Indiana Jones und der Große Kreis im Test: Lara, Nathan, lasst es gut sein – Papa ist zu Hause!
Pure Liebe.
Als ich vor zwei Monaten Indiana Jones und der Große Kreis das erste Mal anspielen durfte, hatte ich ein verdammt gutes Gefühl: Starker Fokus auf Erkundung, wenig Kampf – vor allem gar kein Schusswaffengebrauch (wenn man es richtig machte) – und ein offener Ablauf, der es mir überließ, wohin Indy seine Nase als Nächstes stecken sollte. Als es ans Schreiben des Textes ging, den ihr am 29. Oktober auf der Seite gelesen habt, kam irgendwas von einem “Tomb Raider, wie ich es immer wollte” heraus. Diese Einschätzung war falsch oder zumindest fehlgeleitet.
Nicht missverstehen: Unter meinen Lieblings-Games 2024 ist Indiana Jones und der Große Kreis recht weit oben dabei. Dieses Spiel ist mit so viel Liebe für dieses Filmuniversum gemacht, dass es für mich problemlos Kanon mit den Filmen ist. Aber “Indy 6” hat mich auch eine Sache über Spiele wie Tomb Raider und Uncharted gelehrt oder besser sie mir wieder ins Gedächtnis gerufen: Was ich bei Action-Adventures um archäologische Mythen eigentlich immer wollte, war es, Indiana Jones zu sein. Bethesda und Machine Games scheinen das ähnlich zu sehen und subtrahierten nun lizenzfreie Umwege und die Hommage-Ebene restlos raus, um uns den “real deal” zu geben.
Ein Spiel, selbst wie ein Schatz
Mit dem Resultat, dass ich in Indiana Jones und der Große Kreis jedes Mal Gänsehaut bekomme, wenn meine Spielfigur ihren Fedora-Schatten auf eine bröckelnde, halb zugewucherte Mauer wirft. Wie kann es sein, dass ich so lange auf dieses Erlebnis warten musste? Ich muss zugeben: Obwohl die Egoperspektive intuitiv nicht meine Wahl gewesen wäre, ist sie der Grund, warum das Spiel – Indy sein – überhaupt erst so gut funktioniert. Klar, auch mit Lara und Drake habe ich mich identifiziert. Aber sie waren immer eher gleichgesinnte Kumpane, Mitglieder derselben Reisegruppe ins Ungewisse. Ich war mit ihnen dort, aber stets mehr Scherpa als der eigentliche Held der Geschichte.
Als Indy selbst die Nase in den Dreck zu drücken, sich unter krümelnden Felsen durchzuducken und so nah an eine Mumie ranzugehen, dass man meint, der eigene Atem müsste ihr eigentlich den Wüstenstaub von den Schultern pusten – das ist etwas ganz anderes. Hier bin ich Indy – und mal ehrlich: wie kann man nicht der junge Harrison Ford sein wollen? Was für ein Teufelskerl. Ich bin ein großer Fan der Nähe, die die neue Perspektive schafft und hatte nie ein Problem, mich im Raum zurechtzufinden oder sicheren Schrittes um tödliche Druckplatten im Boden herumzuschleichen.
Der Große Kreis hat alles, was Indiana Jones ausmacht: Troy Baker legt seine Stimme hierfür ein paar Register tiefer und versieht sie mit einem grummeligen Ford’schen Stoizismus, den die typische Indiana-Jones-Situationskomik oft genug als Fassade entlarvt. Schnippisch-sympathische Dialoge mit charismatischen Freunden und Feinden – Reporterin Gina, Nazi-Gegenspieler Voss und Locus (Tony Todd, R.I.P.!) stechen besonders hervor – legen selbst über finstere Story-Ausblicke noch eine ansteckende Leichtigkeit, die an die goldene Ära der Pulp-Abenteuergeschichten erinnern. Viele Kameraeinstellungen in Zwischensequenzen sind durch und durch Spielberg und die grundlegende Handlungsprämisse ist zu gleichen Teilen glaubwürdig und fantastisch genug, um ein großes Abenteuer zu versprechen. Kurz: alles drin, alles dran.
