Jagged Alliance 3 im Test: Gute Nachrichten! Ihr könnt endlich Jagged Alliance 2 deinstallieren
Nach Aliens: Dark Descent der nächste Taktik-Knaller.
Das war ein ganz schöner Sprung ins kalte Wasser, den ich da in Jagged Alliance 3 hingelegt habe! Erst nach gut zehn Stunden habe ich gemerkt, dass ich ein paar ganz grundsätzliche Dinge nicht verstanden hatte, beziehungsweise in den letzten Jahren ordentlich weichgespült worden war, was Strategie anging. Und gute Güte, war diese Erkenntnis eine Erleichterung.
Lange hatte ich nicht begriffen, wie ich an neue Munition oder Medizin kommen sollte, ich ging einfach davon aus, dass ich den Sektor, in dem der Händler seinen Söldnerbedarf-Verkaufsstand aufgemacht hat, nur noch nicht entdeckt hatte. Vielleicht erwartete ich auch, dass auf dem virtuellen Verwaltungsportal für Miet-Krieger, A.I.M., schon irgendwann noch eine Mailorder-Funktion für alle möglichen Kaliber freigeschaltet wird. Dort könnte ich dann bestimmt den Überschuss an erst gelooteten und dann leergeschossenen Waffen zu Geld machen, mit dem ich mir die Dienste meiner Söldner für ein paar weitere Tage sichern könnte. Oder?
Da saß ich dann – kein Geld, nichts zum Schießen, mit durchlöcherten, erschöpften Söldnern, die ich mit der Ausrüstung, die ich ihnen schon überantwortet hatte, auch nicht nach Hause schicken wollte (nur Munition und Medizin kann man im Truppen-Lager aufbewahren, keine Waffen oder Rüstung). Ich steckte richtig in der Klemme. Und dann fiel mir wieder ein, was ich verdrängt hatte: Jagged Alliance ist nicht allein ein Taktik-Spiel. Es interessiert sich mindestens genauso viel für die Logistik hinter den Gefechten – also den Teil, den Rundentaktikspiele in den letzten zehn Jahren seit XCOM immer weiter wegrationalisiert oder ausgeblendet haben, damit man schnellstens in den Kampf zurückkommt.
Aller Einstieg fällt schwer
Jagged Alliance 3 hat eine etwas gleichgültige Art, euch an das Spiel mit all diesen Systemen heranzuführen, aber am Ende bin ich froh, wie es gelaufen ist. Denn wie ich nach Erreichen dieses Tiefpunkts doch noch die Kurve bekommen habe, das hat sich wahnsinnig befriedigend angefühlt. Mehrere Schritte waren dafür erforderlich. Zunächst musste ich verinnerlichen, dass mir die standardmäßig beim Schießen angebotene Salve vor allem eines war: Munitionsverschwendung. Es gibt eine Zeit und einen Ort für diesen Dreierschuss. Gezielt Einzelschüsse auf das exponierteste Körperteil abzugeben, ist aber häufig die bessere Wahl und spart auch noch Munition. Ich ging entschieden sorgfältiger und präziser an Kampfszenarien heran und konnte dadurch größere Versorgungsengpässe vermeiden.
Das hatte auch damit zu tun, dass ich irgendwann verstanden habe, dass ich in Sektoren mit Reparatur-Shops meine eigene Munition craften kann beziehungsweise muss, und dass Schamanen und Krankenhäuser die Befreiung und den Besuch zwischendurch sehr wohl wert sind, will man nicht mit halbtoten Leuten bei dem Versuch krepieren, dieses Land zu befreien. Das wiederum schärfte meinen Sinn dafür, wie wichtig es ist, Bereiche wie diese durch Ausbildung von Milizen abzusichern und zur Not auch mit meinen Söldnern zu verteidigen. Ich sah nicht länger nur meinen Trupp und ihr Handeln auf den Schlachtfeldern, sondern verstand diese gesamte “schartige Allianz” als Selbstversorgungs-Maschinerie, die am Laufen gehalten werden will.
