Kid Icarus: Uprising - Test
Verleiht Flüüüüügel...
Eigentlich hätte Pit schon vor gut einem Jahr zum Start des 3DS sein großes Comeback feiern sollen. Als grafisch beeindruckender Start-Titel hätte Kid Icarus: Uprising dem 3D-Handheld damals ziemlich gut getan. Doch Spieldesigner Masahiro Sakurai und sein Team Sora (Smash Bros.) stehen im Hause Nintendo so hoch im Kurs, dass man Pits neuem Abenteuer ein ganzes Jahr zusätzliche Entwicklungszeit zugebilligte. Eine Entscheidung, die sich vielleicht nicht ganz so günstig auf die anfänglichen Verkaufszahlen des 3DS, aber um so positiver auf die Qualität des nun endlich fertigen Spiels ausgewirkt hat.
Einen großen Vorteil hatten Sakurai und sein Team von Anfang an. Kid-Icarus-Held Pit mag eine alte, klassische Nintendo-Figur sein, im Vergleich zu anderen Reihen wie The Legend of Zelda oder Metroid schleppt Kid Icarus aber so gut wie keinen Ballast mit sich herum. Das erste Abenteuer des geflügelten Helden erschien 1987 auf dem NES, die Game-Boy-Fortsetzung Kid Icarus: Of Myths and Monsters kam 1991 auf den Markt und wurde nicht einmal in Japan veröffentlicht. Damit hatten die Entwickler quasi die Carte Blanche, um die Reihe von Grund auf neu zu erfinden, ohne sich sorgen zu müssen, eine spielerische Kontinuität fordernde Fangemeinde zu enttäuschen.
Das bedeutet: Bis auf ein paar bekannte Gegner, Gegenstände und inhaltliche Grundlagen hat das neue Kid Icarus mit seinen Vorgängern nur sehr wenig zu tun, auch wenn er immer wieder liebevolle Anspielungen auf die Pixel-Vergangenheit der Reihe bringt. Das NES-Vorbild war noch größtenteils ein knackig-schweres 2D-Jump'n'Run, das seine enge Verwandtschaft zum Action-Kollegen Metroid kaum verbergen konnte. Nun mischt Pits erstes 3D-Abenteuer gekonnt Rail-Shooter-Sequenzen mit nur auf den ersten Blick klassischen Third-Person-Action-Elementen und einer Feature-Vielfalt, die wir in ähnlicher Form vor allem von den natürlich auch unter Masahiro Sakurais Ägide entstandenen Smash-Bros.-Spielen kennen.
Der generelle Aufbau der insgesamt 25 Levels ist dabei stets gleich. Zuerst erwartet euch eine wilde Shooter-Sequenz. Pit saust auf vorgegebenen Wegen durch die Lüfte, weicht Gegnern und Hindernissen aus und nimmt per Stylus Gegner aufs Korn. Das fühlt sich spielerisch einfach klasse an. Die Kamera ist hier wild und entfesselt. Ihr saust durch enge Klippen, ihr rauscht steile Abhänge hinauf oder fliegt durch stark stilisierte Labyrinthe. Mit Dauerfeuer, Nahkampfmanövern und einem krachigen Aufladeschuss heizt ihr den oft ziemlich witzigen, aber trotzdem auch gefährlichen Gegnern ordentlich ein. Das fühlt sich angenehm krachig und dynamisch an, die hohe Spielgeschwindigkeit und die knackigen Soundeffekte tragen da neben der flotten Steuerung natürlich auch ihren Teil zu bei.
Ist die Luftsektion geschafft, findet sich Pit auf dem Boden der Tatsachen wieder. Diese Sequenzen sind spielerisch freier, die Wege weniger stark vorgegeben. Ihr kontrolliert nun selbst, wohin ihr lauft und in welche Richtung die Kamera blickt. Die Kamera kontrolliert ihr über den Stylus, Springen könnt ihr mit Hilfe von Trampolinplatten, die Kampfsteuerung bleibt die gleiche. Über den Touchscreen visiert ihr Gegner an, mit der L-Taste wird attackiert und eine schnelle Bewegung der Analogscheibe lässt Pit ein flottes Ausweichmanöver durchführen. Erkundungsfreude wird hier belohnt: Nehmt ihr euch ein wenig Zeit um eure Umgebung zu erforschen, stoßt ihr auf so manche Schatztruhe. Gut, darunter können sich auch einmal Fallen befinden, meist lohnen die Abstecher aber und füllen euer Inventar mit neuen nützlichen Waffen auf.
