Jet Set Radio HD - Test
Farben altern nie, Spieldesign dagegen schon.
Wir brauchen mehr Spiele, die Cell-Shading oder zumindest ein breites Spektrum an Farben benutzen! Dieser Gedanke schwirrte mir während meiner Nachmittage mit Jet Set Radio ständig durch den Kopf. Natürlich kann man es kaum mit dem bezaubernden The Legend of Zelda: The Wind Waker vergleichen, doch selbst die kruden Anfänge des Comic-Looks überzeugen auch zwölf Jahre nach der Erstveröffentlichung auf SEGAs Dreamcast.
Gleiches gilt für den Soundtrack, der mit seiner Kombination aus J-Pop, Hip-Hop, Funk, Rock und Elektro immer noch aus der breiten Masse hervorsticht und perfekt zum verrückten Stil des Spiels passt. Genau wie damals werden alle Leute im Raum sofort ihre Blicke auf den Bildschirm richten und euch für verrückt halten. Einige beschimpfen sicherlich die Musik für ihre sonderbaren Töne oder hinterfragen euren geistigen Zustand, während sie nach und nach das Zimmer verlassen. Die andere Hälfte schaut weiterhin erstaunt zu, setzt sich neben euch und fragt wenig später zögerlich nach dem Controller. An Jet Set Radio scheiden sich die Geister.
Sobald man beginnt, das eigentliche Spielprinzip zu erklären, erscheinen weitere Fragezeichen in den Augen aller Beteiligten. Oder wie reagiert ihr, wenn man euch das erste Mal erzählt, dass ihr in Jet Set Radio einen von vielen Skatern übernehmt, die verschiedene Stadtteile von Tokyo-to mit Graffitis besprühen und dabei nicht nur gegen die örtliche Polizei ankämpfen, sondern später den Weltuntergang mit Farbdosen verhindern müssen?
Ja, Jet Set Radio gehört zu den seltsamsten Spielen aller Zeiten und genau dafür liebe ich es. Es schwimmt mit voller Überzeugung gegen den Strom und bietet sogar Neulingen noch eine vollkommen frische Spielerfahrung, die, abgesehen vom direkten Nachfolger, bis heute einzigartig geblieben ist.
Um das Erlebnis allerdings genießen zu können, muss man sich dem Titel hingeben, seine Logik akzeptieren und verinnerlichen. Wer jemals ein Tony Hawk oder Aggressive Inline gespielt hat, wird in den ersten Momenten mit Jet Set Radio ein wenig stutzig reagieren. Eure Figuren bewegen sich selbst bei einem Sprint sehr langsam, unterliegen im Sprung einer Art Mond-Physik und die Kollisionsabfrage bei Grinds oder Wall-Rides folgt ihren eigenen, undurchsichtigen Regeln.
So kann es gut passieren, dass ihr euch den Titel anguckt, fünf Minuten Zeit im Tutorial verbringt und danach gefrustet den Controller in die Ecke knallt. Und ich wäre euch dafür nicht einmal böse. Dennoch bitte ich jeden darum, der sich auch nur im Geringsten für das Spiel interessiert, ein wenig Zeit mitzubringen, um sich in die Feinheiten der Steuerung einzuarbeiten. Denn dann erkennt ihr im weiteren Verlauf, dass die gesamte Welt genau auf diese Spiel-Physik aufbaut und dafür modelliert wurde. Plötzlich ergeben die weit auseinanderliegenden Geländer Sinn, wenn man sie mit unmöglich weiten Sprüngen erreicht und irgendwann begreifen eure Finger, wie ihr für einen Wall-Ride auf die Wände zusteuern müsst. Dann fühlt sich jeder ungewollte Kontakt mit dem Boden wie eine Strafe an, die euren Spielfluss zerstört.
Ich verstehe, dass sich nicht jeder Videos auf YouTube ansehen oder ein Areal zwanzig Mal spielen möchte, um das Level-Design zu verinnerlichen, doch die Mühen rentieren sich, sobald ihr das erste Mal durch ein gesamtes Gebiet fegt, ohne den Asphalt zu berühren.
Was mich dagegen bereits damals störte, ist die Einbindung der Polizei sowie weiterer Gegner, die in späteren Missionen auftauchen. In den meisten Missionen besteht euer Ziel darin, verschiedene Wände mit euren Graffitis zu besprühen. Dazu führt ihr mehrere Kreisbewegungen auf dem Analogstick aus, was je nach Charakter einige Sekunden dauern kann. Erwischt euch dabei ein Polizist oder sogar Helikopter, müsst ihr den Vorgang abbrechen, fliehen und erheblichen Schaden einstecken.