Später konnte ich es mir leisten, ein kleines, aber bestens ausgerüstetes Squad nur zur Verteidigung der Südinsel des fiktiven afrikanischen Landes Grand Chien abzustellen. Mein Haupt-Trupp an Action-Held-Karikaturen tastete sich unterdessen stückweise an die Rettung des entführten Präsidenten heran, der das Hauptziel dieser Kampagne darstellt. Unterwegs sollte man opportunistisch sein, Diamantenminen bei Gelegenheit einnehmen und den Bürgern des Landes mit ihren Problemen helfen. Man wächst mit seinen Aufgaben und wenn man erst mal merkt, wie viel der Strategie man sich in Jagged Alliance 3 selbst zurechtlegen muss, fühlt sich das einfach fabelhaft an. Es ist allein mein Ding, ob und wie ich auf veränderte Begebenheiten, mal lukrative, mal Pro-bono-Anfragen und feindliche Truppenbewegungen reagierte. Wirklich toll und ganz dem Geist von Jagged Alliance 2 entsprechend.
Auf Kriegsfuß mit Prozentrechnung
Hätte ich das nicht das letzte Mal vor 20 Jahren gespielt, wäre ich vermutlich nicht zuerst in dieser Sackgasse gelandet. Aber hey, ich habe das Gefühl, ich weiß Jagged Alliance 3 jetzt umso mehr zu schätzen. Bedenkt, dass es seit dessen Release 1999 kein anderes Spiel mit oder ohne Lizenz geschafft hat, diesen Spagat so passgenau hinzulegen. Da hat Haemimont ganze Arbeit geleistet.
Trotzdem bin ich natürlich in erster Linie der Taktikebene wegen hier. Und auch an der Front habe ich einige sehr warme Worte zu verlieren. Vor allem im Hinblick darauf, dass das Spiel zwar recht komplexe Wahrscheinlichkeiten für Treffer und dergleichen errechnet, diese euch aber nicht offenlegt. In den ersten Stunden habe ich wirklich gedacht, die Benutzeroberfläche sei Mist, weil es mir nicht klar darlegte, wie hoch meine Chancen für einen Treffer waren. Tatsächlich aber ist das komplett so vorgesehen, weil Haemimont möchte, dass man selbst abschätzt, wie gut die Aussichten eines Schusses sind. Und was soll ich sagen: Das funktioniert wirklich wunderbar.
Schon bald beurteilt man selbst. Ihr seht, ob das Ziel zu weit weg ist, wisst um die Sicherheit eures Schützen und seht, welche Teile des Gegners von Panzerung oder Deckung geschützt sind und kalkuliert dann selbst die Aussichten. Die Frage ist nicht länger, welche Einheit die höchste Prozentzahl liefert, sondern ihr analysiert die Situation und gebt den Schuss ab, der euch am sinnvollsten erscheint und der Kampfsituation am angemessensten ist. Schöner Nebeneffekt: Man ärgert sich dann auch nicht mehr wie in anderen vergleichbaren Spielen darüber, dass ein Schuss mit 83 Prozent Trefferwahrscheinlichkeit nun mal in einem von sechs Fällen auch daneben geht.
Im Resultat wird man sehr sorgfältig mit dem Einsatz seiner Aktionspunkte, denn anstatt immer nur normal anzulegen und dann abzudrücken, könnt ihr je nach Ausstattung des Gewehrs auch drei oder mehr Zeiteinheiten draufschlagen, um noch genauer zu treffen. Seid ihr euch eines Schusses sicher, lasst ihr das und hebt euch dann einige Aktionspunkte für etwas anderes auf. Mit der Zeit bekommt man ein richtig gutes Gefühl für dieses System, es geht in Fleisch und Blut über. Ich liebe diesen Poker mehr als ich je erwartet hätte. Da widerstrebt es mir fast, zu sagen, dass Jagged Alliance 3 eine Mod bekommen wird, die es erlaubt, die Prozentzahlen eben doch zuzuschalten. Lasst besser die Finger davon. Das Spiel macht das schon richtig, so wie es ist.
Wundervoll interaktive Schlachtfelder
Ebenfalls ein voller Erfolg sind all die Eventualitäten auf die man sich auf den Schlachtfeldern von Jagged Alliance 3 einstellen muss. Da schichtet sich schon einiges aufeinander. Es hat gut 20 Stunden gedauert, bis ich das erste Mal bemerkt habe, dass Suchscheinwerfer bei Nachteinsätzen keine Zierde sind und dafür sorgen, dass man unmittelbar entdeckt wird. Und das Spiel hat noch viele andere Überraschungen in Petto. Als ich eine Wache lautlos mit einem schallgedämpften Scharfschützengewehr ausschaltete, durchschlug das simulierte Projektil das Opfer und zerstörte dahinter eine Alarmgesicherte Tür, das meinen Schleicheinsatz in eine voll ausgewachsene Schlacht verwandelte.
