Jeff Strain über Guild Wars und andere MMOs
'Entwickler haben Angst, Fehler zu machen'
Eurogamer: Das heißt auch, Ihr bleibt beim Verzicht auf Abo-Gebühren?
Jeff Strain: Absolut. Guild Wars wird niemals eine Abo-Gebühr verlangen.
Eurogamer: Es gibt wieder zwei neue Klassen und Hunderte von neuen Gegenständen und Skills. Wie wollt Ihr es schaffen, das Gameplay trotzdem weiterhin auszubalancieren?
Jeff Strain: Gute Frage! Ich würde sagen, das ist unsere größte Herausforderung aus der Perspektive des Game-Designs. Von Vorteil für uns ist, dass das Guild Wars Skill-System sich von dem eher traditionellen MMOs unterscheidet. Skills haben keine "level of power". Sie haben eine relativ gleiche Stufe, der Unterschied besteht nur darin, dass es darum geht, wann und wie man sie einsetzt. Augenscheinlich ist jedoch, dass mit Tausenden Skills die Anzahl an Kombinationsmöglichkeiten astronomische Einheiten erreicht. Wir können nicht buchstäblich jede einzelne Kombination testen. Das ist auch einer der Gründe, weshalb wir die weltweiten Preview-Events veranstalten. So können wir einen riesigen Haufen an statistischen Daten produzieren, die zeigen, wie die Skills verwendet werden. Danach werten wir die Daten aus und balancieren anhand der Zahlen das Spiel aus. Ohne Zweifel gibt es aber auch trotz dieser Maßnahmen immer noch Ecken und Kanten. Wir sind aber in einer Position, die uns erlaubt, sehr schnell auf so etwas zu reagieren. Immer wenn jemand einen Exploit entdeckt, ist er aufgebracht, dass wir den Fehler so schnell beseitigen. Aber wir müssen natürlich das Wohl der gesamten Spieler-Community im Auge behalten. Dafür setzen wir unsere Streaming-Technologie ein, die uns in die Lage versetzt, neue Spielversionen umgehend in Umlauf zu bringen.
Eurogamer: Wie haben die Spieler auf die Einzelspieler-Aspekte des Spiels reagiert und inwieweit die Planungen für die Entwicklung des nächsten Kapitels beeinflusst?
Jeff Strain: Guild Wars ist natürlich einzigartig. Vor allem die Form des PvP ist die einzige, wirklich konkurrierende unter den MMOs. PvP-Fans lieben Guild Wars, weil es ihnen ein ausbalanciertes Spielfeld bereitstellt. Aber trotzdem haben alle unsere Analysen der Spiel-Gewohnheiten ergeben, dass es darunter eine Menge Rollenspiel-Fans gibt. Nach unseren Erkenntnissen gibt es drei Sorten von Spielern. Wir sind daran gewöhnt, die Begriffe Single- und Multiplayer zu verwenden. Unsere Analysen haben jedoch ergeben, dass auch das Zwei-Spieler- oder Dual-Player-Gameplay sehr wichtig ist. Wir nennen es "Buddy-Gaming". Wir haben daher das Spiel nicht spezifisch auf Einzelspieler ausgerichtet, auch wenn das manchmal sicherlich ein Nebenprodukt ist. Das Ziel war, Dual-Player-Gaming zu unterstützen. Zwei Spieler mit ihren jeweils drei Helden-Charakteren formieren auf diese Weise eine Gruppe und können ein völlig neues Spielerlebnis genießen. Keiner wird mehr ständig von sieben anderen Leuten durch eine Mission "gerusht". Das sind alles Dinge, die uns bei der Herstellung von Nightfall beeinflusst haben, aber sicher auch wichtig für die vierte Kampagne sein werden.
Eurogamer: Man bekommt das Gefühl, dass durch die weiteren Inhalte für Einzelspieler GW fast ein wenig vom Online-Spiel abkehrt. Wie siehst Du diese Entwicklung? Wird GW demnächst vielleicht als Offline-Game angeboten?
Jeff Strain: Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Auch wenn natürlich Millionen von Spielern gleichzeitig spielen, wollen sie von Zeit zu Zeit die Möglichkeit haben, eine eher "intimere" Erfahrung zu machen. Mit Nightfall ist es noch immer möglich mit vielen anderen Personen zu spielen, aber es ist genauso spannend - wenn nicht sogar noch spannender - mit nur einer anderen Person zu spielen. Das Hinzufügen der Helden macht die Möglichkeit alleine zu spielen sicherlich noch attraktiver. Die große Community ist aber trotzdem - mit ihrer globalen Ökonomie, Händlern und den vielen Interaktionsmöglichkeiten - noch immer ein zentraler Bestandteil von Guild Wars. Wir haben also keine Pläne eine Offline-Version von Guild Wars zu entwickeln.
Eurogamer: Kannst Du uns etwas über Entwicklungen, Tweaks oder andere Änderungen sagen, die über den bereits genannten Rahmen hinaus gehen?
Jeff Strain: Natürlich. Eine ganze Reihe von Features werden sich ändern. Zum Beispiel sehr viele überarbeitete User-Interface-Elemente, ein neues Schadens-Benachrichtigungssystem...
Eurogamer: Was genau ist damit gemeint?
Jeff Strain: Wir wollen das situationsbezogene Bewusstsein auf dem Schlachtfeld verbessern. Also beispielsweise die Anzeigen dafür, wie viel Schaden man einstecken muss. Außerdem gibt es noch eine neue Grafik-Eninge, die für mehr Kontrast und auch ein neues Shader-System sorgt. Wir erneuern ständig die zugrunde liegende Technologie. Es gibt auch eine ganze Reihe von Überraschungsfeatures. Die Spieler werden einen großen Unterschied zwischen Nightfall und den vorherigen Episoden bemerken.
