Invisible, Inc. - Test
Nach Mark of the Ninja meistert Klei auch die taktische Variante des Stealth.
Rundenbasierte Taktikspiele waren nie ganz weg. Aber mit der mehr als nur gelungenen Rückkehr von XCOM erfährt das Genre eine neue Blütezeit. Entweder das, oder es kommt mir nur so vor. Ich kann mich jedenfalls an kein Jahr erinnern, in dem ich mit so kurzem Abstand zwei Kaliber wie Massive Chalice von Double Fine und Invisible, Inc. von den Mark-of-the-Ninja-Machern erleben durfte. Über Massive Chalice haben wir vor einer Weile schon berichtet und die fertige Version lässt nicht mehr lange auf sich warten. Im Hier und Jetzt zählt aber, was gestern auf Steam herauskam: Das Spiel, mit dem Klei Entertainment Stealth von seiner durch und durch taktischen Seite aus anpackt. Denn das ist verteufelt gut geworden.
Invisible, Inc. spielt in der nahen, von Mega-Konzernen beherrschten Zukunft. Die titelspendende Organisation kämpft gegen die Vormachtstellung der global operierenden Firmen mit allen Mitteln der Cyberpunk-Kunst an. Als plötzlich ihr Hauptquartier vernichtet wird, bleiben zunächst zwei Agenten und 72 Stunden Zeit, um das Backup der alle Operationen leitenden Invisible-KI namens Incognita auf ein kompatibles System aufzuspielen. Das ist die Basis, auf der ihr die Kampagne mit ihren prozedural generierten Missionen immer und immer wieder mit veränderten Agenten-Teams und Ausrüstungsgegenständen spielen werdet.
Bis Incognita der Saft ausgeht, ist sie eure wichtigste Waffe, denn sie hackt Kameras, Tresore und Geschütztürme und verdient sich im Verlauf das eine oder andere sinnige Zusatztalent. Etwa wenn sie per Signal eine Wache von ihrem angestammten Platz fortlockt. Die wichtigste Ressource ist folglich Energie und die zieht ihr Einheit für Einheit aus in den Leveln platzierten Terminals. Auf der menschlichen Seite dieser Spionage-Mär sollte man allerdings betonen, dass sich die Taktik nicht wie so viele andere Spiele dieser Gattung auf ein Kampfsystem stützt. Tatsächlich sollt ihr Tresore um Geld erleichtern, Schlüsselkarten besorgen oder Geheimdokumente finden, die Aufschluss über weitere mögliche Missionen geben.
Und das funktioniert eben am besten, wenn euch die gründlich überlegenen Gegner nicht bemerken. Tatsächlich vertragen eure Agenten nur einen Treffer aus einer Pistole und sollten daher erst gar nicht gesehen werden. Während ihr mit euren Aktionspunkten durch die zufällig generierten Level zieht, schaut ihr also durch Schlüssellocher, um Security-Personal oder Kameras auf der anderen Seite einer Tür zu erspähen. Ihr blickt um Ecken, guckt Patrouillen-Routen aus - jeder dieser Aktionen kostet einen Punkt - oder öffnet und schließt Türen, um neugierige Wachleute anzulocken oder ihre Sichtlinien zu verkürzen (kostenlos).
Zwar verdient ihr euch im Verlauf Schusswaffen - tödliche und nicht-tödliche - aber deren Cooldowns und auch die der Taser, mit denen ihr Wachen vorübergehend schlafen legt, sind gewaltig. Das Regelwerk stützt daher eher maßvolle Gewaltanwendung. Überlegt euch gut, wen ihr ausschaltet oder K.O. schlagt, parkt auch mal einen Agenten auf einem Opfer, damit es länger liegen bleibt und stimmt so die Bewegungen eurer Einsatzkräfte in den selbst geschaffenen toten Winkeln der Map aufeinander ab. Gewalt ist nicht nur deshalb keine Lösung mit Bestand, weil das System des Komplexes, in den ihr eindringt, registriert, wenn eine Wache stirbt und die Alarmstufe entsprechend anpasst, sondern auch weil die Panzerung der Feinde häufig die Durchschlagskraft eurer Schießprügel übersteigt.
Das liegt daran, dass ihr verbesserte Ausrüstung vornehmlich in den Leveln selbst an Verkaufsterminals ersteht. Und wer nicht genügend Zaster dabeihat - vielleicht, weil er damit lieber ein paar Charakterwerte seiner Agenten gesteigert hat, vielleicht, weil er im vorherigen Level irgendwann fliehen musste, ohne alles gefunden zu haben (was regelmäßig passiert) -, der rennt im Wettrüsten gegen die Corporations grundsätzlich hinterher. Zudem kann es natürlich je nach Schwierigkeitsgrad sein, dass euer bester Mann in der Mission davor sein Leben ließ und ihr nun mit einem völlig unbeleckten Neuling einen der späteren Einsätze bestreiten müsst.
Aber das ist irgendwo auch der erwünschte Aggregatszustand von Invisible, Inc.: Gleichauf mit seinen Feinden kommt man nie, und wenn man das erste Mal nah dran ist, sind die 72 Stunden rum und man hat Incognita ein neues Zuhause verschafft. Oder auch nicht. Dann geht es mit den ursprünglichen Werten von vorne los. Es ist ein Taktikspiel, dessen "Kampagne", wenn man die vollkommen frei wählbare Folge prozedural geschaffener Einsätze so nennen will, an einem langen Nachmittag zu knacken ist. Fast immer schaltet man dabei etwas Neues frei, was zu einem weiteren Durchgang verleitet.
Unterm Strich ist es das gute Tempo von das Invisible, Inc., dass diesen Taktierer zu so einer spannenden Angelegenheit macht. In jeder Runde trifft man folgenschwere Entscheidungen, denn nie kann man jeden Gegner ausschalten oder ablenken und niemals hat man genügend Strom zur Verfügung, um den gesamten Überwachungsapparat einer Anlage lahmzulegen. Gleichzeitig tickt mit jeder verstrichenen Runde der Countdown zur Katastrophe herunter, weil mit jeder Alarmstufe neue Sicherheitsmaßnahmen aufgefahren werden, die man niemals dauerhaft beseitigen kann.
Selten habe ich mich in einem Rundentaktiktitel so hart an die Maus geklammert wie in dem Level, in dem ich den bewusstlosen Körper meines besten Mannes durch drei Räume bis zum rettenden Teleporter schleppte. Vor jeder Tür schickte ich Agnostiker ein Stoßgebet gen Himmel, dass die Patrouillen auf der angewandten Seite doch bitte in den anderen Raum abbiegen möchten. Wahnsinnig intensive Momente entstehen hier fast allein, aus dem Spielablauf heraus. Der schwungvolle Stil, der seinen Hut irgendwo zwischen Transistor und Team Fortress 2 aufgehängt hat, ist nur das Schleifchen an einem der Highlights dieses nicht mehr ganz so jungen Jahres. Klei versteht nun mal was von Stealth, egal, aus welcher Richtung sie sich dem Thema auch nähern.