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inFamous: Second Son - Systemseller im dritten Anlauf?

Erstmals seit Beginn der Reihe ist die Stadt der Star.

Sucker Punchs inFamous-Reihe fristete bislang gewissermaßen ein Schattendasein zwischen anderen, erfolgreicheren Open-World-Titeln. Gerade der erste Teil musste wegen seiner vergleichsweise uninteressanten Spielumgebung und nicht gerade inspirierten Missionsgestaltung um jeden einzelnen Freund kämpfen. Mit Teil zwei kehrte deutlich mehr Spaß und Unverfrorenheit in dieses neue Superheldenuniversum ein, dieses Spiel zu mögen war auf einmal vollkommen in Ordnung. Trotzdem bekam man zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, dass um inFamous ein vergleichbarer Fankult entstand, wie er Saints Row oder die GTAs auszeichnet.

So schlecht stand es offensichtlich dann aber auch wieder nicht um die Serie, denn immerhin ist der Seattler Entwickler nun, keine drei Jahre nach der letzten Ausgabe und relativ frisch nach dem Start der PlayStation 4, mit einem dritten Teil bei der Hand. Allzu lange wird Sony also nicht überlegt haben, ob man nun einen dritten Teil in Auftrag gibt. Nachdem ich letzte Woche eine gute Stunde mit dem neuen Protagonisten, dem Sprayer Delsin Rowe, in der Geburtsstadt des Grunge unterwegs war, bin ich doch ziemlich froh, dass Sony der Marke den Rücken stärkt.

Binärer Moralkodex

Unsere Anspielsitzung begann in einer Zwischensequenz, die direkt und nachvollziehbar vermittelt, wie sich der Spieler diesmal durch die Handlung bewegen wird. Delsin und sein Bruder stellen eine aufrührerische junge Dame, die ebenfalls über Superkräfte verfügt. Nun habt ihr die Wahl, ob ihr Fetch, so der Name der Rothaarigen, retten oder korrumpieren wollt. Das binäre Moralsystem der Vorgänger ist folglich noch intakt, nur, dass diesmal je nach eurer Entscheidung zwei unterschiedliche Missionen anstehen.

Beim Anblick der Rauch- und Feuereffekte ist man sich sicher: Das Geld für die neue Konsole war gut investiert.

Korrumpiert ihr Fetch, geht es zusammen mit ihr auf eine brutale Vernichtungstour durch die Stadt, bei der es Demonstranten und Gesetzeshüter gleichermaßen an den Kragen geht. Wollt ihr Fetch retten, ihr Selbstkontrolle beibringen, müsst ihr die Drogenlager einer Gang ausfindig machen und zerstören. Obgleich es natürlich sehr begrüßenswert ist, den Verlauf der Handlung und zugleich den Spielablauf entscheidend zu verändern, wird an dieser Stelle sofort klar, dass das Missionsdesign immer noch nicht das beseelteste ist. In beiden Fällen klappert ihr klar auf der Karte ein paar markierte Hotspots ab. Dort wird dann je nach Mission gekämpft, bis keine Bösewichte mehr stehen, und hier und da die Aktionstaste betätigt. Die liegt diesmal auf dem Touchpad des Controllers, ebenso wie das Öffnen von Türen durch eine Wischbewegung. Genau genommen ist das nichts, was man nicht schon tausendmal in anderen Spielen machte, und ich kann mir gut vorstellen, dass einigen diese Sorte Spielgestaltung zu Zeiten von PS4 und Xbox One ein wenig zu gestrig ist.

"Der Superkräftewechsel ist ein cooles System, das Abwägung erfordert und euren Kraftgebrauch besser in die Spielwelt einbettet."

