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Just Cause 4 - Test: Explosionen sind sein Geschäft

Jetzt muss Rico nur noch lernen, es dabei zu belassen.

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Man bleibt sich treu: Jede Menge Freude mit neuen Spielzeugen in der bunten Explosions-Chaos-Sandbox, verpackt in einer eher mauen Story.

Ich habe selten ein Spiel erlebt, das so sehr darauf bedacht war, mir die Dinge zu zeigen, die es nicht gut macht, und es mir dann selbst überließ herauszufinden, warum es eben doch ein richtig gutes Spiel sein kann. Zugegeben, es ist Teil vier, inzwischen weiß man, was Just Cause gut kann, insoweit war das keine Überraschung. Die kurze und effektive Formel lässt sich in dem Schlachtruf an den Spieler "Blow shit up!!!" zusammenfassen und wenn man sich daran hält, dann ist dieser neue Teil der Rico-Saga ohne Frage der vielseitigste Kandidat bei der Umsetzung dessen.

Aber irgendwo auf dem Weg haben die Spieldesigner vergessen, dass das ausreicht, wenn man es so gut macht wie hier. Früher genügte es völlig, einfach von einem Gebiet ins nächste zu fliegen, Gebäude der Bösen an markierten Punkten zu zerballern und irgendwann verlor das Böse die Kontrolle über die Region. Macht sogar logisch Sinn, schließlich brauchen auch finstere Overlords eine Infrastruktur und die ist nun mal der erklärte Erzfeind, den Rico schon als Baby schwor zu vernichten, während er aus seinem Brei und seinem eigenen Sabber Semtex anrührte. Was eine bessere Geschichte ist als die, die euch in diesem Spiel erzählt wird. Im vierten Teil wurde die Progression strikt an Missionen gebunden, die ihr erfüllen müsst, damit auf einer Fake-Taktik-Karte Truppen der Guten vorrücken und das Gebiet einnehmen.

Eine neue Welt, ein altes Ziel: Dinge, die rot angemalt sind, explodieren lassen.

Allein dieser Taktikteil fällt komplett in die Kategorie "nur zum Angucken, bloß nicht anfassen". Wenn ihr eine Mission in einem Gebiet erfüllt habt, dann heißt es, auf die Karte gucken, das neue Areal anklicken und so die Truppen verschieben. In der Spielwelt gibt es eine Grenzlinie, die sich dann verschiebt, an der sich Gut und Böse endlos beharken. Und ich meine endlos, denn alles, was diese Grenze weiterbewegen kann, ist Ricos nächste Mission. Das Spiel will scheinbar so tun, als gäbe es Truppen, Grenzen und Bewegungen, aber nichts davon ist wahr, alles nur Schatten und Rauch. Die manchmal bei Nacht cool aussehen, wenn in diesem Sisyphos-Albtraum der beiden Fraktionen ein böser Panzer eine Raketenstellung unter Beschuss nimmt. Ein schönes Bild für "Krieg ist die Hölle", denn Erlösung kann niemals kommen, solange der Avatar dieser Welt sich nicht rührt.

Beide Seiten in einem endlosen Patt gefangen, solange Rico sie nicht davon erlöst ...

Macht nichts. Viele Worte um letztlich nichts. Schlimmer ist, dass die Missionen ganz oft nicht zu wissen scheinen, was Just Cause noch nie wirklich gut konnte: Shootern und Autofahren. Ihr sollt euch auf Fahrzeuge stellen, diese beschützen, während eine gleichmäßig unterirdische KI mit unfehlbaren Todessnipern und sonst unfähigen restlichen Truppenteilen euch unter Beschuss nimmt. Aber keine Sorge, nicht nur das Böse ist hier zu blöde, die eigene Seite steuert auch gern öfters in den Untergang, eine Wand, zwischen zwei Pfeiler und bleibt hängen oder tut sonst was, um euch zu ärgern und den Missionsneustart einzuleiten. Mit anderen Worten, auch nicht groß anders, als man es von der Reihe kennt. Wenn etwas koordiniertes, gescriptetes in Just Cause erzwungen werden soll, geht es meist daneben und nicht auf die gute Art.