Ein andermal scheiterte mein Mechaniker bei der Entschärfung einer Bombe, die einen Loot-Container sicherte. Das war die schönste Art, herauszufinden, dass die Simulation im Hintergrund offensichtlich noch ein weiteres Ereignis auswürfelt, nämlich, olb der Sprengsatz auch hochgeht oder ein Blindgänger ist. Auf einer anderen Karte fand ich ein Fass mit selbstgebranntem Schnaps, in den ich Abführmittel geben konnte und die wiederum dafür sorgten, dass die Besatzung eines anderen Sektors mit einem Malus in unsere nächste Schlacht ging.
In Jagged Alliance 3 können schon einige wilde Dinge passieren und dass ihr auch in den Quests sehr oft die Möglichkeit habt, entweder ehrenwert und mitfühlend oder kaltschnäuzig und profitorientiert zu handeln, macht jeden Kampagnendurchgang zu eurem ureigenen. Dabei hätten wir von der großen Auswahl an 36 handgemachten Söldnern jeder Preisklasse noch gar nicht gesprochen, die jeweils über einen individuellen Perk und auch ansonsten recht unterschiedliche Fähigkeiten und Persönlichkeiten haben. Einige dieser Action-Held-Parodien sind gut gemacht, andere ein bisschen zum Fremdschämen und nicht jeder Spruch ist cool oder kulturell wahnsinnig sensitiv. Aber überwiegend bekommt man schon das Gefühl, die Leute kommen nicht aus der Retorte. Das fand ich sehr schön.
Weniger gelungen ist es, wenn die Abschüsse eines russischen Söldners vom Schwarzenegger-Abziehbild in einer oft, aber nicht immer lustigen Stimm-Verblödelung des “Governator” mit “He’s a Red Army monster, no wonder he knows how to kill” kommentiert. In der aktuellen Weltlage ist das allzu nah an der Realität. Lustig geht jedenfalls anders. Ein anderer Soldat bezeichnet das afrikanische Land, in dem ihr im Einsatz seid, als “shithole country”, bevor man irgendwann auf einen Trupp schwarzer Söldner trifft, der sich “Evil Apes” nennt. Gut möglich, dass Letzteres aus dem Zufallsgenerator kommt, aber unangemessen war das schon. Unterm Strich überwiegt aber der Eindruck, dass Haemimont Grand Chien und seinen Bewohnern mit Respekt begegnen möchte.
Da wird zum Beispiel ein zunächst recht klischeehaft dargestellter Schamane als medizinisch sehr beschlagen und auch ansonsten sehr menschlich gezeichnet und eine in Grand Chien gestrandete buchstäbliche “Karen” führt sich auf eine Weise unmöglich auf, die durchaus sozialkritisch wirkte. Und wenn nach der Befreiung des ersten Dorfes geradezu ekstatisch freudvolle afrikanische Gesänge eure Taten feiern, ist das sogar bewegend schön – wenn man nicht gerade über die weggeschossenen Köpfe stolpert. Alles in allem sitzt das Spiel tonal also fest genug im Sattel.
Alles gut also? Die Schwachpunkte von Jagged Alliance 3
Allzu viel habe ich da eigentlich nicht zu meckern. Abgesehen von der Tatsache, dass das Spiel auf einer Geforce 3080 eigentlich ein wenig flüssiger laufen sollte und die Optik technisch zwar ordentlich ist, aber kreativ nicht unbedingt Bäume ausreißt, finde ich zum Beispiel das Stealth-System während der in Echtzeit gespielten Erkundungsphase nicht wahnsinnig intuitiv. Bis ihr entdeckt werdet, könnt ihr in Echtzeit schleichen. Es gibt diverse Figuren mit hohen Nahkampfwerten, mein lobotomierter Schwarzenegger-Verschnitt ist sogar explizit bestens für unbewaffnetes Kämpfen ausgestattet. Wenn man es dann auf-Teufel-komm-raus nicht hinbekommt, einen allein auf weiter Flur stehenden Feind mit der Bizeps-Zange ins Land der Träume zu schicken, ist das nicht gerade cool. Dabei fordert das Spiel mit den Patrouillenrouten und solo platzierten Feinden eigentlich dazu heraus. Ich habe das Problem irgendwann mit schallgedämpften Waffen gelöst und nie wieder unbewaffneten Nahkampf eingesetzt. Schade fand ich in dem Zusammenhang auch, dass man das Spiel nicht pausieren kann, um schnell noch ein paar rettende Anordnungen zu geben, bevor sich die Entdeckungsanzeige in Gänze gefüllt hat. Aber damit habe ich mich arrangiert.
