Alt+F40: Invasion der Pokémon, meine Sucht nach Taktikspielen und warum 2023 ein fantastisches Spielejahr wird
Folge 59: Frohes-Neues-Jahr-Edition.
Frohes und gesundes neues Jahr, euch allen! Ich hoffe, ihr konntet den Übergang so begehen, wie ihr ihn euch vorgestellt hattet und 2023 ist für euch gut losgegangen. Bei uns zeichnet sich mittlerweile ab, dass wir nicht mehr allein in unserem Haus wohnen. Nein, wir teilen es jetzt mit Pokémon. Dazu muss ich sagen, dass Pokémon als Themenwelt mir immer fremd geblieben war (Gameboy übersprungen, kein Anime-Freund, Design bürstet mich gegen den Strich) und zunächst fand ich es sogar ganz lustig, meinen Sohn ein Geek-Thema aufgreifen zu sehen. Bei Games und Filmen sind wir zwar zum Glück noch nicht, wohl aber bei Wimmelbüchern, Sticker-Heften, Pullis und Figuren von Pikachu, Shiggy und Konsorten. Unseren Fünfjährigen hat es also erwischt und ich bin nicht mehr sicher, ob “Gotta catch ‘em All” nicht aus Firmensicht gemeint ist und “them” die Kinder sind.
Auf die Gefahr hin, wie unsere Eltern zu klingen: Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Aber die Art, wie das passierte, finde ich bedenklich. Es ist nämlich so, dass mein Sohn nicht von Kindergarten-Freunden von der Existenz der bunten Biester erfahren hat. Nein, jemand vom Erziehungspersonal hat damit angefangen – und jetzt geht halt das Pokémon-Virus in der Gruppe um, ansteckender als Corona. Sagt mir ruhig, wenn ich borniert klinge, aber ich finde schon, dass es ein Unterschied ist, Vorschulkindern ein Grüffelobuch vorzulesen, oder gleich das Tor in zu einer der größten, medienübergreifend durchkommerzialisierten Konsummarken aufzustoßen. Jetzt ist es wohl zu spät. Mal schauen, wohin die Reise geht…
Inhalt
- Letzte Folge verpasst? Dann lest hier Ausgabe 58: Alt+F40: Chained Echoes' JRPG-Revolution von unten – und ‘Tschüss 2022! Schade, dich kennengelernt zu haben!’
Warum rundenbasierte Taktikspiele für mich die besten Games sind
Ihr habt’s vielleicht schon gemerkt, aber was meine Spielevorlieben angeht, würde ich mich als ziemlich breit aufgestellt bezeichnen. Wie die Cristiano-Ronaldo-Freistoßpose, nur eben unsichtbar und deshalb weniger albern. Meist reicht es, dass mir Szenario, Prämisse oder Art-Design gefallen, und schon bin ich so offen dafür wie die immer noch nicht begradigten Türen der Zimmer meiner Söhne. Ich liebe Gunplay in Shootern, das die Waffen wie die Mordinstrumente dastehen lässt, die sie sind. Ich schätze die Spannung von Battle Royale oder Extraktions-Gameplay genauso wie schmissiges Sprungverhalten in einem niedlichen Hüpfer oder elegante Kampfsysteme in JRPGs. Für Point-and-Click kann ich mich ebenso begeistern, wie für Choose-your-own-Adventure-Stories und wenn ich aus der Draufsicht in ein Action-Abenteuer starten darf, ist mir das genauso lieb, wie in den 3D-Zeldas zu schauen, was wohl hinter der nächsten Kuppe ist.
Ich liebe gewagte Ideen nicht mehr oder weniger als eine fachmännisch-handwerklich perfekte Umsetzung bekannter Konzepte, begeistere mich für Pixel-Retro und Next-Gen-Grafikorgien gleich feurig. Einzig Echtzeit-Taktik ohne Pausefunktion und allzu tabellenlastige Grand Strategy überfordern mich öfter und MMOs entziehe ich mich schon aus Zeitgründen. Davon abgesehen: Ich spiele alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Das einzige, was mir im Weg steht, mehr von alledem zu erleben, was mir eigentlich gefällt, ist meine übertriebene Liebe zur Rundentaktik, die so raumgreifend ist, dass es nicht mehr schön ist. Spiele, die in diese Kategorie fallen, wandern automatisch weit nach oben in meiner Wunschliste und so seltsam das klingt: Das finde ich manchmal schade.
