King`s Quest: Sierras Chance auf ein neues Leben
Ein Studiobesuch bei den Odd Gentlemen
Pasadena, die kleine Stadt in Kalifornien war mir bislang nur als Handlungsort der TV-Serie The Big Bang Theory bekannt. Eine Ortschaft wie aus dem Bilderbuch für den amerikanischen (Alb-)Traum. Blitzsaubere Straßen, in denen noch nicht mal ein Zigarettenstummel oder Kaugummipapierchen auf dem Boden liegt, uniformierte Wachleute vor jedem Geschäft und überall eine überkitschige, schrecklich deplaziert wirkende Weihnachtsdekoration. Immerhin herrschen im November hier noch fast 30 Grad und Schnee kennt man nur vom Hörensagen. In einem zweistöckigen Backsteinbau mitten in dem klinisch reinen Einkaufsviertel haben The Odd Gentlemen gerade erst ihr neues Domizil bezogen.
Die Arbeitsplätze wirken noch provisorisch, sind aber bereits mit persönlichen Gegenständen und Arbeitsmaterial vollgestellt. Anime-DVDs, Dragon's Lair von Don Bluth, die gesammelten Bände des Manga Nausicaä aus dem Tal der Winde und Tierlexika. Inspirationsmaterial für den Grafikstil der King's-Quest-Auferstehung. Ich treffe hier Matt Korba, den Mitbegründer des Studios, der zum Interview stilecht mit Grahams Federhut erscheint. Ihm liegt der Projekt-Neuanfang für King's Quest sehr am Herzen. Aus persönlichen Gründen, wie er betont. Aber auch als Chance, aus seinem Indie-Studio, womöglich das neue Sierra Entertainment zu machen. Genügend Lizenzen für Spiele, wie Space Quest, Heroes Quest oder Police Quest, sind ja noch vorhanden.
„Roberta hat die erste Episode geliebt", erklärt Matt Korba stolz. Die Rede ist von Roberta Williams, die gemeinsam mit ihrem Mann Ken 1979 On-Line Systems - später Sierra On-Line - gegründet hat. Und 1984 mit dem klassischen King's Quest und seinen Nachfolgern dafür gesorgt hat, dass ich mir so manche Nacht auf der Suche nach einer Lösung für die genialen Rätsel um die Ohren geschlagen habe. Die Eheleute Williams standen The Odd Gentlemen beratend zur Seite und für Korba und sein Team war es wichtig, wie ihr Urteil über die Wiederauferstehung ihres „Kindes" ausfallen würde. „Wir haben uns auf die Fahne geschrieben, den Charme, den Humor und die logischen Puzzles des Originals, so getreu wie möglich zu integrieren", sagt Korba. Das ist gelungen, wie auch unser Test von King's Quest Kapitel 1: Der seinen Ritter stand bescheinigt.
In der zweiten Episode, die noch im Dezember erhältlich sein wird, findet sich König Graham in dem Verlies der Goblins wieder. Der Ton der Geschichte ist diesmal allerdings erheblich düsterer. Graham wird von Selbstzweifeln geplagt und sieht sich vor die Aufgabe gestellt, seine ebenfalls gefangenen Untertanen aus Daventry vor ihrem Schicksal zu bewahren. Und wird dabei vor unangenehme Entscheidungen gestellt. Der Wechsel in der Tonart entspricht genau dem Plan der Entwickler. Für die erste Episode wurden die klassischen King's Quest 1 und 2 als Vorbild genommen, für die Zweite stand nun das ernste King's Quest 3 Pate. So wird jede, der noch folgenden drei Episoden, ein atmosphärisches Pendant aus der klassischen Reihe bekommen. Es entsteht, trotz der von Activision vorgeschriebenen Episodenform, eine ganze Reihe eigenständiger, in sich abgeschlossener Spiele, die es auf durchschnittlich 4 bis 6 Stunden Spielzeit bringen. Je nachdem, wann der von den Entwicklern gewünschte „Aha-Effekt" eintritt.
Der Punkt, an dem das Sammelsurium aus Gegenständen und anscheinend unlösbaren Aufgaben einen logischen Sinn ergeben, und ich wieder ein ganzes Stück weiter komme. Das Spielprinzip des herrlich old-schooligen Point-and-Click-Abenteuers bleibt aber weiter erhalten. Ich sammle Gegenstände, versuche diese mit allen möglichen anderen Dingen zu benutzen und sterbe in schöner Regelmäßigkeit. „Sterben ist wichtig", erklärt Korba. Und weiter: „Das war das Erste, was Roberta Williams uns gefragt hat. Kann der Spieler auch oft genug sterben." Und ja, er kann. Manchmal ahne ich es schon, oft bin ich einfach nur überrascht und schockiert, das mich meine eigentlich so logisch klingende Idee mal wieder ins virtuelle Jenseits befördert. Das gehört mit zum Erlebnis King's Quest. Genau wie die dezenten Anspielungen auf die Klassiker oder der derbe Slapstick-Humor. Oder das Fehlen von Hinweisen und Hilfen. Korba appelliert daran, nicht einfach aufzugeben und im Internet nach einer Lösung zu suchen. Man will ein Spiel für den denkenden Spieler machen, eine Herausforderung bieten. Die Lösungen der Rätsel sind nie absurd oder an den Haaren herbeigezogen, ganz wie bei den Originalen.
Auch wenn das Team von The Odd Gentlemen, mit gerade einmal 20 Mitarbeitern, mehr wie eine große, glückliche, Familie aus Programmierern, Künstlern und Musikern wirkt. Die Storyboards für die Schauplätze mit ein paar LEGO-Steinen oder grob ausgeschnittenen Papierfiguren vorbereitet werden: Billig ist die Produktion von King's Quest nicht. Die Hintergründe sind allesamt handgezeichnet und die Sprecherrollen prominent besetzt. Christopher „Doc Brown" Lloyd spricht den alten König Graham und Zelda Williams, die Tochter des verstorbenen Robin Williams, leiht ihre verrauchte Stimme der Schmiedin Amaya Blackstone. Mit ein Grund für mich, anstatt der bemühten, aber nicht immer treffsicheren, deutschen Synchronisation, auf die famosen englischen Sprecher zu hören. Hier passen die wortakrobatischen Feinheiten und die Originalstimmen verleihen den Figuren Charakter.
Die erste Episode war ein großer Erfolg. Über genaue Zahlen schweigt man sich allerdings aus. Ob der Testballon King's Quest eine weitere Reaktivierung von Sierra-Spielen nach sich zieht, wird sich wohl erst nach dem fünften Kapitel zeigen. Korba würde es sich wünschen, Roger Wilco wieder ins Rennen zu schicken. Gerne die „Two guys from Andromeda", wie sich die Macher von Space Quest, Scott Murphy und Mark Crowe nennen, als Berater mit ins Boot holen. Und so wieder einen Klassiker in aktuellem Gewand präsentieren. Ich wäre sofort dabei.