Eurogamer: Was können wir für die vierte Kampagne erwarten? Euer zweites Team arbeitet sicher schon längst daran.
Jeff Strain: Wie bekannt ist, haben wir zwei Entwickler-Teams. Eins davon arbeitet tatsächlich schon seit vier Monaten an der vierten Kampagne. Die Story, das High-Level-Konzept sowie das Core-Game-Mechanics-Design stehen bereits. Abgesehen von einem Fortschritts-Report, kann ich aber leider keine weiteren Details offenbaren.
Eurogamer: Nicht mal eine Klitze-Kleinigkeit?
Jeff Strain: Nein, tut mir leid. Ich bekomme einen Riesenärger, wenn ich auch nur ein einziges Wort darüber verliere.
Eurogamer: GW unterscheidet sich ja in vielen Punkten deutlich von traditionellen MMOs. In welche Richtung wird sich das Genre dadurch möglicherweise weiterentwickeln?
Jeff Strain: Ich werde mal ganz offen über andere MMOs auf dem Markt sprechen. Ein Spiel wie World of WarCraft ist augenscheinlich sehr erfolgreich. Es ist eine sehr aufpolierte Inkarnation des traditionellen MMOs. Sie machen das sehr gut. Ich denke, andere MMOs, die abgesehen von der Story nicht genug Unterscheidungsmerkmale vorweisen können, haben wirklich Probleme sich aus diesem Schatten zu lösen. Guild Wars ist so erfolgreich, weil wir nicht versucht haben, direkt mit WoW zu konkurrieren. Es ist eine völlig unterschiedliche Art von Spiel. Man findet sich sehr schnell zu Recht, muss sich finanziell nicht aus dem Fenster lehnen. Es ist eine Art "Come and Go"-Spiel. Du kommst, spielst für zwei Wochen, machst zwei Wochen Pause und spielst dann wieder für zwei Wochen. Man muss nie Angst haben, Geld bei einem Abo zu verlieren, wenn man nicht spielt. Das ist sicher eines unserer Erfolgsrezepte.
Auf der anderen Seite ist GW ein schnelles und zugängliches MMO, bei dem man sich nicht mit dem Ballast abschleppen muss, den andere Spiele mitbringen. Es gibt zwar sicher Leute dort draußen, denen es Spaß macht, Bäume zu fällen oder für den nächsten Ausdauer-Punkt zu grinden. Aber viele mögen es einfach, wenn sie einfach schnell zur Action und der Story kommen können, weil das die Elemente sind, die ihnen Spaß machen. Was ich gerne in dieser Industrie sehen würde ist, dass andere MMO-Entwickler unseren Erfolg sehen und sich selbst sagen: "Wow, wir müssen nicht immer dasselbe machen!" Ich hoffe wirklich, dass andere Unternehmen nicht einfach nur sagen, "lass uns ein neues MMO machen und es wird sogar noch besser als WoW, so was wie World of WarCraft 2.0". Das wäre genau das Falsche. Geh, mach etwas anderes! Die Spieler-Community wird es zu schätzen wissen.
Eurogamer: Was ist also Deine Vision für zukünftige MMOs?
Jeff Strain: Mit Guild Wars haben wir ein Vehikel, mit dem wir eine Menge verschiedener Dinge entdecken können. Die Helden sind dafür ein perfektes Beispiel. So etwas findet man nicht in anderen MMOs, das ist völlig einzigartig bei Guild Wars. Der Vorteil an GW und seinem Kampagnen-Format ist, dass wir frei sind, das Spiel jedes Mal neu zu erfinden und neue Dinge auszuprobieren. Und manche Dinge sind einfach erfolgreich, so wie das Helden-Format. Manchmal entwickeln sich neue Inhalte nicht so, wie geplant - so z.B. das Alliance-Battle-Feature von Factions (zweite Kampagne - Anmerk. d. Verf.). Wir haben aber unsere Lehren daraus gezogen. Es ist kein Weltuntergang: Durch die Freiheit zur Innovation und die Möglichkeit so schnell eine neue Kampagne zu veröffentlichen, können wir darauf reagieren. Das ist auch der Schlüssel zur Zukunft der MMOs. Sei mutig genug für Innovationen, erkunde Dinge, die noch keiner zuvor ausprobiert hat und stelle sicher, dass du Fehler schnell genug korrigieren kannst, wenn etwas Mal nicht funktioniert. Ich denke, gerade weil die Budgets immer größer werden und die Entwicklung so teuer und der Konkurrenzdruck erbittert ist, haben die Entwickler Angst, Fehler zu machen. Das führt zu sehr konservativen Herangehensweisen. Sowohl im Game-Design als auch im Businessmodell.
Eurogamer:Auf welche Spiele freust Du Dich eigentlich derzeit am meisten und was zockst Du persönlich?
Jeff Strain: Aus Rollenspieler-Sicht freue ich mich derzeit am meisten auf Final Fantasy 12 auf PS2. Ich habe das Final Fantasy-Universum immer geliebt, war aber irgendwie vom Kampfsystem abgeschreckt. Die eher realtime-orientierte Ausrichtung des Spiels erscheint mir aber höchst attraktiv und verspricht viel Spaß. Und das Spiel, das ich momentan am meisten Spiele, ist Star Wars 2. Es ist ein wundervoll designtes und balanciertes Spiels. Ich bin sehr beeindruckt davon.
Eurogamer: Vielen Dank für das Gespräch.