... indem er auf der Karte einmal klickt. Nein, hier steckt kein Strategiespiel drin und ich wüsste auch nicht, was es hier verloren hätte. Komisch nur, dass die Karte das manchmal zu denken scheint.

Aber vergesst das alles. Okay, nicht ganz, schließlich muss man die Missionen spielen, die ganz ordentlichen wie die schlechten, die sich in etwa die Waage halten. Aber auch durch die ganz Furchtbaren kommt man durch und denkt nicht ein zweites Mal dran. Was dazwischen - und manchmal sogar auch in den Missionen - passiert, ist wie immer das Beste: Der Spaß, den ihr euch selbst sucht. Über die Missionen schaltet ihr euch nach und nach immer mehr Lieferungen frei, von Handfeuerwaffen bis zum Jumbo-Jet lässt sich alles abwerfen - ... wie ist es möglich, dass eine 747 eine andere 747 abwirft ... ? -, damit sucht ihr euch eine gegnerische Basis und legt los. Der Rest ergibt sich von allein, vor allem, wenn ihr nicht nur ballert.

Das Gimmick seit jeher ist Ricos Enterseil, das wieder eine Reihe neuer Features bekam. Meine persönlich größte Freude ist es zwar nach wie von Hubschrauber zu Hubschrauber zu schwingen, einen nach dem anderen zu kapern und bevor es wieder Boom! macht, sich in das nächste mit Geschützen bewehrte Gefährt abzusetzen. Könnte ich den ganzen Tag machen. All die Trümmer, all die Schreie meiner Feinde, wundervoll.

Es gibt eine Reihe meist ganz spaßiger Nebenbeschäftigungen, wie alte Ruinen plündern oder Stunts fahren, um Fahrzeuge freizuschalten.

Wer aber kreativer sein möchte, dem sind nun noch wenige Grenzen gesetzt. Dass ihr Seile spannen könnt, die sich zusammenziehen, zum Beispiel zwischen zwei Hubschraubern, ist aus dem Vorgänger bekannt, das geht nun auch noch mit Boostern für mehr Boom! Neu ist dagegen der Trick, pro Beschuss einen Ballon an ein Objekt zu tackern und dieses so losschweben zu lassen. Egal wie groß oder schwer, packt genug Ballons ran, irgendwann hebt alles ab. Ich verbrachte eine halbe Stunde damit, alles, was in einer Basis nicht angenagelt war, davonschweben zu lassen, um es dann aus großer Höhe fallenzulassen. Was diesen Spaß noch vergrößerte, das waren Booster - ein weites Enterhaken-Feature -, die ich an die flüggen Dinge tackerte, und diese dann zu zünden, als es in den freien Fall ging. Wie kreiselnde Feuerwerkskörper trudelten die Panzer, Tanks und alles Mögliche in Bergwände, kleine Ortschaften, oder weitere explosionsfähige Dinge. Manchmal trafen sie sich sogar in der Luft. Es war das Schönste, was ich je in einem Videospiel sah. Nun, nicht wirklich, aber ich hatte richtig viel Spaß, mehr als mit allen Missionen zusammen.

Oder man sucht sich seinen Spaß selbst und lässt einen Panzer fliegen, um besser auf Kühe zu schießen.