Während dieses System in den ersten Arealen funktioniert, schickt man in den letzten Leveln eine komplette Armee hinter euch her. Bis ihr nicht den geeigneten Weg durch den Level gefunden oder euch ein Video angeschaut habt, versucht ihr die Missionen immer und immer wieder, wobei jedes Mal mehr als zehn Minuten draufgehen. Möchte man anschließend den höchsten Rang holen, um mehr Charaktere und Graffitis freizuschalten, kann es schnell ungemütlich werden.
Generell stellt sich der Titel gegen den Spieler, wenn er einzelne Missionen gerne wiederholen möchte. Zwar dürft ihr die wenigen Nebenmissionen nach dem Freischalten unbegrenzt oft probieren, doch für jede Story-Mission gibt es pro Durchgang nur einen Versuch. Wenn ihr also das zweite Kapitel noch einmal spielen wollt, müsst ihr den Durchgang zunächst beenden und dann wieder von vorne beginnen.
Es sind solche kleinen Dinge, die den Genuss des Spieles mindern. Wenn man von mir schon verlangt, für sämtliche Charaktere alle Missionen auf dem höchsten Rang zu beenden, sollte es nicht so umständlich gemacht werden. Nebenbei gibt es auch in dieser Umsetzung keine Möglichkeit, eine Mission direkt neuzustarten. Nein, zuerst müsst ihr zur Charakterauswahl zurück und dann neu starten. Natürlich gefolgt von mehreren Ladezeiten, die im Vergleich zur Dreamcast-Fassung nicht reduziert wurden.
Generell bin ich mit dieser Umsetzung ein wenig unzufrieden. Das Hauptspiel wurde zwar gut portiert und grafisch ein wenig aufpoliert, doch ansonsten tat man nur sehr wenig. Zwei der Menüs existieren sogar nur in einer 4:3-Auflösung. Bei den Extras befinden sich ein paar Songs aus Jet Set Radio Future, diese können aber auch nur im Menü angehört und nicht in die normale Playlist gepackt werden. Selbst die bekannten Abstürze aus der Urfassung treten auf. Da es im Gegensatz zu anderen Leuten bei mir nur einmal passierte, gehe ich stark davon aus, dass diese Umsetzung auf dem verbesserten De La Jet Set Radio basiert, dass SEGA nur in Japan veröffentlichte.
Positiv hervorheben möchte ich dagegen, dass mit Ausnahme eines Songs alle Tracks aus sämtlichen Versionen von Jet Set Radio zusammengetragen wurden. Auch die nette Kurz-Dokumentation über die Entstehung des Spiels rechne ich dem Team hoch an, auch wenn für die aufgezeichneten Spielszenen die alte Auflösung gewählt wurde und es keine Option zum Pausieren gibt. Stattdessen hat es mich drei Versuche gekostet, das Filmchen komplett zu sehen, da ich zwischendurch entweder zur Haustür musste oder einen wichtigen Anruf erhielt.
Doch selbst wenn ich über die mageren Zusätze dieser Version hinwegsehe, bleiben die Probleme am Spielprinzip haften. Die Steuerung wird zwar nicht optimal erklärt und die Kollisionsabfrage bietet so ihre Schwächen, doch hat man sich einmal eingearbeitet, verfliegen die anfänglichen Schwierigkeiten. Was bleibt sind die unglaublich frustrierenden Hauptmissionen, die einen ohne Hilfe aus dem Internet in den Wahnsinn treiben können, wenn ihr nach 15 Minuten kurz vor dem letzten Graffiti von einem Panzer abgeschossen werdet.
Fast all diese Sachen wurden im Nachfolger Jet Set Radio Future für die Xbox korrigiert. Es ist durch die Bank weg das bessere Spiel und baut sämtliche Elemente des teilweise kruden Vorgängers aus. Dennoch empfehle ich allen Interessierten und Liebhabern des Originals, sich den Kauf zu überlegen. Die gefragten 10 Euro sind nicht wirklich viel und selbst mit ein paar Fehlern bleibt Jet Set Radio eines der interessantesten Konzepte. Wer noch nie auf Skates im farbenfrohen Tokyo-to unterwegs war und unkonventionelle Ideen mag, darf dies gerne nachholen.