Die gute Art von Fan-Service
Aber auch in den weniger offensichtlichen Dingen zeigt sich, dass sich Machine Games lange Gedanken darüber machte, wie ein Indiana-Jones-Spiel im Optimalfall aussehen muss: So ist Indy beispielsweise etwas schwerfälliger als Lara oder Drake. Jeder Sprung fühlt sich wie ein Wagnis an, die Peitsche noch in der Luft an eine Baumwurzel an der Decke zu schwingen, ist exakt das Kunststück, nach dem es klingt. Und dass 1937 noch nicht in jeder zweiten Stadt eine Boulderhalle steht, merkt man, wann immer unser Lieblingsarchäologe sich eine Wand hochmüht. Die Entscheidung für mehr Gewicht war eine ganz bewusste, denn nur, wenn die Expedition auch körperlich beschwerlich ist, ist das hier Indiana Jones.
Auch Indys Peitschenschwingern und Schlägen liegt wahnsinnig viel Wucht – und dass man die Blutergüsse und verdrehten und geschwollenen Augen seiner Feinde direkt erkennt, quittiert die Kraft, die ihr per Faust zu Gesicht bringt, bestens. Tatsächlich sind die satten Schwinger meine Lieblingsart, mich der Feinde zu entledigen, die mich beim Hineinschleichen in Nazi-Ausgrabungen entdeckt haben. Aber auch die ungezählten und bisweilen lustigen Umgebungsobjekte, die man nutzen kann, um Wachen leise auszuknocken, habe ich gern durchprobiert. Das Paradoxe: Trotz des eher schwerfälligen Bewegungsmusters fühlt es sich zu keinem Zeitpunkt dröge oder klobig an, in Indys H(a)ut zu stecken. Im Gegenteil: Es hält das Erlebnis zusammen, weil diese Art, sich zu bewegen, einfach zu dem Indy passt, den wir so gut kennen.
Ebenso verhält es sich mit den Rätseln. Sie bestechen durch eine nachvollziehbare Physikalität, sind oft mechanisch. Schwere Zahnräder, feststeckende Hebel, alles schön zum Anfassen, Stecken, Ziehen, Brechen. Das aus nächster Nähe zu betrachten, mit dem Moder nasser Holzbohlen und alten Mooses in der Nase, ist einfach genau das, weshalb ich hier bin. Schwierig sind die allermeisten Puzzles nicht. Nur wenig hält euch länger auf, sofern ihr die Umgebung gründlich beobachtet habt – und wenn, dann ist das eher in Nebenquests der Fall, die sich in der Mehrzahl fast schon kunstvoll in die Geschichte integrieren und damit immer lohnen. Geht mit offenen Augen durch die Welt, dann kommt ihr schon auf die Lösung.
Unter diesem Hut ist genug Platz für zwei Genies
Und wieso auch nicht? Indy steht auch nie länger auf dem Schlauch, als gut für den Spielablauf oder die Dramaturgie wäre. Außerdem möchte ich gern explizit lobend erwähnen, dass die Rätsel ihre relative Leichtgängigkeit gut damit kaschieren, dass euch das Spiel nicht haarklein vorkaut, was in welcher Reihenfolge zu tun ist. Das schafft genug Momente, in denen man sich das Kinn reibt und vor dem Monitor hörbar murmelnd überlegt, welches antike Kleinod wohl in welches Loch gehört.
Was den allgemeinen Spielablauf angeht, würde ich Indiana Jones und der Große Kreis als die Light-Version einer archäologischen Immersive-Sim bezeichnen. Zwar fehlt die rollenspielige Tiefe eines Deus Ex. Die Offenheit aber ist nicht allzu weit davon entfernt. Bedeutet: Die Mehrzahl der weltenbummelnden Locations, die ihr besucht, sind gar nicht so kleine Open Worlds, in denen ihr euch frei bewegt, am besten in Verkleidung oder schleichend, ohne allerdings von Karten-Pfeilen und Hilfseinblendungen geführt zu werden. Die Richtung, in die es geht, könnt ihr euch durch Hochhalten der handgezeichneten Karte immer einblenden lassen und hier und da verweisen gefundene Notizen nicht nur auf Safe-Codes, sondern manchmal auch auf komplette kleine Nebengeschichtchen, denen man gern nachgeht.
