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Kingdom Come: Deliverance II gespielt: Vier Stunden im Böhmischen Paradies

… und ich will sofort wieder zurück.

Hätte mir jemand vor sechs Jahren prophezeit, dass ich heute eine dreistellige Stundenzahl an Spielzeit in Kingdom Come: Deliverance vorweisen kann und mich riesig auf die Fortsetzung freue, hätte ich ihn für verrückt erklärt. Meine ersten Stunden in dem Fantasy-freien Mittelalter-Rollenspiel der tschechischen Warhorse Studios waren eher freudlos und zäh. Wichtige Mechaniken zum Überleben in der authentisch aufgebauten Welt des frühen 15. Jahrhunderts wurden mir nicht richtig erklärt, das Kampfsystem empfand ich zunächst als eine reine Katastrophe, bevor ich es nach vielen verlorenen Konfrontationen verinnerlicht hatte und das Spiel litt unter ärgerlichen Bugs. Doch nach einigen Stunden mehr oder weniger planlosemHerumirren und Ausprobieren haben mich die Geschichte um den jungen Schmiedesohn Heinrich von Skalitz, der bei einem Überfall des Söldnerheeres von König Sigismund seine Eltern und all sein Hab und Gut verliert, und der realistische Aufbau der Welt wirklich gepackt.

Vor ein paar Tagen hatte ich die Gelegenheit die ersten Stunden des Nachfolgers Kingdom Come: Deliverance II zu spielen. Darauf hatte ich mich schon im Vorfeld richtig gefreut, denn die Entwickler versprechen eine doppelt so große Spielwelt mit zwei riesigen Gebieten, die frei erkundet werden können, sowie eine verbesserte Grafik und neue Waffen und Mechaniken. Ob Heinrich endlich Rache für den Tod seiner Familie nehmen kann und ob er das Meisterschwert, das letzte Andenken an seinen Vater, zurückbekommt, kann ich nach der vierstündigen Anspielzeit natürlich nicht sagen, aber die Geschichte soll diesmal einen Abschluss finden. Das wird aber wohl erst nach 80 bis 100 Stunden Spielzeit der Fall sein, die man für einen Durchlauf veranschlagen muss - und da sind die vielen optionalen Nebenmissionen noch gar nicht eingerechnet.

Der zweite Teil setzt nahtlos an das Ende des Vorgängers an und ihr übernehmt wieder die Rolle von Heinrich, der sich mit seinem adeligen Freund Hans Capon und einem Trupp Soldaten zur Burg Trosky aufmacht, um einen wichtigen Brief zu überbringen. Falls ihr den ersten Teil nicht gespielt habt oder euch nicht mehr genau an die ganzen Namen und politischen Ränkespiele erinnern könnt, ist das kein Problem. Kingdom Come: Deliverance II erfordert keine Vorkenntnisse, um das Abenteuer genießen zu können. Alles, was ihr über die Vorgeschichte wissen müsst, wird euch in den ersten Stunden in Dialogen und Zwischensequenzen ausführlich erklärt. Unter anderem in einer beklemmenden Szene, in der sich ein verletzter Heinrich durch einen Wald schleppt und von Visionen vom Tod seiner Eltern und dem Massaker an den Bewohnern heimgesucht wird.

Bevor ich meine Reise als Botschafter beginne, kann ich schon einmal eine der neuen Waffen ausprobieren und mich mit einer Armbrust ausrüsten. In einer kurzen Eingangssequenz sollen Heinrich und Hans eine Burg verteidigen und die anstürmenden Feinde von den Zinnen unter Beschuss nehmen. Mir hat die Armbrust gefallen, deren Bolzen im Gegensatz zu Pfeilen Helme und Brustschutz durchschlagen und sich relativ schnell nachladen lässt. Die Entwickler stocken das Arsenal noch weiter auf und ihr habt die Wahl zwischen verschiedenen Armbrüsten und frühen Feuerwaffen, die zwar elendig lange brauchen, bis sie einsatzbereit sind, dafür aber auch die stärkste Ritterrüstung zerschmettern – wenn man denn das Ziel trifft.

