Ist die Zukunft wirklich digital? - Kommentar
Warum eine Verabschiedung von physischen Datenträgern viele Faktoren missachtet.
John Carmacks Vortrag auf der diesjährigen QuakeCon hat für mich erneut ein Thema hervorbracht, über das ich etwas ausführlicher reden möchte. Dabei soll es weniger um Carmack selbst gehen, denn wir verlieren uns leider zu oft in den Personen, wenn wir eigentlich nur das zentrale Problem ihrer Aussage behandeln sollten.
In diesem Fall ist es die oft proklamierte digitale Zukunft unseres Mediums. Man braucht nicht einmal sogenannte Experten oder Analysten der Industrie befragen. Ein kurzer Blick auf mehrere Internetforen reicht vollkommen aus, um ähnliche Aussagen zu finden: Man komme mit jeder Generation der vollkommenen Befreiung vom physischen Datenträger näher. Jeder Zweifel daran demonstriere bloß die eigene Uneinsichtigkeit oder Angst vor dem kommenden Wandel. Kleinere Gegenargumente werden schnell von der breiten Masse zerdrückt.
Warum?
Bevor hier ähnliche Argumente auf den Tisch kommen, sollten wir uns von absoluten Extremen trennen. Zu sagen, dass physische Datenträger in den kommenden Jahren verschwinden, zeugt von der gleichen Engstirnigkeit, die der Gegenseite oft vorgeworfen werden. Sicherlich wird der Anteil an digitalen Verkäufen in den nächsten Jahren weiter ansteigen. Aber eine komplette Übernahme ohne Alternative? Wohl kaum. Dazu müssten sämtliche Geräte erst einmal optischen Laufwerken den Rücken kehren. Und ich rede hier nicht nur von Konsolen. Auch auf dem PC müssten wir diesen krassen Wandel hinnehmen. Und wieso sollten wir das? Wieso sollten wir uns alternative Wege nehmen lassen, wenn wir durch ihren Erhalt als Konsument keinerlei Nachteile erzielen?
Zu sagen, dass physische Datenträger in den kommenden Jahren verschwinden, zeugt von der gleichen Engstirnigkeit, die der Gegenseite oft vorgeworfen werden.
Rein digitale Vertriebswege wie Steam oder Good Old Games sind großartig und haben gezeigt, wie simpel der Wechsel sein kann. Doch darf man sich nicht allein auf persönliche Präferenzen beziehen, wenn man einen globalen Markt betrachtet. Gleiches gilt für andere Medien. Ich persönlich kann mich auch nicht daran erinnern, wann ich zum letzten Mal eine CD gekauft habe. Beim Lesen bin ich mittlerweile komplett auf E-Books umgesprungen. Und auch was Filme oder Serien angeht, konsumiere ich einen Großteil über verschiedene Streaming-Angebote.
Trotzdem schließe ich deswegen die Nutzung ihrer physischen Form nicht aus. Besonders weil andere Personen verschiedene Ansichten oder Vorlieben haben. Oft teile ich sie nicht und viele sind für mich sogar in ihrer Logik schwer nachvollziehbar. Und das ist vollkommen in Ordnung. Wieso ist es schlecht, wenn sich der Markt weiter ausbreitet, neue Vertriebswege erschließt und dabei weiterhin bewährte Methoden beibehält? Die heftig pulsierenden Diskussionen legen eigentlich nur nahe, dass gewisse Leute auf jeden Fall eine definitive Antwort brauchen.
Ein weiteres Problem entsteht, sobald man das normale Kaufverhalten betrachtet. Jeder von uns spaziert sicherlich ab und zu durch irgendwelche Einkaufspassagen und stöbert in den Läden. Man hat genügend Platz und Auswahl, um sich einen guten Überblick von der Produktreihe zu machen. Manchmal möchte man sich einfach nur ein neues T-Shirt kaufen oder sucht nach einem interessanten Buch. Oft starten wir diese Einkäufe allerdings ohne feste Ziele und entscheiden uns spontan. Auch die Spieleindustrie lebt von diesen Verkäufen. Publisher können sich noch so oft über GameStop und ihren Gebrauchthandel beschweren. Letztendlich sind sie von ihnen und ihrer Ladenfläche genauso abhängig. Sowohl als Vertriebsweg als auch Vermarktungsfläche in den Regalen.
Wieso ist es schlecht, wenn sich der Markt weiter ausbreitet, neue Vertriebswege erschließt und dabei weiterhin bewährte Methoden beibehält?
Und wenn sie einfach nur die Codes verkaufen? Dann stellt sich einem wieder die Frage: Warum es überhaupt ändern? Selbst wenn man die Disk als Medium verbannt und bloß Codes in die Regale stellt, entstehen über diesen Weg die gleichen Kosten wie auch jetzt. Und das ist doch gerade der große Vorteil des digitalen Mediums. Ein durch reduzierte Kosten günstiger Preis sowie ein bequemer Einkauf.
Legen wir die Schalter dagegen um und bleiben nur bei digitalen Händlern, ist die fehlende Übersichtlichkeit plötzlich unser größter Feind. Selbst auf Steam, das nach Valves eigener Ansicht zu wenig Spiele in den Verkauf lässt, hat damit zu kämpfen. Nachdem ein Titel von der Startseite verschwindet und in keinem Sale auftaucht, gerät er in Vergessenheit. Solange man den Namen nicht gezielt sucht, kann man freies Stöbern vergessen. Wesentlich schlimmer sieht es in diversen App-Stores aus. Ich verbringe gerne einen Nachmittag in diversen Kaufhäusern oder Einkaufsstraßen und wühle mich durch Regale. Dagegen ist das Erkunden der dunklen Ecken des Steam-Shops die reinste Hölle.
Es bleibt abzuwarten, was genau in der Zukunft passiert. Doch ohne die komplette Verbannung jeglicher Nachteile der kompletten Digitalisierung und der weltweiten Verschmelzung persönlicher Vorlieben sehe ich keinen Grund, warum physische Datenträger komplett verschwinden sollten. Die Hersteller wollen es so haben, weil sie durch kürzere Vertriebswege höhere Gewinne erzielen und den Kunden leichter in seinen Freiheiten einschränken können. Der Shitstorm in Richtung Microsoft zur Xbox-One-Ankündigung hat genau gezeigt, dass sich die Spieler von gewissen Privilegien nicht verabschieden wollen. Und warum sollten sie auch? Solange jeder seinen bevorzugten Weg wählen darf, brauchen wir den Streit um das perfekte System nicht anzufangen. Denn die beste Methode gibt es nicht und sie wird wahrscheinlich auch nie existieren. Doch verschiedene Möglichkeiten, die sich gegenseitig ergänzen - genau darin sehe ich unsere Zukunft.