Das ist natürlich Luxus-Geheule jetzt, denn nach dem schlimmen Genresterben und dem Niedergang der Double-A-Produktionen mit Anbruch der 00er Jahre bis zu den frühen 2010ern, als alles “grimdark” und auf-Nummer-sicher sein musste, gibt es wieder mehr als genug von allem zu spielen. Insbesondere die Taktikspiele erlebten eine Renaissance und jetzt weiß ich eben kaum noch, wo ich anfangen (und aufhören) soll, wenn Tactics Ogre Reborn, Triangle Strategy, Fae Tactics, Othercide, Battletech, Chaos Gate, Songs of Conquest, Symphony of War, Wargroove, Expeditions: Rome und wie sie alle heißen gleichzeitig locken – und das, wo ich doch längst mal wieder die alte Shining-Force-Reihe angehen wollte (Hey SEGA, jetzt, wo ihr die Strategiefirma seid, könnte in der Richtung auch mal etwas Neues kommen!). Wie gesagt: Man kann schlimmere Probleme haben, als mehr von der Sorte Spiel zu bekommen, die man am attraktivsten findet. Aber der Tag hat nun mal nur zwei Stunden (Eltern wissen, dass es stimmt!) und da passt diese Sorte Game einfach kaum hinein.
Aber wieso bin ich diesen Spielen überhaupt so verfallen? Wie sagt man so schön? “Wo die Liebe hinfällt, wächst kein Gras mehr” oder so. Und bei mir ist halt Mitte der 90er X-Com beziehungsweise “Ufo” so hart in meinen damals noch sehr formbaren Verstand gekracht, dass ein MRT meines Kopfes vermutlich quadratisch angeordnete Hirnwindungen zeigen würde. Als Nachschub hermusste, waren Final Fantasy Tactics, Vandal Hearts und Advance Wars zur Stelle und fraßen alle Stunden, die ich erübrigen konnte. Und ich weiß nicht, ob ihr das kennt: Als Teenager mit räumlich unbegrenztem Zugang zu Hardware und Spielen sind das schon ein paar. Ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass ich Ufo: Enemy Unknown den zweiten Durchgang durch die zehnte Klasse zu verdanken habe, was sich im Nachhinein als Glücksfall herausgestellt hat.
Die Spiele selbst? Ich glaube, ich mag Rundentaktik wegen der konkurrenzlos guten Art, wie sie es hinbekommt, ein zum gemütlichen Fläzen einladendes Tempo mit großer Schlachtenspannung zu vereinen. Das haben nicht viele andere Genres drauf und wenn euch eines einfällt, behaltet es bitte für euch. In meinem Leben ist kein Platz für noch eines von der Sorte. Dazu kommen in jeder Runde neue anregende Problemstellungen und eine mit zum Guten kippendem Kampfverlauf süchtig machende Steigerung des Machtgefühls. Ich liebe es einfach, gegnerische Einheiten vom Feld zu nehmen und das Chaos eines spielerischen Krieges so Stück um Stück ein wenig mehr zu ordnen.
Wahnsinnig befriedigend und für mich ohne Gleichen … aber eben wegen des großen Zeitaufwandes ein Problem, wenn man auch andere Dinge mal angehen möchte. Ich bin nicht sicher, ob ich es je schaffen werde, diesen Zwiespalt zwischen überbordender Leidenschaft für eine Sorte Spiel und die Lust, so vieles Neues wie möglich auszuprobieren, jemals akzeptieren kann. Aber ich habe das Gefühl, es lohnt sich, es zu versuchen.
Das Wichtigste KW01/23 – Alex Edition
In der Rotation: Oben standen ja schon ein paar Games, die mich gerade in diverse Richtungen zerren. Zusätzlich spiele ich Tchia für Artikel, die ihr nächste Woche erwarten dürft, und kämpfe ein wenig mit der zweiten Season von Slow Horses. Der Football Manager 23 auf dem iPad hält mich für weniger clever als ich mich selbst. Ich mag ihn trotzdem. Auch dazu lest ihr bald mehr. Und ich habe Blackwell Legacy angefangen, weil mir Whispers of a Machine gerade ein wenig zu verkopft wirkte. Mit 60 bin ich dann auch durch diese Serie endlich durch.
