Joe Danger
"Gefahr" ist nicht sein zweiter Vorname
Joe Danger zu beschreiben, ist einfach. Es sieht aus, als wäre der Typ aus dem Xbox-Live-Arcade-Knüller Trials HD bei seinem letzten Stunt mit dem Helm zuerst durch die Wand zum Super Mario Land gekracht. Und so spielt es sich im Grunde auch: In augenzwinkender Anlehnung an den legendären US-Show-Stuntman Evil Knievel tuckert ihr in Cape und 70er-Jahre-Klamotten durch charmant-plattformerige 2D-Hindernisparcours, während im Hintergrund Hammondorgel, Slap-Bass und Panflöte ein musikalisches Retro-Festival abbrennen.
Ebenso klassisch: Die Steuerung. Ihr justiert mit dem linken Stick lediglich die Achse eures Bikes für Wheelies oder Endos, während Gas und Bremse auf den hinteren Schultertastern liegen. Mithilfe von Schanzen oder Sprungfedern erreicht ihr luftige Höhen, die durch passendes Betätigen der Sprung-Taste noch luftiger ausfallen können, und kassiert dort zahlreiche Goodies. Über die Kombination aus Tippen und Halten der R1- und L1-Tasten führt ihr in der Luft verschiedene Tricks aus. Die sollten allerdings vor eurer Landung beendet sein, wenn die sich gefährlich schnell von unten nähernde, staubige Piste nicht euch beenden soll.
Und wenn es doch mal passiert, steigt Joe Danger umgehend wieder in den Sattel, um es vom letzten Checkpunkt noch einmal zu versuchen. Eine dedizierte Restart-Taste („Select“) gibt es ebenfalls, wenn ihr schon auf halben Wege merkt, dass es dieses Mal mit dem Rekordversuch nichts wird. Wer eifrig auf einem Rad fährt, Tricks sauber kombiniert, landet und an den vorgegebenen Stellen auch mal auf eine andere der drei stets sichtbaren Fahr-Spuren wechselt, füllt seine Nitro-Leiste, mit der ihr schneller fahrt, weiter springt oder in der Luft Kurskorrekturen mittels kurzer Tempostöße vornehmt. Zieht ihr den Lenker weit genug nach oben, lässt sich der Nitro-Boost sogar als eine Art Jetpack zweckentfremden.
Joe Danger ist im Herzen ein Erlebnis für einzelgängerische Stuntmen. Auf jeder Strecke könnt ihr verschiedene Ziele erreichen, um euch Münzen zu verdienen, mit denen ihr wiederum weitere Events freischaltet. So müsst ihr etwa alle Sterne innerhalb eines Levels einsammeln, einen versteckten, goldenen Stern finden, nach jedem Sprung auf einer Zielscheibe landen oder durch die gesamte Strecke hinweg eine Trick-Kombo aufrechterhalten (die dankenswerterweise auch durch die recht einfachen Wheelies und Endos verkettet werden können). Verschärfte Varianten dieser Ziele, bei denen ein Zeitlimit zur Eile gemahnt sind jeweils ebenfalls mit von der Partie und auch Rennen gegen einige konkurrierende Waghälse auf den Nebenbahnen werden geboten. Joe Danger hat viele Gesichter.
Das liegt auch daran, dass sich Natur und Tempo für einen Titel dieser Gattung angenehm häufig ändern. Das im direkten Vergleich mit Trials HD ohnehin schon deutlich entspanntere Joe Danger mutet bei den Münzen-Aufgaben, die ohne jegliche Form von Zeitdruck ablaufen, geradezu wie ein diametraler Gegenentwurf zu dem knallharten Xbox-Live-Titel an. Bei der Konkurrenz verspürte man hin und wieder den Drang, sich ob der eigenen Unfähigkeit im Angesicht des gemein-perfektionistischen Streckendesigns die Fingernägel mit einer Rohrzange herauszuziehen. Oder bin ich da der Einzige? Jedenfalls wird Joe Danger bei seinen verhältnismäßig relaxten Aufgaben vom Excitebike- und Motocross-Maniacs-Hybriden beinahe schon zu einem Plattformer – ohne von seinem Motorrad abzusteigen.
Dieses Gefühl wird auch von der Möglichkeit unterstrichen, sein Bike selbst noch in der Luft mit Gas und Bremse (und unter Zuhilfenahme der Salti) ein beachtliches Stück zu steuern. Allgemein verzeiht Joe Danger auch kleine Imperfektionen beim Landen, Springen und Überschlagen und spielt sich dadurch umso flotter. Und wenn es dann darum geht, unter einer heruntertickenden Uhr eine komplette Strecke mit Tricks zu überbrücken, wähnt man sich trotzdem beinahe in einem vollkommen anderen, härteren Spiel. Wem einige Münzen zu schwer sind, der findet Trost in der Tatsache, dass man lange nicht alle Taler braucht, um in der Kampagne voranzukommen. Stellt die härtesten Nüsse einfach hinten an und versucht sie später noch einmal.
Anreiz gibt es jedenfalls genug. Die nächste Münze ist immer zum Greifen nah und durch Streckenkenntnis erzielt man schnell echte Fortschritte bei der Münzenjagd. Das mag zwar auch daran liegen, dass die Kurse selbst nach einer Weile nicht mehr wirklich überraschen und etwas von der respekteinflößenden Übertriebenheit und den "Das-kann-doch-nicht-ihr-Ernst-sein!?"-Momenten eines Trials HD vermissen lassen, bei denen schon das Zuschauen zum Hochgenuss geriet. Trotzdem treibt es einen ohne Unterlass durch das überaus charmante Enduro-Potpurri des britischen Mini-Entwicklers Hello Games. Das nur vier Mann starke Team hat es sich nicht einmal nehmen lassen, dem Titel einen ebenso komfortablen wie potenten Editor mitzugeben, mit dem man problemlos gut spielbare Eigenkreationen erschafft und mit Freunden teilt.
Natürlich geht dem freundlichen Knochengeknacke etwas die fürchterliche Vehemenz der Trials-Crashes ab, bei denen man regelmäßig einfach mitschreien, -jaulen und -heulen musste. Und der Verzicht auf eine Hochlade-Funktion für Replays oder Geister schmälert den Reiz, sich in den Online-Ranglisten hochzuarbeiten, schon spürbar. Doch abgesehen davon hat Hello Games hier einen im besten Sinne videospieligen Einstand abgeliefert, der in Sachen Stil, Optik und Geist Vergleiche mit Nintendo-Produktionen alter Tage nicht scheuen muss.
12,99 Euro kostet der Spaß – ein Preis, mit dem ihr in erster Linie nicht diesem talentierten wie sympathischen Entwicklerteam einen großen Gefallen erweist, sondern euch selbst.
Joe Danger ist derzeit noch PS3-exklusiv. Allerdings ist die 360-Version intern bei Hello Games schon "Up-and-Running" und deshalb wohl vom Erfolg der PS3-Version abhängig.