Indiana Jones und der Große Kreis tut etwas, das ich nicht für möglich gehalten hätte
Ein Tomb Raider, wie ich es immer wollte.
Das klingt jetzt sicher komisch, aber mein Lieblingsmoment auf dem ersten Anspieltermin zu Indiana Jones and the Great Circle in London kam, nachdem ich gut 90 Minuten mit dem Spiel verbracht hatte. Erst im Gespräch mit einem anderen anwesenden Spieleredakteur erfuhr ich, dass Indy wohl von Anfang an seinen Revolver dabeihatte. Ich hätte ihn nutzen können, habe aber die komplette Session hindurch nicht einen Schuss abgegeben und das Geballer zu keiner Sekunde vermisst. Im Gegenteil, ich hatte das Gefühl, Indy wollte gar nicht, dass ich schieße.
Anstatt mich über mein Versäumnis zu ärgern, dass ich nichts übers Gunplay sagen kann, kamen mir innerlich beinahe die Freudentränen: Ein modernes Action-Adventure, das sich so auf Erkundung und Vermeidung von Konfrontationen stützt, hätte ich beinahe nicht mehr für möglich gehalten. Es macht rückblickend wahnsinnig viel Sinn, dass Axel Torvenius, Creative Director von Indiana Jones und der Große Kreis, das Spiel bei seiner Vorstellung als “Adventure-Action” bezeichnete – und nicht andersherum.
Alles richtig gemacht!
Um das noch mal klarzustellen: Nicht eine Bildschirmeinblendung weist darauf hin, dass Indy auf Druck von Steuerkreuz links seinen Revolver zückt. Und so schlich ich und schaltete, wenn nötig, Wachen von hinten aus, versteckte ihre Körper an schlecht einsichtigen Stellen oder griff im Notfall auf das erfreulich kraftvolle Nahkampfsystem zurück. Das kombiniert Fäuste und alle möglichen Nahkampfobjekte – die Mandoline im Vatikan war mein Favorit – sowie die Peitsche unterhaltsam miteinander. Aber ja: Meist glänzte mein Indy eher durch Heimlichkeit.
Und ich muss sagen: Wow! Wie viele verhinderte Glücksritter hier wünschten sich irgendwo schon immer, Nathan Drake, Lara und Co. würden vor allem durch ihren Grips bestehen und nicht dadurch, dass sie im Alleingang Dutzende Soldaten mit Kugeln durchsieben? Dann wiederum: Auch schießen wird Dr. Jones hier und da, obwohl es dann eher nur ein paar Kugeln aus dem Revolver sind oder – im schlimmsten Fall – aus einem Sturmgewehr, das man aufhob und wieder entsorgt, sobald es leer geschossen ist.
Ich spinne ja schon länger darüber, wie sehr mir ein neues Tomb Raider gefallen würde, bei dem die Erkundung wieder wie im ersten Teil so stark im Vordergrund steht. Indiana Jones und der Große Kreis scheint nun genau diesen Wunsch wahrzumachen. Das Beste: Es ist ja nicht nur in meinem Sinne, sondern trifft auch den Charakter dieses Helden einfach besser. Die Augenblicke, in denen Indy in den Filmen jemanden über den Haufen schießt, sind derart rar gesät, dass es sich einfach falsch anfühlen würde, wenn die Schusswechsel der primäre Weg wären, sich in dieser Spielwelt durchzusetzen. Das gilt im Übrigen auch für das Klettern, denn Dr. Jones ist zwar gut in Form, aber trotzdem kein Nathan Drake. Ergo klettert er auch etwas beschwerlicher – und die Ausdauer geht ihm dabei auch aus. Man muss sich vorher überlegen, wo man entlang kraxeln sollte, will man nicht abstürzen.