Was dagegen voll auf der Höhe der Zeit ist, ist Delsins Fähigkeit, die Kräfte anderer Conduits - so der Begriff für inFamous' Mutanten - in sich aufzunehmen. Er startet mit der Rauchkraft, die ihn kokelige und feurige Dinge tun lässt, und erwirbt in dem gespielten Abschnitt von Fetch den Neon-Skill. Delsin kann immer nur eines dieser Supertalente zur selben Zeit spazieren tragen. An Schornsteinen oder brennenden Autos wechselt ihr zurück zu Rauch, an Neonreklamen zu Neon. Es ist ein cooles System, das Abwägung erfordert und euren Kraftgebrauch besser in die Spielwelt einbettet. Was man mit Neon und Rauch eigentlich anfangen kann, unterscheidet sich bislang jedoch nicht allzu sehr voneinander. Beide Elemente, wenn man sie denn so nennen will, verfügen über eigene Nahkampf-, Distanz- und Granatenangriffe, sodass man in den Massenkämpfen gegen ebenfalls Superkräfte nutzende Regierungstruppen so oder so gut ausgestattet ist.

Catch me if you can

Der entscheidende Unterschied kommt über die Fortbewegung ins Spiel. Per Schultertaste verwandelt sich Delsin in eine Rauchschwade, die horizontal schnell mehrere Meter in eine bestimmte Richtung huscht. So weicht man Attacken aus und gelangt durch durchlässige Objekte wie Gitter und Rohre. Betätigt man die Taste mit Neon im Gepäck, verwandelt er sich in eine Kugel aus Lichtgraffiti, die mit imposanten Effekten schwerelos und ungemein schnell Hausfassaden hinaufschießt. Wer schnell von einem Ende der Stadt zum anderen kommen will, hat hiermit das richtige Werkzeug zur Hand. Es ist beinahe berauschend, die variable Skyline als Ball aus pinkem Leuchtstoff zu durchqueren, und war schnell meine bevorzugte Fortbewegungsmethode. Gerade im Vergleich zum Klettern, bei dem man sich die Fassaden immer noch schrittweise hochklickt. Das war nie ein schlechtes System, aber eben auch keines, das mit dem tollen Spielfluss beispielsweise eines Assassin's Creed mithalten konnte.

Seattle macht den Unterschied.

Bis hierhin entspräche Second Son doch ziemlich genau den Erwartungen, die man landläufig an eine solide Fortsetzung dieser Reihe so hat. Es gibt allerdings eine Sache, die inFamous Nummer drei deutlich von seinen Vorgängern abhebt: Seattle selbst ist eine der einladendsten und interessantesten offenen Spielwelten, die ich bisher erlebt habe. Variabel in Architektur und Aufbau gleicht kein Straßenzug dem letzten. Jede Gasse hat ihren eigenen Charakter. Wer schon einmal in der Westküstenstadt war, erkennt direkt einige Wahrzeichen wieder, und dieser Spielplatz profitiert ungemein von der neuen Technik. Die Detailschärfe in der Ferne, wahnsinnig tolle Texturen und die stabile Bildrate unterstreichen die Schönheit und Andersartigkeit der Areale. Schade, dass ich abseits der spaßigen, aber nicht unbedingt besonders einfallsreichen Missionen nicht noch ein wenig mehr erkunden durfte. Ich bin gespannt, was man in Seattle noch so anstellen darf.

Obwohl die großen Überraschungen ausblieben, nahm ich doch wohlige Erinnerungen an meine Anspielsitzung mit nach Hause. Sich im neuen inFamous zu bewegen, die Atmosphäre der Stadt einzusaugen und ab und an mit einer moralischen Entscheidung Einfluss auf die Handlung zu nehmen, war ein durchweg positives Erlebnis. Es fiel nicht leicht, am Ende dieser einen Stunde den Controller aus der Hand zu legen. Ob es zum ganz großen Wurf reicht, der die Serie aus dem Schatten der Open-World-Platzhirsche herausbefördert, sehen wir dann im März. Und selbst wenn nicht: In dieser Nische, die sich Sucker Punch selbst geschaffen hat, qualmt, strahlt und klettert es sich auch so ganz gut.

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