Und das ist ein wenig die Crux von Just Cause 4. Es ist die perfekte physikbasierte Sandbox in einer sich fantastisch anfühlenden offenen Welt, die ein simples, aber glückliches eigenes Leben zu führen scheint, zumindest bis ihr des Wegs kommt. Und dann bricht die Hölle los, während ihr mit euren Kabeln, Ballons, Boostern und Massen an Knarren alles zerpflückt, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Dieses Spiel ist in Sachen seiner Welt sogar so altmodisch, dass es jeden Zivilisten und Verbündeten vom Start weg zum Kollateralschaden eurer Spielwut erklärt und sich in keiner Weise darum kümmert, wen es erwischt. "Hey, ich bin ein Videospiel, wenn Du moralisch sein willst, dann bitte, aber lass' mich damit in Ruhe!" Nun, ich sage: "gut so!" Schade, dass es trotzdem eine Story und vor allem Missionen gibt, aber gut, Struktur muss wohl auch ein wenig sein und zur Ehrenrettung muss man sagen, dass Rico bis heute seine Coolness wahren konnte. Er ist einfach der Typ, dem man all das abnimmt.

Was die Leute um ihn herum angeht ... Nun, alles schon mal gesehen, alles schon dagewesen, Klischees und Abziehbilder, erzählerische Inkonsistenzen und holprige Zeilen inklusive. Kann man alles wegdrücken, sollte es euch irgendwann auf den Keks gehen und keine Sorge, ihr werdet der Story um einen Super-Söldner-Konzern, ihre Wettermaschine und die rebellischen Neon-Punks auf der Insel schon noch nachvollziehen können. Kommen wir lieber zu erfreulicheren Dingen zurück und dazu, warum Just Cause 4 so ein sonniger Fleck in meiner aktuellen Spielwelt ist: Statt diese Wettermaschine auf drei Missionen zu beschränken, scheint sie 24-7 im Dauerzustand zu laufen.

Mit dem Tornado tanzen.

Ihr habt drei Gebiete auf einer großen Insel: Eine Graslandschaft, eine Wüstengegend und einen großen Dschungel. Im ersten Gebiet testen die Bösen einen Dauer-Tornado, der fröhlich und ganz nach eigenem Gusto über die Landschaft wandert. Er meidet dabei größere Basen oder Städte, aber wehe dem Dorf oder kleinen Tanklager, das ihm im Weg steht. Autos, Boote und alles sonst werden in dem physisch aufwändig simulierten Tornado hochgezogen. Auch Rico, der wieder mit Wingsuit und Fallschirm nach Belieben hantieren darf, kann die Winde des Tornados für Stunts nutzen. Es macht richtig Laune, damit praktisch ewig zu gleiten, denn immer, wenn ihr zu viel Höhe verliert, steift ihr den äußeren Bereich, lasst euch nach oben treiben und erkundet so weiter die Welt. Es ist Freude am Spielen selbst, nicht gebunden an Missionsmarker oder Punkte, was hier Just Cause 4 beflügelt und von seiner besten Seite zeigt.

Der Sandsturm in der Wüste hat auch seinen Charme, vor allem, wenn ihr die starken Bodenwinde zusammen mit den Haken-Seil-Features nutzt: In dem undurchsichtigen Chaos generische Vehikel, Tanks und sonst was man so findet, zu verknüpfen und zusammenrauschen zu lassen, zu sehen, wie der Sand sie verschluckt und die Explosion nur ein Lichtschimmer und ein dumpfes Donnern sind, das hat schon was. Und über dem Dschungel durch einen Gewittersturm mit einem Leichtflugzeug zu lenken ist der ultimative Pilotenalptraum, aber ein echtes Erlebnis in einem Videospiel. Ich könnte Stunden durch diese drei Extrem-Wetter kreuzen und werde es sicher auch noch tun.

Gut, dass nur ein Passagier an Bord ist.