Eine Frage der Perspektive
Vielleicht war euch das schon vorher klar, dass wir hier nicht so viel ballern würden. Ich kann es im Nachgang immer noch nur schwer glauben, auch weil es Videospielen in der Regel so viel einfacher fällt, Schusswechsel spaßig zu gestalten als Erkundung und Rätsel. Dass es hier so gehaltvoll wirkt, liegt zum einen an der Struktur und die Art, wie die Puzzles in die Umgebung eingebettet sind, zum anderen aber ausgerechnet an der Ego-Perspektive, die ich im Vorfeld eher kritisch beäugt hatte. Umgebungserfassung und Position im Raum ist bei anderen grabräubernden Titeln wie Uncharted und Tomb Raider so wichtig, dass es sich schlicht nicht richtig anfühlte, selbst unter Indys Hutkrempe hindurchzuschauen. Aber hier ist man derart intensiv in der Umgebung “drin”, dass man meint, diese uralten Artefakte, Murale und Statuen selbst anfassen zu können. Mich ließ das vor allem meinen Ausflug an den Fuß der Gizeh-Pyramiden wahnsinnig intensiv erleben.
Hier breitet Machine Games eine Abenteuer-Sandbox von stattlichen Dimensionen vor mir aus, in der mir meine charismatische Kontaktperson eine Auftragsserie überantwortet, bei der es mir selbst obliegt, in welcher Reihenfolge ich die gesuchten Objekte besorge. Und abseits davon gibt es noch eine ganze Reihe anderer, optionaler Geheimnisse, die ihr entdecken könnt. Das Spannende daran ist, dass der riesige Bereich interessant gegliedert ist. Ein Lager der Deutschen Wehrmacht, Dörfer von Einheimischen, unterschiedliche Ausgrabungsstätten, die Sphinx, unter deren Bauch man in einer Höhle verschwinden darf – und man bekommt nur lose Anhaltspunkte, wie es weitergeht. Mir war die Spielerführung hier fast schon zu locker, was jedoch vermutlich auch viel darüber aussagt, wie mich andere Action-Adventures mit den Jahren (v)erzogen haben.
Ich besorgte mir Arbeiterkleidung, damit mich nicht jeder der zwischen den Zivilisten patrouillierenden Nazis direkt anhielt. Und wenn bei meiner Erkundung der Umgebung doch mal ein Offizier etwas zu neugierig auf meine Person wurde, reichte es häufig, die Sichtlinie zu unterbrechen und unter den Menschen zu verschwinden. Ich fand das sehr plausibel – wer will in den Uniformen, bei dieser Hitze schon aufgrund eines leisen Verdachts ins Rennen kommen? Es fühlte sich einfach richtig an. Indy bewegt sich hinter feindlichen Linien, aber nicht in einem aktiven Kampfgebiet. Der Feind ist nicht wirklich auf der Suche, er ist hier und macht sein Ding. Wer unauffällig bleibt, kommt auch ohne Sam-Fisher-Talente ziemlich weit hier. Leise brodelnde Spannung war das.
Die Art der Rätsel war durchweg nicht so systemisch aufgezogen, wie in vielen anderen Games: So wie ich das sehe, wird es kein Indy-Äquivalent eines Hacking- oder Schlossknacken-Minispiels geben, das alle paar Meter recycelt wird. Alles wirkt für eine bestimmte Situation handgemacht und so manches Rätsel beschränkt sich darauf, aufmerksam zu beobachten. Etwa, um zu erkennen, dass ein vermeintlich verschütteter schmaler Schacht in Bodennähe eigentlich nur voller Laub und Spinnenweben steckt. Unrat, den man mit dem Feuerzeug wegbrennen kann, um anschließend hindurchzukriechen. Man studiert seine Umgebung, begreift die Welt als Puzzle und entdeckt dabei immer mehr davon – es ist der Triumph des Geistes über den Raum. So sehr ”indy” habe ich mich nie gefühlt.
Maximale Immersion
Da die Anspielzeit beschränkt war, bin ich in den wirklich spannenden Teil der absoluten Sperrzone nicht einmal vorgedrungen, wo dann das große Finale des Gizeh-Abschnitts stattfinden sollte. Hier zieht dann das Risiko an, das Indy geht, und es wird etwas ruppiger. Dass der Termin nicht lang genug war, um dorthin zu kommen oder gar das Ende zu sehen, fand ich zwar – nun ja – doof (um den Fachbegriff zu benutzen). Aber auch das spricht am Ende für eine Welt, in der ich die Zeit vergaß und es mir nichts ausmachte, mir die Nase an Inschriften plattzudrücken und das atmosphärische Drumherum aufzusaugen. Zumal das Spiel schon früh andeutet, dass es auch abseits der zentralen Rätsel einer Episode sehr viel versteckten Kram zu finden und entdecken gibt.
