Skip to main content

Ist Rising Thunder die Revolution der Fighting-Games?

Simplifizierung muss nicht immer etwas Schlechtes bedeuten.

Ich gebe zu, die Überschrift mag ein wenig reißerisch klingen, aber ich bin fest überzeugt: Rising Thunder ist das wichtigste Spiel im Fighting-Game-Genre seit Street Fighter 4. Ziemlich gewagte Aussage, ist mir klar. Aber kein Prügler hat mich jemals so gepackt wie Rising Thunder. Normalerweise spiele ich einen neuen Titel für ein paar Tage, arbeite mich vielleicht ein wenig in die Mechaniken ein und bis auf gelegentliche Abende mit Freunden war es das auch schon. Super Smash Bros. ist wohl die einzige Ausnahme und selbst das werde ich nie so intensiv spielen, um sämtliche Feinheiten verinnerlichen zu können.

Ein zentrales Problem jedes Fighting-Games ist die Unzugänglichkeit. Und damit meine ich nicht das Zählen von Frames oder das Erlernen sämtlicher Charaktere. Nein, die grundlegende Steuerung ist die größte Hürde. Bis man jeden Angriff einer Figur perfekt beherrscht und überall einsetzen kann, vergehen Wochen oder sogar Monate. Denn um die Meta-Ebene dieser Spiele zu erreichen, muss man seinen Kämpfer zu 100 Prozent unter Kontrolle haben. Auch wenn nur einer von hundert Shoryukens als normaler Schlag endet, ist das nicht gut genug.

Wer hat schon Lust oder die nötige Zeit, diesen Anforderungen gerecht zu werden? Ein Street Fighter 4 oder Guilty Gear Xrd zu lernen bedeutet mehr, als nur ein langes Wochenende auf der Couch mit seinen Freunden zu verbringen. Komplette Tage müssen im Trainingsmodus verbracht werden. Alles nur, damit das echte Spiel beginnen kann. Damit man sich ganz allein auf das richtige Timing oder die Psychospielchen mit dem Konkurrenten konzentrieren darf.

Bisher ist nur eine Stage spielbar. Weitere sollen folgen. Auch nach der Veröffentlichung.

Genau hier trifft Rising Thunder die richtige Entscheidung. Weg mit dem komplizierten Input. Keine langen Kombinationen und erst recht keine Viertel- oder Halbreise mehr. Stattdessen aktiviert ihr jeden Angriff über einen simplen Tastendruck. Das Höchste der Gefühle ist der gleichzeitige Einsatz einer Richtungstase beim Angriff. Deswegen funktioniert es sogar prima an der Tastatur.

„Blasphemie!", werden einige unter euch sicherlich rufen. Ehrlich gesagt war es auch meine erste Reaktion. Immerhin ist es ein besonderes Gefühl, wenn der akrobatische Spezialangriff endlich gelingt und man seinem Kontrahenten gekonnt die Niederlage aufdrückt. Besonders bei Angriffen wie dem Hadouken, dessen Halbkreis nach vorne die Bewegung des Charakters imitiert. Aber ist es ein gerechter Ausgleich für den Frust und die Arbeit, die man dafür hineinstecken muss? Sicherlich bringt es ein befriedigendes Gefühl oder sogar etwas Selbstbewusstsein, in der hohen Elite der wenigen Profis zu stehen. Für diese wird es weiterhin genügend Titel geben, an denen sie sich austoben können.

Für alle anderen gibt es Rising Thunder. Neben den Richtungstasten braucht ihr nur sieben weitere Knöpfe für drei Spezial- sowie eine Superattacke. Schon nach ein paar Runden konnte ich Situationen hervorrufen, für die ich in Street Fighter mehrere Wochen Training gebraucht hätte. Nicht länger muss ich an die Gefahr meiner falschen Eingabe denken und deswegen auf Taktiken verzichten. Seit der ersten Runde in Rising Thunder kann ich mich voll und ganz auf das eigentliche Match fokussieren.