Derer gibt es eine ganze Menge: Über 100 verschiedene Bögen, Keulen, Kampfkrallen, Stäbe und mehr kann Pit im Verlauf seines Abenteuers erspielen. Jedes Stück Ausrüstung hat seine eigenen Kampfwerte und bringt oft noch den einen oder anderen Statusbonus mit sich. Sehr clever ist die virtuelle Waffenschmiede: Anstatt ein liebgewonnenes Argumentier-Eisen einfach wegzuwerfen, nachdem ihr ein effektiveres Stück Ausrüstung gefunden habt, könnt ihr es mit einer anderen Waffe kombinieren, um weiterhin von deren Boni zu profitieren. Da sämtliche Ergebnisse bereits vor der Verschmelzung angezeigt werden, bleiben euch dabei auch unangenehme Überraschungen erspart.
Auch über den Schwierigkeitsgrad des Spiels habt ihr die vollste Kontrolle. Vor jedem Level könnt ihr individuell einstellen, wie herausfordernd die kommende Stufe denn sein soll. Das Clevere dabei: Je höher ihr den Schwierigkeitsgrad schraubt, desto mehr Item-Drops bereiten euch Freude, auch manch eine Levelpassage wird erst ab einem bestimmten Niveau zugänglich. Überschätzt euch aber nicht: Je höher ihr die Herausforderung einstellt, desto mehr eurer bereits gesammelten Herzen kostet euch die Aktion. Je höher das Risiko, desto höher die Belohnung. Ich will mal schwer hoffen, dass dieses System schnell auch bei anderen Spielen Schule macht. Die Idee ist so einfach wie genial und ermutigt immer wieder, die angenehm überschaubaren Levels erneut anzugehen.
Dazu braucht es aber ohnehin keine große Überredungskunst. Alleine schon wegen der grandiosen Präsentation möchte man viele Stages immer und immer wieder erleben. Die Grafik von Kid Icarus: Uprising gehört eindeutig zum Besten, was man auf dem 3DS bisher bestaunen durfte. Flüssiges Scrolling, tolle Architektur, eine gelungene Farbwahl und erstklassige Effekte verwöhnen das Auge. Auf diesem Niveau spielt sonst nur noch das stilistisch natürlich völlig anders angelegte Resident Evil: Revelations.
Heimlicher Star des Spiels ist aber die Musik. Wie schon beim letzten Auftritt der Smash Bros. sorgt auch bei Kid Icarus eine echte All-Star-Mannschaft an Komponisten für den richtigen Ton. Fünf prominente Komponisten haben einen herrlich ohrwurmigen Soundtrack komponiert. Mit Motoi Sakuraba (Tales-Serie), Yuzo Koshiro (Actraiser, Streets of Rage), Yasunori Mitsuda (Chrono Trigger, Chrono Cross), Noriyuki Iwadare (Lunar - The Silver Star, Grandia) und Masafumi Takada (No More Heroes) gibt sich hier die Crème de la Crème die Klinke in die Hand. Da ist man doch gleich noch mal so froh, dass der aufmerksame Spieler in den Optionen einen ausführlichen Soundtest findet!
Der ist auch gut, denn im Spiel selbst gehen die tollen Musikstücke öfter mal ein wenig unter. Neben den zahlreichen Explosionen und Effekten sorgen vor allem Pit und Göttin Palutena selbst für eine konstante Soundkulisse. Die beiden reden fast permanent miteinander, manchmal schaltet sich auch ein Boss wie Medusa oder die überraschend höfliche Hidra (die sich wirklich so schreibt!) ein. Die Rollen sind sehr passend und sympathisch besetzt, die Gespräche sind urkomisch und durchbrechen immer wieder die vierte Wand. Wenn Pit Palutena fragt, ob der nächste Gegner eher End- oder nur Zwischenboss-Niveau hat oder sich Pandora und Palutena gegenseitig anzicken, bleibt kein Auge trocken.
Zumindest bei all denen, die über ordentliche Englischkenntnisse verfügen. Leider, leider hat sich Nintendo hier die Kosten für eine Synchronisation gespart, und das ist in diesem Fall ausgesprochen schade, denn so wird einigen Spielern hierzulande ein großer Teil des Humors von Kid Icarus: Uprising entgehen. Klar, die Gespräche sind allesamt auch auf Deutsch untertitelt, aber wer hat im Eifer des Gefechts schon Zeit genug, das auch noch alles zu lesen? Man kann gar nicht genug betonen, wie schade es ist, dass Nintendo diesem in jeder anderen Beziehung so aufwendig produzierten Titel die dringend benötigten deutschen Sprecher vorenthält.