Stets bemerkenswert: Der Bildschirm ist wahnsinnig aufgeräumt und aufrichtig darum bemüht, dass eure Augen von selbst erfassen können, wenn etwas in dieser Welt besonders oder einer näheren Untersuchung wert ist. Umso größer werden sie dann, eure Augen, wenn ihr im Vatikan durch die Sixtinische Kapelle wandelt, als würde man euch nach dem, was beim letzten Mal im Museum passiert ist, noch da reinlassen! Klar, das kleine Symbol oben links, das euch verrät, dass jetzt eine gute Gelegenheit wäre, die Kamera für ein paar Abenteuerpunkte auf ein historisch wertvolles Kunstwerk zu richten, ist auch ein Antrieb. Aber häufig kommt man auch von selbst ins Staunen, weil die Umgebung so detailliert und lebensnah eingefangen wurde.
Der Moment, das erste Mal vor der Sphinx zu stehen, die schiefen Ziegel und das Relief der ausgewaschenen Fugen dazwischen fast berühren zu können, das geht verhinderten, fernwehigen Geschichts-Nerds wie mir wirklich nahe. Man merkt, die Gestalter dieser Spielumgebungen haben eine ebenso fast romantische Zuneigung zu diesen Denkmälern wie die Figuren, die Gegenstand dieses Spiels sind.
Eine Welt voller Geheimnisse, von der man nicht lassen kann
Insgesamt kommt das Spiel auf drei dieser großen Sandkästen, während vier weitere Gegenden eher lineare Stippvisiten sind. In jedem der offenen Bereiche habe ich extrem viel Zeit verbracht und plane, auch nach dem Ende dorthin zurückzukehren, um noch die eine oder andere Nebenquest oder Sammelaufgabe zu erledigen. Unterm Strich war ich deutlich über 35 Stunden hier unterwegs. Jedes Mal, wenn der freundliche Hinweis kam, dass der nächste Schritt einer Story-Quest auf die Abreise zum nächsten Ziel hinausläuft, habe ich gern noch einmal kehrt gemacht. Zu schade wäre es um all die Dinge abseits des Weges gewesen, die die smart geschriebene Handlung weiter anreicherten und die ich noch nicht entdeckt hatte. Gut, dass ich auch nach Abschluss der Kampagne noch Gelegenheit habe, The Great Circle ein bisschen weiter zu komplettieren.
Selbst, wenn man das zugrundeliegende Gerüst, auf dem Machine Games dieses Abenteuer inszeniert, längst ein bisschen zu gut durchschaut hat, die videospiel-artigen Muster erkennt, nach denen auch die offenen Bereiche funktionieren, ist der Bann dieser Welten nicht gebrochen. Ganz gleich, dass man in jeder der halb-offenen Welten Medizinfläschchen zum Tauschen gegen passive Skill-Upgrades findet, oder mit der Kamera Wahrzeichen gegen Abenteuerpunkte fotografiert, mit denen man besagte Verbesserungen dann kauft (und irgendwann viel mehr davon hat, als man jemals ausgeben könnte oder wollte): Es wird nie allzu mechanisch, denn die Welt ist mit Liebe zum Detail und guten Verstecken gestaltet. In jede Ecke und in jedes der vielen, vielen Erdlöcher will man schauen, bevor man sich in den nächsten Abschnitt aufmacht. Nach Stalker 2 direkt die nächste Welt, die einen kaum loslässt. An diese Reise werde ich mich noch lange erinnern.
Klar, man kann auch Dinge kritisieren. So sehen die Gesichter zwar an sich gut aus, das Performance Capture lässt die Regie aber besonders bei Zwischensequenzen öfter mal mit allzu maskenhaften Gesichtsausdrücken im Stich. Der KI ist unterdessen nicht so wahnsinnig daran gelegen, euch beim Schleichen auffliegen zu lassen. Sie sieht sehr gut, geht auch schnell nach, wenn ihr etwas auffällt, verliert aber genauso schnell wieder das Interesse, was manchmal, aber lange nicht immer zur Situation passt. Überhaupt ist die KI eher von der schwerhörigen Sorte. Häufig lassen sich Situationen, in denen andere Stealth-Games euch komplett fertig gemacht hätten, durch ein paar beherzte Schwinger auflösen, ohne dass der Rest des Lagers Verdacht schöpft. Auch das passt im Grunde gut zu Indy und dem Spielrhythmus würde es nicht guttun, allzu oft Sequenzen von vorn zu starten. Dafür stimmt die Illusion der Gefahr, denn wenn ihr mal kämpfen müsst, strecken euch schon wenige Treffer nieder.
