Skip to main content

Jusant im Test: Was Tomb Raider und Uncharted von Don't nods neuem Spiel lernen können

Du und der Berg.

Majestätischer Ausblick, intensives Klettern, spannende Spielwelt: Jusant ist kurz, hinterlässt in dieser Zeit aber mächtig Eindruck. Ich wünsche mir mehr solcher kluger Klettermechaniken.

Ebbe. Das ist die Antwort auf die Frage, die ihr euch vermutlich als Erstes stellt, wenn ihr von dem neuen Don’t nod-Spiel hört. Also: “Jusant” ist französisch für “Ebbe” und sobald man die ersten Szenen dieses ruhigen neuen Kletterabenteuers hinter sich hat, weiß man auch warum.

Da steht man nun, auf dem Grund von dem, was einmal ein endloses Meer gewesen sein muss. Zwischen den Gerippen ausgeblichener Riffe und Booten, die hier fremder wirken, als gelandete Ufos brutzelt man unter der unbarmherzigsten Videospielsonne seit Jahren. Vor der wortlosen Spielfigur und ihrem rundlichen Sidekick eine gigantische Steinsäule, die irgendwo im Himmel endet. Glaubt ihr zumindest, denn ganz sicher, ob sie irgendwann aufhört, seid ihr euch nicht, als ihr begreift: Da müsst ihr hoch.

Regelmäßig macht ihr Halt in verlassenen Dörfern und anderen Überresten dieser Zivilisation.

Das ist eigentlich der Punkt, an dem ich dieses Review am liebsten beenden würde, denn um viel mehr als den Weg nach oben geht es hier nicht. Den sollte man selbst hinter sich bringen, denn jeder Meter dieser vier bis fünfstündigen Reise ist ein Genuss. Fiel Don’t nod in der Vergangenheit eher durch erzähllastige Spiele nach Telltale-Vorbild (Life is Strange) auf, darf man nicht vergessen, dass sie auch Titel wie Remember Me und Vampyr um eine Handvoll fesselnder Ideen herum zu spannenden, wenn auch imperfekten Erlebnissen machten. Wenn es um das rein Spielerische geht, ist Jusant nun ihr bester Titel.

Dabei probiert dieses ruhige Spiel übers Klettern eine gigantische Felsstruktur hinauf gar nicht so viel. Die beiden Sachen, auf die es sich konzentriert, gelingen ihm aber exzellent: Das Erzählen allein über die Umgebung dieser Welt bekommt Jusant schon meisterlich auf die Reihe, aber die Klettermechanik schießt wirklich den Vogel ab. So sehr, dass ich mich frage, ob es nicht an der Zeit ist, dass auch die Altmeister dieses Genres von Lara Croft bis Nathan Drake sich zumindest ein paar Ideen hiervon abschauen.

Nicht falsch verstehen: Ich will gar nicht in jedem Spiel so haargenau darüber nachdenken, wie und wo ich nun einen Felsen hinaufkomme. Aber die Automatismen, die Videospiele mit Klettermechaniken die letzten Generationen angenommen haben, drücken jedwede Spannung aus einem eigentlich gefährlichen und aufregenden Akt. Den sähe ich für kommende Abenteuer gerne wieder ein wenig involvierender, denn Jusant zeigt, dass Klettern allein auch zum zentralen Spielinhalt taugt.

Briefe und Wandmalereien erzählen die Hintergrundgeschichte Hand in Hand mit der Gestaltung der Welt.

Klettern in Jusant ist keinesfalls kompliziert oder gar schwierig. Im Grunde dreht sich alles darum, mit dem linken oder rechten Trigger ein Signal an die jeweilige Hand zu senden, dass sie sich festhalten soll. Den Rest regelt der Stick (Richtung des Griffes, der es sein soll), ein Wandsprung sowie eine Taste fürs Händeausschütteln zur Ausdauer-Regeneration. Eine weitere benötigt man, um einen von drei zusätzlichen Haken in der Wand zu platzieren, damit man nicht komplett bis zum Start zurückfällt, sollte man abstürzen.

Tatsächlich kommt auch hier ein ausgezeichneter Spielfluss auf und gegen Ende der Reise raste ich geradezu den Fels hinauf und fühlte mich dabei extrem elegant. Aber es macht eben einen Unterschied, wenn ich mir bewusst bin, in welcher Ritze oder an welchem Vorsprung welche Hand gerade Halt findet – man ist nicht mehr im Autopilot unterwegs und sucht den weiteren Weg aufmerksameren Augen ab als gewöhnlich.