Das ist aber nicht der größte Kritikpunkt: Denn trotz aller anderen Qualitäten hat Kid Icarus: Uprising noch eine zweite Schwachstelle. Die Steuerung ist zwar präzise und schnell verstanden, bis man sie wirklich meistert, wird aber Zeit vergehen. Da ihr stets mit dem Stylus auf dem Touchscreen zielt, könnt ihr den 3DS nur in einer Hand halten. Die bedient dann aber die Analogscheibe und auch noch die Schultertaste, mit der ihr eure Attacken auslöst. Das kann, muss aber nicht, bei manchen Spielern zu unangenehmen Verkrampfungen in der linken Hand führen. In Japan ist das weniger ein Problem, dort ist ein Großteil der Spieler bereits durch Capcoms Monster Hunter an diese Art der Handhaltung gewöhnt, dagegen fühlt sich diese Steuerung vor allem für westliche Spieler in den ersten Sessions sehr ungewohnt an. Um dabei Abhilfe zu schaffen, legt Nintendo jedem Exemplar des Spiels ein kleines Plastikgestell bei, in das der 3DS beim Spielen gelegt werden kann. Und tatsächlich: Platziert man den Handheld nun auf einem Tisch in Augenhöhe fühlt sich die Handhabung gleich ein ganzes Stück angenehmer an, den Tragbarbeits-Faktor führt dieses Konstrukt aber logischerweise ad absurdum.
Dieses Manko gleicht Kid Icarus: Uprising aber gekonnt mit seinem gigantischen Umfang aus. Neben dem umfangreichen Story-Modus mit seinem gewaltigen Wiederspielwert, dem motivierenden Schmieden von Waffen und ein paar witzigen Augmented-Reality-Features lockt das Spiel auch noch mit einem durchdachten Mehrspielermodus. Ihr könnt lokal oder online zu sechst gegeneinander antreten. Dieser Modus erinnert erneut ein wenig an die guten, alten Smash Bros., ist aber sehr stark mit dem Solo-Modus verbunden. Freigespielte Waffen und Talente könnt ihr dorthin übernehmen. Mit diesem Maß an spielerischer Vielfalt kann kaum ein Konkurrent mithalten, weder auf Heimkonsole und schon gar nicht auf einem Handheld!
Eigentlich würde ich Kid Icarus: Uprising eine höhere Wertung wünschen. Grafik, Abwechslungsreichtum, Ideen, Spielgefühl und nicht zuletzt die schiere Masse an witzigen, spannenden und verspielten Features machen Pits Rückkehr zu einem echten Erlebnis. Allerdings stellt die Steuerung speziell in den Boden-Sequenzen den Spieler oft vor zwar keine erheblichen Probleme, fühlt sich aber nie so gut an, wie ich es gerne hätte. Die Kamerakontrolle ist einfach ein wenig zu frickelig, die Handhaltung schlicht eine Idee zu unbequem. Und auch wenn sich das Spiel mit dem beigelegten Plastikgestell am besten spielt, so wird diese Variante doch nie den Mief einer Notlösung los. Als Wii-Spiel mit Wiimote-Nunchuk-Steuerung würde sich Kid Icarus: Uprising wohl perfekt spielen, so bleibt immer das nagende Gefühl im Hinterkopf, dass sich das alles noch ein wenig besser anfühlen könnte.
Trotzdem sind das Beschwerden auf hohem Niveau. Mit Kid Icarus: Uprising bringen Nintendo und Sora trotz des Rückgriffs auf das alte NES-Abenteuer ihre bisher eigenständigste 3DS-Exklusiventwicklung auf den Markt und zeigen wieder einmal eindrucksvoll, was das Handheld so alles auf dem Kasten hat. Habt ihr euch an die Steuerung gewöhnt, dann lockt euch das Spiel immer wieder für ein paar Runden an den 3DS. Auch wenn ihr das Finale erfolgreich hinter euch gebracht habt, werdet ihr immer wieder in Pits wunderschöne Welt zurückkehren. Eigentlich bleibt jetzt nur zu hoffen, dass sich Pit bis zu seinem nächsten Auftritt nicht wieder gute 20 Jahre Zeit lässt.