Dabei vergisst der Titel keineswegs den Tiefgang seiner Mechaniken. Schließlich steckt Seth Killian als Hauptperson hinter der Entwicklung und damit eine der wichtigsten Personen des Genres, zeichnete er mehrere Jahre für die Balancierung von Street Fighter 4 verantwortlich. Daher sind einige optische Ähnlichkeiten nicht verwunderlich, wobei in Rising Thunder nur Roboter in den Ring steigen und keine Animefrisuren zu sehen sind. Nehmt den spartanisch angehauchten Grappler Talos als Beispiel. Seine Animationen erwecken leichte Erinnerungen an Zangief. Die Haltung seiner Arme in der Luft, die Bewegungen beim Greifen oder einfach die äußere Statur lassen einen schnell glauben, der ruppige Russe stecke unter der Rüstung.

Sogar der Verlauf von Animationen, Verhalten der Hitstops sowie die generelle Physik versprühen einen distinkten Street-Fighter-Vibe, womit ich absolut einverstanden bin. Was dreidimensionale Kämpfer anbelangt, gibt es wohl kein besseres Vorbild als Street Fighter 4. Zumindest der ästhetische Stil trennt beide Serien genug voneinander. Wenn ich die visuelle Darstellung kurz beschreiben müsste, würde ich es als Mighty Number 9 in schön bezeichnen. Glatte und kontrastreiche Oberflächen liegen auf den an 80er-Jahre-Cartoons erinnernden Roboter-Designs.

Aber zurück zum eigentlichen Spiel. Wie erwähnt besitzt jede Figur drei feste Angriffe, die in Verbindung mit eurer Position und den Richtungstasten die Grundlage bilden. Darüber hinaus dürft ihr drei Spezialattacken festlegen. Diese wählt ihr aus einem größeren Pool, der in zukünftigen Updates erweitert werden soll. Bezahlen müsst ihr dafür nie. Rising Thunder fügt sich zwar auch in der fertigen Version dem populären Free-to-Play-Modell, will seine Spieler allerdings nur für kosmetische Neuerungen zur Kasse bitten.

Unten links seht ihr die Cooldownleisten eurer Spezialattacken.

Jedenfalls ergeben sich allein aus dieser Variation der Spezialmanöver Hunderte Zusammenstellungen. Um wildes Spammen der Ein-Knopf-Angriffe zu verhindern, unterliegt jeder Special einem Cooldown-Timer, der eine oder mehrere Sekunden andauernd. Außerdem könnt ihr nur eure eigenen Countdowns sehen. Ob euer Feind seinen eben eingesetzten Uppercut in den nächsten fünf Sekunden ein weiteres Mal aktivieren darf, bleibt eurer Kenntnis überlassen. Gerade dieser Faktor macht es für jeden Spieler deutlich, wie lange er auf den Einsatz seiner Specials verzichten muss, ohne dem System Tiefgang zu rauben.

Bisher ist Rising Thunder nur für PC, Mac und Linux geplant, wobei die Entwickler eine Konsolenumsetzung nicht ausschließen. Ihnen ist das ständige Updaten ohne Warterei momentan zu wichtig, und das erlbaut ihnen nur die offene Plattform. Was auf alle Fälle hinzugefügt wird, ist die Unterstützung von Arcade-Sticks, die ihr derzeit noch gegen Tastatur oder Controller austauschen müsst. Genauso könnt ihr noch keine Offline-Kämpfe starten, da sich das Team komplett auf den Online-Multiplayer konzentriert und noch nicht weiß, wie man Feature wie die für den Gegner unsichtbare Cooldown-Leisten am besten integriert. Zum Glück ist der Netzcode bereits jetzt einer der stabilsten, den ich jemals erlebt habe.

Falls ihr noch immer skeptisch seid und das Prinzip der simplifizierten Steuerung für eine schlechte Idee haltet - was ich komplett nachvolliehen kann -, solltet ihr Rising Thunder definitiv eine Chance geben, sobald die erste fertige Version erscheint. Eintritt braucht ihr nicht bezahlen und selbst die schlechtesten Prügelfreunde können hier endlich erfahren, wie es sich anfühlt, ein Fighting-Game richtig zu spielen.

Schon gelesen?

Björn Balg Avatar
Björn Balg: Freier Autor und wahrscheinlich der letzte Mensch ohne einen Facebook-Account. Liebt Trash und verbringt zu viel Zeit mit dem Ansehen von Katzenvideos.
Verwandte Themen