Glücksritter mit nur wenigen Macken
Ein wenig überrascht war ich davon, wie kraftlos sich Revolver und Gewehre anfühlen und wie wenig Spaß es macht, mit ihnen zu zielen. Nicht, weil ich sie gerne genutzt hätte. Im Gegenteil: Mit Ausnahme einer Szene, in der das Spiel exakt das vorsieht, habe ich nicht eine Person erschossen und das Spiel ist fein damit – geradezu revolutionär in einem modernen Action-Adventure. Daher ist das Gunplay für mich auch kein großer Kritikpunkt. Indy ist kein Revolverheld und dieses Spiel kein Shooter. Also Schwamm drüber. Kleinere Schwierigkeiten hatte ich mit der Orientierung, wenn die Papierkarten weniger hilfreich dabei waren, sich aus einem verschachtelten Labyrinth zu befreien, als ich gut gefunden hätte. In zwei Fällen bin ich in Nebenquests nicht weitergekommen, weil dafür zunächst Fortschritt in der Story nötig war, was mir das Spiel nicht verriet.
Gleichermaßen fand ich schade, dass sich Text- und Audiosprache nicht gesondert einstellen lassen – alte Bethesda-Krankheit – und dass unbeteiligte NPCs sich überwiegend eher steif und kaum reaktiv verhielten. Zudem könnte man ein, zwei Spielelementen attestieren, nicht komplett ausgereift zu sein. Ich habe bis zum Schluss meiner fast 40 Stunden mit Indy nicht herausgefunden, wie das übermäßig komplizierte Ausdauermanagement funktioniert und erst beim Schreiben dieses Artikels gemerkt, wofür die Reparaturkits gut sind. Doch all das fällt im Grunde kaum ins Gewicht. Es fehlte mir beim Spielen an nichts, außer an einer guten Erklärung.
Kleinere technische Schnitzer waren drei oder vier Abstürze und Pop-in bei Vegetation und kleineren Details und dass Physikeffekte in Spektakelmomenten zum Teil ruckelten. Ob ihr diese Fehler zum Release noch sehen werdet, vermag ich nicht zu sagen. Insgesamt ist der Titel wohl auch sehr Hardware hungrig, wenngleich das Performance-Profil schon ein wenig putzig ist. Mit meiner RTX 4080 Super läuft der Titel gefühlt deutlich besser als viele anderen aktuellen Games. Gleichzeitig macht er auf meinem weniger gut motorisierten Gaming-Laptop deutlich mehr Schwierigkeiten.
Am Desktop rast Indy in 3440x1440 mit maximalen Einstellungen und DLSS auf Qualität immer bequem mit deutlich mehr als 100 FPS über den Screen. Selbst 4K flutschte es noch ordentlich, wenngleich Raytracing zum Testzeitpunkt noch nicht unterstützt wurde. Auf meinem Laptop mit Geforce 3060 waren in niedrigen Einstellungen in 1080p zwar auch manchmal etwas wacklige 60fps drin, aber die Beleuchtung sah in dunklen Bereichen und der Ferne ein Stück weit scheußlich aus. Da muss ich wohl einsehen, dass mein Notebook so langsam überfordert ist. Auf der Xbox Series X läuft es laut Aussage eines Kollegen im Großen und Ganzen mit gutaussehenden 60 FPS. Auf entsprechender Hardware ist Indiana Jones und der Große Kreis jedenfalls einer der hübschesten Titel dieses Jahr.
Indiana Jones und der Große Kreis – Fazit
Ich habe die Frage irgendwo zwischendrin schon mal gestellt. Aber sie lässt ich einfach nicht los: Wie kann es sein, dass ich auf ein solches Spiel so lange warten musste? Wie viele Nachahmer beten am Altar von Peitsche und Fedora, ohne je den Mumm gehabt zu haben, auch mal die Waffen stecken zu lassen? Wie oft durfte man nur entdecken, was am Ende eines ringsum hübsch begrünten Tunnels auf einen wartete?
Indiana Jones und der Große Kreis wirkt derart nahe am Original, dass es sich beinahe selbst wie ein wertvolles Relikt anfühlt: Ein längst verschollen gedachter Typus Abenteuer, wie ihn selbst die Filme zuletzt nicht mehr zutage fördern konnten. Egal, wie angestrengt sie auch buddelten. Es ist verspielt, frech und mit einer beneidenswerten Unschuld gesegnet, die man einem derart großen, aufwendigen Mainstream-Produkt von einem der größten Publisher der Welt nicht mehr zugetraut hätte. Das gehört in ein Museum.
Indiana Jones und der Große Kreis | |
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PRO | CONTRA |
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