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Kentucky Route Zero Akt 1 – Test

Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft?

In den letzten Wochen verlasse ich gegen Mitternacht öfters das Haus, um in den Straßen der ruhigen Kleinstadt spazieren zu gehen. Ich wähle absichtlich Wege, in denen weder Autos fahren noch andere Leute zu finden sind. Die stille Isolation in Verbindung mit der Dunkelheit wirkt schon fast unheimlich beruhigend auf mich. Ich kann nur schwer erklären, warum, doch während dieser Minuten kann ich klare Gedanken fassen und meine Umgebung trotz verschlechteter Sicht besser wahrnehmen.

Genauso erging es mir bei Kentucky Route Zero. Auch dort führt die Isolation des Charakters in einer alltäglichen Welt, die dennoch irgendwie fremd wirkt, zu einer beruhigenden Atmosphäre, obwohl nicht wirklich viel passiert. Beim Spielen achtet ihr eher auf die wunderbar erstellten Hintergründe sowie die Wechselwirkung von Licht und Schatten. Ihr taucht für eine kurze Zeit hinein, lasst euch ohne Druck führen und genießt die Reise, ohne wirklich zu verstehen, warum es euch gefällt. Vielleicht ist es die Optik oder ruhige Musik. Vielleicht sind es die Dialoge. Vielleicht passen alle Elemente auch nur wunderbar zusammen, sodass ihr nicht länger darüber nachdenken wollt. Ihr genießt und stellt keine unnötigen Fragen.

Subtile Surrealität

Kentucky Route Zero gehört auf jeden Fall zu den interessantesten Titel der letzten Jahre und könnte ein grandioses Erlebnis werden. Leider ist momentan nur der erste von insgesamt fünf Akten erhältlich. Die anderen sollen in dreimonatigen Abständen folgen. Die erste Episode widmet sich daher der Einleitung und Präsentation beider Protagonisten. Dabei überlässt euch das Spiel durch sein Dialogsystem die Formung ihrer Persönlichkeiten und Hintergrundgeschichten.

Schon der Start vom Spiel lässt eine normale Tankstelle durch den riesigen Pferdekopf unwirklich erscheinen.

So startet die Geschichte an einer seltsamen Tankstelle und ihr werdet vom Besitzer nach dem Namen eures Hundes gefragt. Eure Antwort bestimmt dabei den Namen, mit dem er für das restliche Spiel angesprochen wird. Ihr antwortet mit einem kompletten Satz und tippt nicht selbst einen erdachten Namen ein. Dadurch wirkt die Unterhaltung wie ein Fluss, bei dem eure Antworten Lücken in der Handlung füllen. Sämtliche Texte sind hervorragend geschrieben und passen perfekt zum merkwürdigen Ton des Spiels. Zwar befindet ihr euch deutlich in einer realen Welt, doch kleine Abweichungen der Norm sowie plötzliche Themenwechsel in Gesprächen verpassen Kentucky Route Zero eine unheimliche Atmosphäre. In diesem Zusammenhang halte ich es für eine gute Entscheidung, keine echten Sprecher zu verwenden. Die fehlende Vertonung passt besser zum melancholischen Gefühl, den das Spiel vermittelt.

Sehr interessant ist auch der Umgang mit eurer Partnerin Shannon, die nach der Hälfte eingeführt wird. Zwar steuert ihr durch Anweisungen immer den Truckfahrer Conway, doch in Gesprächen übernehmt ihr oft für beide Personen die Antworten. Dadurch erhaltet ihr zu jedem Protagonisten einen stärkeren Bezug und Shannon verkommt nicht bloß zu einem weiblichen Sidekick, der euch auf eurer Reise begleitet und zwischendurch vereinzelte Kommentare ausstößt. Aber auch hier wird sich erst im Verlauf der restlichen Akte zeigen, wie weit die Entwickler damit gehen und welche Auswirkungen es auf die frühe Freundschaft der beiden haben könnte.

Licht und Schatten

In vielen Situationen tragt ihr eine Lampe mit euch, die ihr optional auch ausschalten könnt, wodurch der Bildschirm in Dunkelheit getaucht wird. Ihr erkennt nur noch ein paar leicht erhellte Stellen und lauscht den Geräuschen eurer Umgebung. Es erwartet euch kein Feind oder eine andere Form von Gefahr. Und dennoch bekommt ihr ein mulmiges Gefühl in eurem Magen und wollt das Licht so schnell wie möglich wieder anschalten.

Auf andere Charaktere wirkt die Welt normal, wodurch man sich seiner nur unsicherer wird.

Die Lampe wird auch für die wenigen Rätsel verwendet, um beispielsweise einen Würfel zu finden, der im Dunkeln leuchtet. Der Fokus liegt aber eindeutig auf der Geschichte und dem audiovisuellen Erlebnis. Zwar könnte man Kentucky Route Zero wegen seiner Steuerung und des dialoglastigen Aufbaus als Point-and-Click-Adventure bezeichnen, mit echten Rätseln werdet ihr hingegen nicht konfrontiert. Zwischenzeitlich benutzt ihr die Lampe oder folgt Anweisungen, um den nächsten Ort auf der Karte zu finden, damit hat es sich aber auch. Der Fluss der Handlung soll auf gar keinen Fall ins Stocken kommen. Lieber solltet ihr eure Zeit mit dem Ansehen der wunderhübschen Landschaften verbringen, die mich mit ihrem Spiel von Licht und mehrstufigen Schatten an Limbo erinnern, während der Stil irgendwo zwischen Another World und Sword & Sworcery verschwimmt.

Eine Bewertung für den ersten Akt von Kentucky Route Zero ist nicht gerade leicht. Man darf es nicht wirklich als isoliertes Produkt betrachten, da es sich vom Aufbau her ganz deutlich als Exposition einer größeren Handlung präsentiert. Als solche macht es einen überragenden Job, doch ohne den Vergleich zum restlichen Spiel und ohne Wissen um die Auswirkungen meiner Entscheidungen, fällt ein Urteil schwer. Es begeht keine wirklichen Fehler und besticht durch seine dichte Atmosphäre, hat auf spielerischer Seite dafür kaum Substanz.

Viel wichtiger sollte allerdings die Frage sein, ob sich ein Kauf für euch lohnt. Falls euch die Bilder vom Design zusagen und ihr eine interessante, gut ausgeführte Erzählweise wollt, kann ich euch Kentucky Route Zero sofort ans Herz legen. Nur mit dem Kauf solltet ihr warten. Denn leider lassen sich die Episoden nicht einzeln erwerben und ihr müsst direkt alle fünf Akte kaufen, obwohl der zweite erst im April erscheinen soll. Auch wenn die Einleitung wirklich großartig ist, sagt sie nichts über die weitere Entwicklung und Richtung des fertigen Produkts aus. Zudem seid ihr nach einer Stunde bereits beim abrupten Ende angelangt. Wer sich also nicht auf den ersten Blick in das Spiel verliebt, sollte vor seiner Kaufentscheidung lieber die nächsten Akte abwarten.

7 / 10

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