung sind. Fast genauso oft stolpert ihr über Puzzles, die mit den verschiedenen Magiearten spielen, bei denen ihr Teile der Landschaft manipulieren müsst und einiges mehr. Diese sind teilweise erstaunlich clever, wobei vor allem die schweren, optionalen Puzzles überzeugen. Die auf dem Hauptweg sind zwar nicht schlecht, aber erwartungsgemäß übersichtlicher, damit nicht zu viele Spieler hängen bleiben. Oft genug verbrachte ich eine Viertelstunde damit herauszufinden, wie ich denn jetzt Schalter und Werkzeuge nutzen muss, um endlich an diese so nahe und doch unerreichbare Truhe zu kommen. Ohne diese Puzzles würde Immortals of Aveum nur halb so gut funktionieren und es wäre bestenfalls netter Durchschnitt. Die Mischung aus relativ gleichwertigen Story-Elementen mit ein wenig Wandern und leichtem Parcours, den Puzzles und den Kämpfen ergibt ein hervorragend austariertes Action-Adventure-Vergnügen. Eines, das wie auch ein paar andere Titel zuletzt zeigt, dass man nicht unbedingt eine große offene Welt braucht, wenn die eigene kleine durchdacht genug ist.
Wovon ich allerdings weniger überzeugt bin, ist das, was man in den Kisten findet, die man sich so hart erpuzzelt hat. Die drei Farben der Waffen sind zwar definiert, die eigentlichen Waffen, eine Art magischer Handschuh, aber nicht. Ihr findet ständig neue und könnt diese auch aufleveln. Loot mit Leveln halt, aber nicht sonderlich elegant austariert. Es macht wenig Spaß, sich durch ein Dutzend mehr oder weniger gleich anfühlender Waffen zu klicken, schauen, welche vielleicht jenseits der reinen Werte einem besser gefällt, nur um am Ende doch wieder zu den schlichten Werten zurückzugehen. Die Boni sind dann oft viel zu spezifisch und die Kampfanforderungen zu wechselhaft, dass ich ständig neue Waffen ausprobieren würde, selbst wenn ich dann mit dem Gefühl und wahrscheinlich auch der Realität leben muss, dass ich nie ideal spiele. Hier hätte ich eine Reduktion auf weniger und klar definierte Waffen deutlich besser gefunden als dieses halbgare Loot- und RPG-Punkte-System.
Technisch merkt man Immortals of Aveum auch an, dass stellenweise Ambitionen und Budget ein Stück weit auseinanderlagen. Aber es wirkt auch so, als hätten sie das Beste aus dem gemacht, was ging, denn da Spiel ist zum größten Teil schön, vor allem wenn man die Ästhetik der Welt von Fable mochte. Sicher, alles könnte ein gutes Stück detaillierter sein und die Texturen sind auch nicht die frischesten, aber der Look als Gesamtes passt einfach. Es ist einer der Fälle, in denen das gute Artdesign wettmacht, was das Budget bei der Technik nicht hergab. Natürlich, Dinge wie viel zu großen und grobschlächtigen Laylines hätten so nicht sein müssen. Aber das sind Ausnahmen in einem am Ende des Tages durchweg hübschen Spiel. Außerdem erinnert der Look auf diese Weise auch an die 360-PS3-Ära des Gamings und das passt hier irgendwie.
Genau diese 360/PS3-Zeit war nämlich eine, in der viele neue Franchises gerade im Shooter-Action-Adventure kamen und gingen, wo viel im Triple- und Double-A-Bereich ausprobiert wurde. Manches war gut und blieb, anderes war auch gut und verschwand wieder schnell. Welches Schicksal Immortals of Aveum bevorsteht, das weiß ich nicht, aber ich drücke ihm die Daumen, dass es trotz seines unglücklich gewählten Namens wirklich ein Franchise werden darf.
Die Mischung aus stimmigen Magier-Ballereien, cleveren Puzzles und Erkundung in einer verwinkelten, aber nicht sinnlos großen Welt funktioniert einfach wunderbar. Selbst die Story ist okay-er als sie sein müsste, um das Ganze über die Runden zu bringen. Ich hoffe wirklich, dass Immortals of Aveum nicht zwischen Diablo, Baldur’s Gate, Starfield und all den noch kommenden großen Spielen des Jahres zerrieben wird, sondern seine Fans findet. Mindestens einen hat es jedenfalls und ich bin mir sicher, dass da draußen noch mehr Leute ein Herz für einen etwas aus der Zeit gefallenen, eigenwilligen Shooter mit ganz viel Action-Adventure-Charme haben.