Wie so oft bei Spielen, in denen mit Wahrscheinlichkeiten gespielt wird, habe ich hier zudem mehr gespeichert und geladen, als streng genommen für den Netto-Spielspaß gut ist. “Dann mach es doch nicht”, höre ich da wen in die Tasten hauen! Das Problem ist nur, dass die Strafen, die einem das Spiel aufdrückt, bisweilen ein bisschen drakonisch anmuten. Wunden zum Beispiel fängt man sich schnell und Medikamente sind wirklich rar. Deshalb speichere ich fast vor jedem Schuss in der Erkundungsphase, der meine Position preisgeben und die Gefahr für meine Leute drastisch steigern könnte. Schlimmer noch ist es bei den Waffen-Upgrades: Die können tatsächlich fehlschlagen (und tun es oft genug) und dabei sowohl die Haltbarkeit der Waffe herabsetzen als auch die eingesetzten Ressourcen restlos verbrauchen. Das fühlt sich geradezu drakonisch an. Also: Speichern, speichern, speichern, auch wenn man dieser Praxis philosophisch eher abgeneigt ist.
Ein wenig irritiert war ich auch von der KI, die Tränengaswolken für harmlose Einbildung hält und sich auch sonst etwas lauffaul anstellt. Zumindest auf dem normalen Schwierigkeitsgrad. Und allgemein hat man das Gefühl, das Interface könnte straffer sein, insbesondere weil die Umgebungen oft randvoll gestopft sind mit NPCs und die Sichtlinien dank zerstörbarer Umgebung und mehrstöckiger, betretbarer Gebäude nicht immer komplett klar sind. Die Perspektive sitzt da auch manchmal ein wenig zu schräg, um an eventuellen Hindernissen vorbeizuklicken auf das, was man eigentlich treffen wollte. Dafür gibt’s noch eine alternative Übersichtskamera, in der man dann aber oft nicht seine Ziele sieht, weil sie zu steil von oben draufschaut.
Für diese Dichte, Dynamik und Interaktivität der Umgebung ist das schon in Ordnung, genauer gesagt, es war keine beneidenswerte Aufgabe, das alles ordentlich bedien- und lesbar zu machen. Aber es ist zum Beispiel ein Grund, warum es mir wenig Spaß macht, Jagged Alliance 3 auf dem Steam Deck zu spielen. Es ist einfach zu viel für den kleinen Screen. Die Performance – JA3 hat sogar ein Steam Deck Grafik-Preset –, geht mit leicht wackelnden 30 fps aber durchaus in Ordnung und es mit Controller zu steuern, hatte ich mir auch schlechter vorgestellt.
Interesse? Jagged Alliance 3 gibt es für zum Start für nur 34,99 Euro auf Steam. Danach kostet das Spiel zehn Euro mehr.
Jagged Alliance 3 Test – Fazit:
Was soll man da sagen? Außer: “Dass wir das noch erleben dürfen!” Nach etlichen Remakes, Remasters und Tributen an Jagged Alliance 2 kommt tatsächlich ein würdiger Nachfolger heraus, der zwar noch nicht alles perfekt macht, aber aus dem Stand die Frage stellt, warum das so lange gedauert hat. Nun gut, Gründe wird es genug gegeben haben und wenn man bedenkt, wie viele Systeme in diesem Mix aus Söldner-Management und Taktik ineinandergreifen, bedarf es einer klaren Vision und eines erfahrenen Teams. Andernfalls verwässert man das Erlebnis der Vorlage notgedrungen irgendwo.
Dass Haemimont den planerischen Teil raushat, wissen wir seit Tropico – und Vision bewiesen sie mit ihrer geradezu genialen Entscheidung, die Trefferwahrscheinlichkeiten wegzulassen, damit die Spielenden die Situation hinter der Zahl zu erfassen lernen. Mir hat das wahnsinnig gut gefallen und ich kann mir gut vorstellen, dass viele, viele Leute 50, 80, 100 oder sogar mehr Stunden in Grand Chien verbringen werden. Einer Welt, die sich nicht viel Mühe macht, euch die Tür aufzuhalten, dahinter aber voller kluger Herausforderungen und spannender Probleme steckt - und voll interessanter Mittel, all das anzugehen. Nehmt euch die nächsten Wochen besser nichts vor.
Jagged Alliance 3 | |
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