Außerdem will Jusant, dass ihr diese Aktionen klug kombiniert. Kommt ihr am Ende eines Überhangs an und euer Ziel ist in weiter Ferne? Setzt einen Haken, seilt euch ein Stück ab und schwingt am Seil auf die andere Seite. Es ist extrem befriedigend und auch optisch reizend, wie hier Animationen und Steuerung ineinandergreifen und wie sich die Spielfigur der Position ihrer Gliedmaßen zum Fels bewusst ist. Die schwindende Ausdauer ist nur selten ein wirkliches Problem. Sie ist eher ein Anreiz, sich die Reise gedanklich vorzuportionieren und regt dazu an, seinen weiteren Weg zu erkennen. Wer selbst mal ein bisschen bouldern war oder vom Toprope baumelte, wird sich jedenfalls sehr wohlfühlen, in Jusant.

Das Klettersystem dürfen andere Games gern kopieren.

An anderen Stellen kommen euch Flora und Fauna zugute, wenn Steinkäfer gewissermaßen selbsttätig den Berg erklimmende Handgriffe sind oder Pflanzen durch den Gesang eures kleinen, niedlichen Begleiters in die Höhe wachsen – und euch dabei gleich mitnehmen. Überhaupt: Das kleine, blaue Glubschding sieht so niedlich aus, wie man nur sein kann, wenn die treffendste Umschreibung, nüchtern betrachtet, “Speckmade mit menschlichem Hintern als Gesicht” lautet. Aber die Bilder sagen euch ja alles, was ihr wissen müsst.

Vor allem, dass Jusant einfach toll aussieht. Es hat schlicht etwas Majestätisches, wie gut der Höheneindruck und die Größe des Massivs dargestellt sind. Die Sonne wirft ein schonungsloses Licht selbst in die hinteren Ritzen dieser toten Welt und während ihr so darin nach Tagebucheinträgen oder Briefverkehr vielleicht nur Weggezogener, vermutlich aber Verstorbener stochert, nimmt das Spiel immer mal auch wieder den Vorwärtsgang raus. Das gerät ihm nicht immer zum Vorteil, sind doch diese Schriftstücke auf diese kurzen Pausen konzentriert und manches Mal zog es mich einfach nur weiter. Aber solche Dinge sind da, für diejenigen, die lieber lesen als ich.

Das Heldengespann: Immer mit dem Blick nach oben.

Die in Unreal Engine 5 gestaltete Welt steckt voller interessant verklüfteter Geometrie und Resten des Lebens, das hier einmal war. Selbst in ihrem Verzicht auf Texturtapeten wirkt das alles extrem plastisch, was man hier sieht und man erfährt viel über die Umgebung und diejenigen, die sie bevölkerten, wenn man offenen Auges durch Klippendörfer und Einsiedlerhütten zieht. Ich liebte vor allem diese Kluften, in denen Elefanten-große, fossile Ammoniten wie Wandmalereien die Steilwände zierten. Es macht ein bisschen traurig, hier zu sein. Auch angesichts des ungewissen Ziels, aber irgendwie fühlt man sich auch zu Hause hier und ich denke, das hat Methode.

Kritisieren ließe sich in meinen Augen – neben den Briefen, die zwar gut geschrieben sind, in meinen Augen aber das Spiel ab und an bremsen – dass man mehrfach an der Geometrie des Levels festhängen kann. Und zwar so feste, dass ich häufiger kurz dachte, der Controller sei ausgegangen. Dies passierte mir allerdings nur, wenn ich am Boden unterwegs war. Die meiste Zeit hängt man in der Wand. Da passiert es nicht.

Die Stimmung erinnert an Journey oder Team-Ico-Produktionen. Aber mit entschieden europäischem Einschlag.

Jusant – Fazit:

So traurig auch die Stimmung von Jusant ist, so sehr ist das Spiel an sich doch eine Wohltat. Ich frage mich schon länger, auf welchem Wege man das Klettern in Videospielen mal etwas weniger trivial gestalten könnte und da kommt nun endlich Don’t nods Jusant daher und hat mal eben eine Patent-fähige Lösung im Gepäck. Das Ergebnis ist ein schlankes, elegantes Erkundungsabenteuer, den Blick immer in die Wolken gerichtet. Auf Fans von Ico oder Journey dürfte Jusant schwer Eindruck machen. Ein kurzes Erlebnis, aber so imponierend wie der erste Blick die steinerne Säule hinauf, deren Dach das ungewisse Ziel dieser Reise darstellt.

Jusant
PROCONTRA
  • Exzellente Klettermechanik, die gerne Schule machen darf
  • Fantasievolle und spannend gestaltete Welt
  • Optisch auffällig hübsch
  • Elegant-kompaktes Abenteuer ohne viel Ballast
  • Geometrie, in der man manchmal hängenbleibt
  • Erzählung durch Briefe und Tagebücher etwas angestaubt

Schon gelesen?