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Keine Angst vorm großen Spiel: Baldur's Gate 3 ist auch in kleinen Dosen ein absolutes Privileg

Aka: Der Artikel, den ihr lesen wollt, wenn ihr euch fragt, was denn nun mein Spiel des Jahres ist...

Ihr kennt das sicher: Ein Spiel ums andere zieht an euch vorbei, ohne dass es die Zeit von euch bekommt, die ihr ihm eigentlich gern schenken wollt. Das trifft besonders oft große, abendfüllende Abenteuer, Strategieschinken oder Rollenspiele. Der Tag hat nun mal bloß 24 Stunden, eine Woche ist nach sieben Tagen rum. Was da nicht reinpasst, fällt hinten rüber. Bei mir sind es – auch berufsbedingt – mittlerweile buchstäblich Hunderte.

Zeitweilig, bevor es herausgekommen war, hatte ich befürchtet, auch Baldur’s Gate 3 wäre eines dieser Spiele, die unmöglich ins Leben eines zweifachen Familienvaters mit maximal breit gefächertem Spielegeschmack passen. Doch irgendwie finden wir – Larians Meisterwerk und ich – immer wieder Platz füreinander. Selbst, wenn es nur eine Stunde ist. Dieses Spiel ist so Pile-of-shame-resistent – es scheint, als hielte eine physikalische Gesetzmäßigkeit es davon ab, zwischen all den Anderen unterzugehen.

Woran das liegt? Nun, vielleicht daran, dass dieses Spiel trotz allen Umfangs, trotz aller kniffligen Kämpfe und trotz diverser Situationen, in denen man die eigentliche Handlung bestens aus den Augen verlieren kann, meine Zeit mehr respektiert als die meisten anderen. Das Wieso liegt im Netzwerk feinzahnig verschränkter Entscheidungen und Reaktionen der Figuren und Welt auf mein Handeln begründet.

Baldur's Gate 3 in Bildern

Als Vollblut-Rollenspiel, im Pen-and-Paper-Sinn nicht in der “Alles ist ein RPG”-Deutung, der Videospiele heutzutage anhängen, hat es selbst auf einige meiner abseitigeren Ideen Antworten parat und bricht damit aus eingefahrenen Gaming-Strukturen aus. Mir zeigt das, es lohnt sich, genauer über Mechanismen, Fähigkeiten und Figurenkonstellationen nachzudenken. Wirkungen auch abseits direkter Schadeffekte, Erfolgs- oder Misserfolgs-Resultate zu beurteilen. “Bedeutsamkeit”, “Konsequenz” sind ein paar farbige Begriffe, die mir durch den Kopf schwirren, wenn ich an Baldur’s Gate 3 denke.

Und weil man häufiger bedeutsame Entscheidungen trifft, im Großen wie im Kleinen, unentwegt Charakterbeziehungen vorantreibt, und regelmäßig spannende Figuren kennenlernt, habe ich auch in Sessions, die weiter auseinanderliegen, das Gefühl, etwas geschafft und erlebt zu haben. Und die müssen nicht unbedingt bis drei in die Nacht gehen. Nie wirkt ein Weg wie verschenkte Zeit, keinen Dialog klicke ich einfach nur so weg. Ich bin sogar in der Lage, mir Namen von Figuren und Orten zu merken, die nur am Rand erwähnt werden, speichere selbst ihren Kontext. Dinge, die mir in vielen anderen Games durch die Finger rinnen wie Zuckerwatte im Regen.

Was ich sagen will, schätze ich: Baldur’s Gate 3 hat Textur, ein Profil, das verhindert, dass es an mir abgleitet. Es klebt an mir und ich an ihm – wenn es nach mir geht, darf das ewig so bleiben.


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