Selten fühlte ich mich so komplett an einen Ort versetzt, was sicher auch daran liegt, dass die Pyramiden von Gizeh und die Sphinx schon immer eine wahnsinnige Anziehungskraft auf mich ausübten. Dass ihr Anblick einem auch in diesem Videospiel noch die Sprache verschlägt, reichhaltig und zeitlos kostbar, wie sie über einem thronen, sagt mir, dass Machine Games den Geist von Indiana Jones bestens verstanden hat und einfängt.
Auch der Vatikan, durch den ich mich im ersten Teil der Session schlich, war schon ein stimmungsvoller Glanzpunkt. Wenn man direkt zu Beginn eine Katze über die Zinnen huschen sieht, drinnen die Bodendielen knarzen und zwischen den einzelnen Bohlen Licht aus der unteren Etage ins Übergeschoss hindurchscheint, wirkt hier diese Welt auf jedem Schritt mit großer Sorgfalt kuratiert und durchgestaltet. Nichts liegt zufällig herum, nichts wirkt wie “generischer Ausstattungsgegenstand Nummer 6078b”. Zwischen Marienstatuen, Beichtstühlen und abgeplatzten Wandmalereien meint man den Weihrauch fast riechen zu können.
Upgrades, die zu Indy passen
Zur eigentlichen Progression Indys kann ich noch nichts Abschließendes sagen. Auf jeden Fall liebe ich Spiele, in denen ich mit einer Kamera Fotos der Umgebung machen kann, die dann zusammen mit Skizzen und anderen Notizen im Journal des Helden Hinweise auf den weiteren Verlauf geben und Indys ist eines der schöneren von der Sorte. In der Welt findet man unterdessen Fertigkeitenbücher, die man mit verdienten Abenteurerpunkten dann zu Upgrades ummünzen kann. Auch hierin steckt viel Indy-Charme, wenn die freischaltbare Wiederbelebung Indys nach einem Niederschlag im Kampf dadurch aktiviert wird, dass man benommen am Boden liegend zu seinem Hut zurückkriechen muss. Sobald man ihn sich wieder aufgesetzt hat, kehrt man in den Kampf zurück.
Neben Abenteurerpunkten für die Bücher findet man aber auch Geld, das ich in der Demo auf einem Bazar allerdings nur in einen Questgegenstand investieren konnte. Ich bin gespannt, was ich damit sonst noch anstellen kann. Ach, und bevor ich es vergesse: Ich habe im Vatikan-Level einige verschlossene Tore zu früheren Gebieten gesehen, für die mir der Schlüssel fehlte. Selten konnte ich dabei sagen, ob das nur als Abkürzung gilt – und ob für diesen oder einen späteren Durchlauf - oder ob ich den Schlüssel vorher hätte finden können. Vielleicht hätte sich Backtracking ja auch aus einem anderen Grund noch gelohnt? Spannend war diese Entdeckung in jedem Fall und ließ die Umgebungen wie mehr wirken als nur einen bloßen Schlauch, bei dem in erster Linie das Ende zählt. Es wirkt wie lebendige Welt.
Indiana Jones und der Große Kreis wird mein Highlight im Dezember
Ich gebe zu: Optimal lief dieser Termin nicht. Zeitlimits bei Anspiel-Events von Titeln mit offener Erkundung enden oft damit, dass man entweder das eigentliche Ende des Abschnitts nicht erreicht oder viele der Möglichkeiten auf dem Weg von A nach B gar nicht mitbekommt. Trotzdem komme ich mit deutlich größerer Vorfreude aus meiner ersten Begegnung mit Indiana Jones und der Große Kreis, als ich vor dem Event hatte. “Wolfenstein-Studio + Indiana Jones” klang in meinen Ohren schon vorher nett, doch allem Anschein nach ist bei diesem Rezept so viel mehr herausgekommen als ein kompetentes Lizenzspiel oder ein Uncharted mit Fedora-Hut.
Indiana Jones und der Große Kreis hat wirklich das Zeug dazu, mein liebstes Archäologen-Abenteuer zu werden. Der entschleunigte Ansatz mit seiner lohnenden Erkundung und großen Rätseldichte wirkt in der heutigen, schnelllebigen Zeit so wahnsinnig frisch, dass ich es kaum erwarten kann. Wer hätte das gedacht?