Gespannt war ich auf das Kampfsystem, mit dem ich mich im ersten Teil nicht so recht anfreunden konnte. Hier haben die Entwickler nun deutlich nachgebessert: Neue Animationen, die von erfahrenen Waffenmeistern per Motion-Capturing aufgenommen wurden, sorgen für mehr und flüssigere Bewegungen und die verschiedenen Waffen fühlen sich authentisch an, soweit ich das als Laie im Umgang mit mittelalterlichen Waffen beurteilen kann. Vor allem gibt es jetzt ein spürbares Trefferfeedback, das ich im Vorgänger schmerzlich vermisst habe. Hat Heinrich gerade kein Schwert zur Hand, können Gegner nun auch entwaffnet und im Boxkampf besiegt werden.

Das klingt alles schon zugänglicher, aber der zum Mann gereifte Heinrich ist nun mal kein heldenhafter Superkrieger und wenn zwei oder mehr Gegner im Weg stehen, gibt es weitaus bessere Optionen, als selbstmörderisch das Schwert zu zücken. Auch im zweiten Teil stehen neben der natürlich nicht unwichtigen Gesundheit, Stärke oder Vitalität wieder zahlreiche Talente zur Verfügung, in die die gesammelten Erfahrungspunkte sinnvoll investiert werden können.

Ich habe auf eine Kombination aus Redekunst und Charisma gesetzt, um brenzligeSituationen wortgewandt zu entschärfen. Das hat für mich schon im ersten Teil hervorragend funktioniert. Den Startbonus in Fähigkeiten wie Sichtbarkeit, Geräusche und Auffälligkeit zu stecken, ist auch auf keinen Fall ein Fehler, wenn ihr Gefahren lieber schleichend aus dem Weg gehen möchtet. Ob ihr euren Heinrich als Soldat, Berater oder Scout entwickeln wollt, steht euch völlig frei, genügend Perk-Punkte zum Verteilen lassen sich auf jeden Fall bei den zahlreichen Nebenaufgaben erwerben.

Und meine Redekunst kann ich auch schon eine halbe Stunde im Spiel unter Beweis stellen, als mein Trupp auf dem Weg zur Burg von Soldaten angehalten wird, die uns für Banditen halten, die gerade die Gegend unsicher machen. Durch Heinrichs selbstbewusstes Auftreten, seine stattliche Rüstung und sein gepflegtes Äußeres kann der Suchtrupp überzeugt werden, ihm zu trauen. Doch so einfach ist der Auftrag nicht zu Ende zu bringen, denn bei einem erfrischenden Bad im See werden Heinrich und seine Männer von genau den gesuchten Räubern überfallen, die die meisten seiner Begleiter töten und natürlich den wertvollen Brief stehlen.

Übrig bleiben nur Heinrich und Hans, die lediglich mit einer Unterhose bekleidet vor den Verbrechern fliehen. Ich will nicht zu viel verraten, aber nach einer dramatischen Flucht landet das Duo schwer verletzt bei einer Art Kräuterhexe mitten im Wald und muss erst wieder zu Kräften kommen. Ein cleverer Schachzug, um dem Protagonisten seine gesamte Ausrüstung und seine Waffen zu entziehen und von vorne beginnen zu lassen, mit nichts als ein paar Lumpen am Leib. In dem linear aufgebauten Beginn des Spiels sind mehrere Tutorials eingebaut, die euch die wichtigsten Mechaniken beibringen. Für mich ein echter Fortschritt zum Vorgänger.

Neben einer Einführung in den Nahkampf und das Umgehen von Feinden durch Schleichen und Verstecken könnt ihr euch auch gleich mit der Alchemie auseinandersetzen. Die Kunst Tränke und Tinkturen herzustellen ist immer noch so kleinteilig und ihr müsst zuerst die Zutaten sammeln und an einem Alchemietisch genau nach Rezept vorgehen, sonst hat das Gebräu nicht die gewünschte Wirkung. Zumindest das Lesen hat Heinrich nicht verlernt und kann einen Heiltrank für den schwer verwundeten Hans zubereiten. Ohne den Brief ist ihre Mission aber gescheitert und so wandern die beiden ohne einen Groschen in der Tasche zurnächstgelegenen Siedlung und müssen einen Weg finden, die Botschaft wiederzubeschaffen.

An dieser Stelle öffnet sich vollständig das Böhmische Paradies mit seinen Wäldern und Seen und ihr müsst euch in der erbarmungslosen Welt des frühen 15. Jahrhunderts zurechtfinden. Gerne hätte ich mich noch mehr in der traumhaft schönen Landschaft umgeschaut und mich den Nebenmissionen gewidmet, die nahezu jeder NPC bereithält. Aber leider endete hier der erste Teil meiner Anspielmöglichkeit und es ging für mich in das zweite große Gebiet von Kingdom Come: Deliverance II: Die Stadt Kuttenberg.

