Keiji Inafune und die japanische Spieleindustrie
Der Altmeister teilt aus
Und nicht nur das, selbst in ein paar japanischen Königsdisziplinen laufen die Amerikaner den Japanern den Rang ab: Den 2D-Titeln des kleinen US-Entwicklers WayForward Entertainment konnte visuell kaum ein japanischer Titel auf Heimkonsole etwas entgegensetzen.
Kein Wunder, dass japanische Publisher hier hellhörig werden: Wenn ein Halo 3 trotz völliger Bedeutungslosigkeit in Japan weltweit weit über acht Millionen Exemplare absetzt, dann ist das ein deutliches Zeichen und auf einmal ein Maßstab, in dem man auch gerne rechnen würde. Das führte zu zwei Reaktionen: Bei Square Enix stellte man Teams ab, um Spiele extra für den westlichen Markt zu entwickeln – so richtig wollte das wie bereits angesprochen freilich nicht gelingen.
Auch der zweite Ansatz war zunächst nicht allzu erfolgreich: So mancher japanische Publisher, nicht zuletzt auch Capcom, ging Kooperationen mit westlichen Entwicklern ein, um Spiele mit weltweitem Appeal zu produzieren. Auch hier waren echte Erfolge eher die Ausnahme, denn Titel wie Dark Void, Bionic Commando oder Silent Hill: Homecoming überzeugten weder qualitativ noch finanziell.
Tatsächlich scheint dieser zweite Weg aber gar nicht mal so falsch zu sein: Die zweite Welle von japanisch-westlichen Koproduktionen, darunter Titel wie das vom britischen Entwickler Ninja Theory für Namco Bandai entwickelte Enslaved oder das gerade getestete, bei Blue Castle Games in Kanada in Zusammenarbeit mit Capcom entstandene Dead Rising 2 machen einen weitaus vielversprechenderen Eindruck.
Die japanisch-spanische Gemeinschaftsarbeit Castlevania: Lords of Shadow steht ebenfalls gerade in den Startlöchern und der beim eben bereits erwähnten UK-Entwickler Ninja Theory entstehende Devil-May-Cry-Reboot DmC mag die alten Fans mit dem neuen Design von Held Dante vielleicht verschreckt haben, tatsächlich zweifelt aber kaum jemand daran, dass die Briten gemeinsam mit Capcom am Ende doch einen tollen Titel abliefern werden.
All das soll jetzt natürlich noch lange nicht heißen, dass Japan den kreativen Bankrott anmelden muss – Nintendo feiert mit seine großen Titeln weltweit kolossale Erfolge, Entwickler Atlus mausert sich mit den Shin-Megami-Tensei-Spielen und dem frisch angekündigten Catherine mehr und mehr zur intellektuellen RPG-Avantgarde und die Titel von PlatinumGames sind allesamt spielerisch und ästhetisch auf ihre Art wegweisend, auch wenn sich an so manchem Titel doch die Geister scheiden.
Daher können wir Inafune-san letzten Endes nicht wirklich zustimmen. Ja, Japans Industrie war schon mal besser beisammen und risikofreudiger, trotzdem liefern die besten Studios nach wie vor beständig höchste Qualität ab, egal ob sie nun Nintendo, Game Republic, PlatinumGames oder Capcom heißen.
Einerseits ist es eine gute Entwicklung, dass japanische und westliche Entwickler heute näher denn je zusammenarbeiten und potentiell herausragende Titel wie Castlevania, Enslaved oder Majin: The Forbidden Kingdom sind eine echte Bereicherung für die Welt der Videospiele. Trotzdem täte manch ein japanisches Studio gut daran, weniger neidisch auf die Erfolge eines GTA, Call of Duty oder Halo zu schauen, und sich stattdessen wieder mehr auf die eigenen Stärken zu konzentrieren. Es muss nicht immer Ego-Action, Realismus und Open World sein!
Und so bringt erneut Atsushi Inaba, Produzent von Ausnahmetiteln wie Bayonetta und Vanquish, die Sache letzten Endes schön auf den Punkt: "Was Keiji Inafune mit seinen Behauptungen wohl vor allem anprangern wollte, ist die Tatsache, dass viele japanische Entwickler und Publisher heute jegliches Risiko scheuen und lieber auf Nummer sicher gehen, indem sie Fortsetzungen bestehender Reihen oder Umsetzungen populärer Lizenzen produzieren. Aber ich habe kein großes Interesse daran, japanische und westliche Entwickler zu vergleichen. Alles was es gibt, sind gute und weniger gute Entwickler." Und was hat der Mann? Recht hat er.