Höhepunkt der Woche: Ich hatte wirklich noch nicht ausgiebig über das kommende Jahr nachgedacht, aber als ich nach Ende meines Urlaubs am Mittwoch wieder am Rechner saß, zog zügig gewaltige Vorfreude in mir auf. All die wegen Corona nach hinten gerutschten Spiele scheinen 2023 endlich herauszukommen und der Release-Kalender sieht nach einem der stärksten aus, an die ich mich erinnern kann. Und da sind die überraschende Indies, aus dem Nichts gestartete Geheimtipps und Überraschungs-Veröffentlichungen noch nicht einmal berücksichtigt (wie auch?). Egal, wonach einem der Sinn steht, 2023 scheint gut zu liefern. Mammut-Rollenspiele aus Ost und West (FF16, FF7 Rebirth, Starfield, Baldur’s Gate 3, Diablo 4), großformatige Action-Adventures von Alan Wake 2 über Jedi Survivor bis zu Spider-Man 2 und Suicide Squad (Rocksteady!) und hochkarätige Remakes wie Resident Evil 4, Dead Space, System Shock und Front Mission 2 würden jedes Jahr aufwerten.
Und dann ist da noch neuer Horror vom Silent-Hill-Schöpfer in Slitterhead, frisches von From Software (Armored Core 6) und viele, viele tolle neue Indies. Yacht Club Games will zum Beispiel mit Mina the Borrower wohl dasselbe für 8-Bit-Zelda-likes tun, was es mit Shovel Knight für Hüpfer getan hat, Sea of Stars ist ein traumschönes JRPG aus… Schweden, Amnesia kehrt ebenso zurück und Suikoden gleich zweimal, einmal als Remaster, einmal als Eiyuden Chronicles: Hundred Heroes. Neues von den Ashen-Machern (Flintlock), Freedom Planet 2 und Manor Lords dürften ebenso wie The Plucky Squire und Hollow Knight Silksong den Dialog in der Szene beherrschen, wenn sie dann erscheinen. Und von Nintendo gibt’s Zelda, ein neues Fire Emblem und Pikmin 4. Es gibt noch sehr viel mehr, auf das ich mich freue. Der Spielestau der letzten Jahre hat ein Ende und sorgt nun für eine Explosion hoffentlich gereifter Werke. Ich bin zum Start eines Gaming-Jahres so aufgeregt und zuversichtlich wie schon lange nicht mehr. Jetzt müssen wir es nur noch hinbekommen, uns bis dahin nicht in die Luft zu jagen. Auch keine Kleinigkeit…
Mittelpunkt (!?) der Woche: Marauders gefällt mir immer besser, auch wenn es noch Ecken und Kanten hat, von denen ich hoffe, dass die Entwickler von Small Impact Games sich ihrer annehmen. Gut ist, wie der Extraction-Shooter es hinbekommt, dass sich ein gelungener Raubzug tatsächlich anfühlt, als hätte man einen großen Schatz geborgen. Dann wiederum ist das Gunplay ein bisschen sehr “schwimmend”. Die Waffen kicken so stark, dass ich das Gefühl habe, meine Spielfigur hält sie nicht richtig fest. Obendrein ist Sterben extrem lapidar und ohne Aussicht auf Wiederbelebung recht antiklimaktisch. Ich bleibe trotzdem auf jeden Fall am Ball, das hier könnte tatsächlich gut werden.
Tiefpunkt der Woche: Die Erkenntnis, dass eine neue Switch – wie auch immer die aussehen mag – wohl weiter weg ist, als wir denken, macht mir offen gestanden ein wenig Sorgen. Wie Martin schon oft schrieb: Wenn selbst oder insbesondere Indies die Konsole an ihre ruckelnden Grenzen bringen, kann man die Uhr für die Hardware laut ticken hören und mit dem Steam Deck gibt es mittlerweile ein Handheld, das so gut wie jedes dieser Spiele absolut flüssig auf seinen (im Vergleich mit der OLED Switch zugegebenermaßen weniger schicken) Screen bringt. Schade also, dass die Resthoffnung, eher früher als später etwas Neues von Nintendo zu sehen, damit wohl komplett verflogen sein dürfte. Dann wiederum verstehe ich Nintendo, wenn sie nach dem Wii-Nachfolger nicht mehr so sicher sind, ob und wie man ein bestehendes Erfolgsrezept fortsetzt. Aber egal, schätze ich. Nächstes Jahr, da bin ich sicher, wird mich und alle anderen wenig davon abhalten, auch auf der alten, neuen OLED noch Zelda – Tears of the Kingdom gebührend abzufeiern.