Hier trifft Heinrich auf Menhard von Frankfurt, nach eigener Aussage DER Meister des Langschwerts weit und breit. Eigentlich soll der selbstbewusste Mann der örtlichen Fechtgilde vorstehen, doch die weigert sich, einen Fremden in ihre Reihen aufzunehmen. Die einzige Möglichkeit wäre, den amtierenden Meister im Kampf zu besiegen, doch der will die Einladung zum Duell einfach nicht annehmen. Ihr habt die Wahl, einen heiklen Auftrag anzunehmen: Stehlt das Gildenschwert und hängt es öffentlich an die Kirchenmauer, dann muss der Kampf angenommen werden und Menhard bekommt die Chance, sein Können zu beweisen.

Wie ihr die Aufgabe löst, bleibt euch überlassen: Ihr könnt versuchen, das Schwert mit roher Gewalt zu stehlen und werdet dabei höchstwahrscheinlich niedergemetzelt. Oder ihr klettert am helllichten Tag durch ein offenes Fenster und umgeht die Wachen und Diener. Werdet ihr erwischt, könnt ihr die Sache noch durch Bestechung aus der Welt schaffen, aber sobald euch mehrere Leute entdeckt haben, hilft nur noch die Flucht.

Allerdings sind die Stadtwachen auf Draht und ihr habt schnell ein halbes Dutzend Leute an den Hacken und landet tot auf dem Boden oder im Kerker. Mein Ansatz war es, die Zeit verstreichen zu lassen und mitten in der Nacht ein Schloss zu knacken, um mir Zugang zu verschaffen. Das Minispiel zum Knacken von Schlössern ist geblieben und mit etwas Geduld und einem entsprechenden Levelaufstieg war die Tür schnell geöffnet. Nachts sind kaum Wachen unterwegs und mit etwas Geduld und Warten im Schatten konnte ich mir das Gildenschwert schnappen und unbeschadet zurKirche bringen. Den Rest muss nun Menhard erledigen.

Solche Missionen bergen allerdings eine nicht zu unterschätzende Gefahr, denn ihr könntet Heinrichs Ruf ruinieren. Wenn ihr Wert auf einen tadellosen Helden legt, der sich an die Gesetze hält, solltet ihr euch nicht beim Stehlen erwischen lassen - auch wenn es eigentlich für einen guten Zweck ist. Wenn ihr aber sowieso jeden NPC beklaut, Truhen in Häusern plündert und auch vor einem Doppelmord nicht zurückschreckt, dann kann euch der Ruf egal sein. Allerdings landet man dann schneller im Bau oder muss eine saftige Strafe zahlen, als einem lieb ist, und kann sogar, wie im Trailer zu sehen, gebrandmarkt werden.

Leider reichte die Zeit nicht aus noch die Straßen von Kuttenberg genauer zu erkunden, aber ich kann sagen, es handelt sich um eine lebendige Stadt voller Menschen, die ihrem virtuellen Leben nachgehen und einer historisch verbrieften Detailfülle, bei der jeder Pflasterstein und jedes Bauwerk der Silberstadt authentisch nachgebaut wurde. Überhaupt glänzt Kingdom Come: Deliverance II in der angespielten PC-Version mit hochauflösenden Texturen, schicken Licht- und Schatteneffekten und hervorragend inszenierten Zwischensequenzen, von denen es diesmal gleich fünf Stunden zu sehen gibt. Ach ja, und der Hund ist als Heinrichs treuer Begleiter diesmal von Anfang an dabei.

Nach meinem Ausflug mit Heinrich und Hans ins mittelalterliche Böhmen muss ich sagen: Das will ich spielen! Am liebsten sofort. Die kürzlich angekündigte Verschiebung auf das kommende Jahr kann ich aber noch verschmerzen. Mehr Zeit für die Warhorse Studios, an der ambitionierten und deutlich umfangreicheren Fortsetzung zu arbeiten, bedeutet höchstwahrscheinlich auch ein rundes Spielerlebnis direkt ab Release, ohne dass erst zig Patches nachgeschoben werden müssen. Ich werde auf jeden Fall ab dem 11. Februar 2025 bereit sein, in die geschichtstreue Welt des Mittelalter-RPGs einzutauchen und Heinrich endlich zu seiner Rache zu verhelfen.

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