Was dann endgültig meinen Freestyle-Pakt mit dem Spiel besiegelt, das ist die Art, wie Rico sich bewegt. Nicht zu Fuß, da ist er eine lahme Ente. Auch das Ballern ist eher mau, wenig Wucht hinter den Waffen, eher funktional als alles andere. id Software kann da sicher Avalanche bei einem anderen Spiel noch viel beibringen. Nein, es ist das Anlauf nehmen mit dem Enterhaken, dabei den Fallschirm ausfahren, ein wenig an Höhe gewinnen, zum Wingsuit wechseln und vielleicht in den nächsten Sekunden einen Heli kapern, nur um diesen auf Höhe zu bringen und den Wingsuit erneut auszufahren. Und Höhe könnt ihr gewinnen, bis die Erde sich am fernen Horizont krümmt und ihr wisst, dass all das da unter euch euer Spielplatz ist. Und er ist glorreich. Alle drei Zonen sehen hinreißend aus, der Detailgrad ist noch einmal deutlich gestiegen und Tiere wandern umher. Es ist jetzt nicht gerade ein Red Dead und vor allem darf man an nichts zu nah herangehen. Aber bei einem Spiel, das so sehr auf schnelle Bewegungen setzt, über weite Distanzen hinweg, bei dem ihr nach einem eher mittelmäßigen Nahkampf am Boden von einer Sekunde auf die nächste in Hundert Metern Höhe in einem verknüpften Netz aus Boostern, Kabeln, explosiven Gegenständen weitermacht, geht das mehr als nur in Ordnung.

Am Ende des Tages Ricos Lebenselixier: Explosionen, egal wie, Hauptsache es rumpelt.

Just Cause 4 ist ein wilder Ritt. Vor allem, aber nicht nur in den immer wiederkehrenden besten 20 Minuten ever, in denen ihr es liebt, wenn ein Plan nicht funktioniert, aber trotzdem total wilde Dinge passieren und alles um euch herum in die Luft fliegt, als gäbe es kein Morgen. Es ist ein schräger Mix aus einem sicher nicht perfekten, aber fast endlos unterhaltsamen Sandkasten der Zerstörung und seinem unverständlichen Wunsch, eines Tages ein richtiger Junge zu sein - ich meine natürlich ein Story-getriebenes Open-World-Spiel mit schlüssiger Progression. Nun, Just Cause 4 ist auch das, aber dabei nicht besonders gut. Auch nicht schlecht, da gab es schon andere Kandidaten, aber das, was dieses Spiel so lohnend macht, sind die Momente, in denen ihr vom Skript abweicht, egal ob es euer eigenes war oder das einer halbgaren Story-Mission. Wie diese Serie nicht einfach ihre wahre Bestimmung akzeptieren kann und sich zum ultimativen Explosivbaukasten mit coolem Avatar in hübscher Buddelkiste aufschwingt, werde ich nie verstehen. Nun, mehr als genug davon steckt auch hier drin, um es immer noch genau dafür zu lieben. Und das ist Grund genug für mich, um es euch für die gute Laune, die man sich selbst suchen muss, ans Herz zu legen.


Nachdem ich jetzt auch die Konsolen-Versionen spielen konnte: Weder auf X noch auf Pro gibt es Probleme. Das Textur-Streaming ist ein wenig langsamer, wenn man schnell und tief fliegt, aber die Framerate ist stabil und flüssig und es gibt nicht diesen extremen Bewegungsunschärfe-Effekt, der den dritten Teil fast ruinierte. Der Detailgrad, Filterung und Ähnliches liegt auf etwa zwei Drittel der maximalen Möglichkeiten am PC und sieht immer noch sehr gut aus. Da wir "leider" komplett ge-updgraded haben, muss ich mir jetzt noch eine PS4 Classic suchen, aber auf den großen Konsolen läuft Just Cause 4 wie es soll.


Entwickler/Publisher: Avalanche/Square Enix- Erscheint für: PC, PS4, Xbox One- Preis: 60 Euro - Erscheint am: 4. Dezember - Sprache: Deutsch - Mikrotransaktionen: ja - Getestete Version: PC


PC-Spiele testen wir auf Lenovo Legion PCs und Laptops, die uns von Lenovo zu diesem Zweck zur Verfügung gestellt wurden. Hier erfahrt ihr mehr über Gaming-Laptops 2018 im Allgemeinen und hier geht es zur Website von Lenovo Legion Gaming.

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