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Na endlich: Kingdom Come - Deliverance ist ein Spiel geworden

Jedenfalls, wenn man nach der ersten Stunde geht.

Gut, gut. Jetzt muss Kingdom Come: Deliverance über die angepeilten 50 Stunden, die es im Schnitt dauern soll, bloß noch so rund laufen wie in der gamescom-Demo. Die Bedenken sind nicht so weit hergeholt. Wir hatten vier Jahre Zeit, die Entwicklung von der toll klingenden Idee eines Fantasy-befreiten Mittelalter-RPGs mit verzahnten Systemen zum tatsächlich spielbaren Keine-Fantasy-RPG zu erleben. Ob inhaltlich alles so tief ineinandergreift, wie man es sich ausmalt (hier ein früherer Einblick mit mehr Details), werden wir zum Release im Februar sehen. Nett jedenfalls, dass die schlimmen Löcher der seit etwa zwei Jahren spielbaren Version gestopft scheinen. Einige waren verflucht erheiternd. Fragt mich nicht, welche Versionsnummer im Early-Access-Verlauf es war, die hierfür den Stoff liefert. Die Kurzform: Ich schlug aus Lust und Laune auf eine Bauersfrau ein, bis sie schreiend die Flucht ergriff. Vom Tumult alarmierte Wachen stürmten klingenklappernd herbei und... prügelten noch fester auf sie ein. Für einen Moment hatte ich den Spaß meines Lebens, nur vielleicht aus den falschen Gründen.

Gerade in Sachen Figurenverhalten ist Kingdom Come eine interessante Verschmelzung mehrerer Systeme, bei denen so was schon passieren kann, nehme ich an. Andere Überschneidungen dazwischen sind spielfördernd, wenn auch ein wenig sonderbar im Sinne menschlichen Verhaltens. Zum Beispiel, wenn man einzelne Banditen immer wieder durch Weglaufen zu den verbündeten Wachen locken kann, die zu meiden sich er und seine Kumpels zum Ziel gemacht haben. Statt bei Sichtkontakt umzukehren, rumpelt er freimütig ins Verderben. Immerhin fühlt man sich an Gothic erinnert, seine einfache Lebhaftigkeit, die seither die wenigsten Spiele erreichten. Wer gern in den Systemen stochert beim Versuch, sie an ihre Grenzen zu bringen, dürfte viel Spaß mit Kingdom Come haben.

Ebenso wie ihn die Figuren verspüren, was man ihnen dank der neuen Animationen endlich auch ansieht. Aus steifen Bauchrednerpuppen wurden angemessen inszenierte Sequenzen mit wechselnder Perspektive statt immer nur Schuss-Gegenschuss-Montage (in weniger einschneidenden Dialogen gibt es die weiterhin), kleinen Gesten und derlei. Ich bin unsicher, ob Entwickler Warhorse an die fabelhafte inszenatorische Qualität eines Witcher 3: Blood and Wine herankommt. Aber für ein großes offenes Rollenspiel, das sich neben seinem Aussehen um wichtigere Innenwerte kümmern muss, sieht das richtig klasse aus. Die mit Bächen, Hügeln, Wäldchen und ganzen Grasmeeren drapierten Landschaften des historisch nachgestellten Böhmen im 15. Jahrhundert taten das schon immer. Nach ein paar Minuten mit der PS4-(Pro-)Version bin ich froh, dass es hier nicht grundlegend anders aussieht. Mit längeren Ladezeiten zwar, reduzierter Fernsicht, flackernden Schatten und später ins Bild ploppenden Objekten, doch grundsolide spielbar und trotzdem richtig schmuck (drücken wir die Daumen für die Nicht-Pro-/Nicht-One-X-Performance).

So geht es zu Pferde vorbei an Gehöften und Heidelandschaften. Texteinblendungen weisen auf Nester, Unfallstellen und Ortschaften hin, alles auf der Karte für die spätere Inspektion verzeichnet. Schnellreise ist ähnlich wie in den frühen Fallouts oder Infinity-Engine-Spielen unterlegt mit einer Reiseroute auf der Weltkarte, dem der in dieser Darstellung zur Holzfigur vereinfachte Charakter folgt. Während die Zeit nebenher weiterläuft und Begegnungen am Wegesrand für Zwischenfälle sorgen sollen. Beim Anspielen in der ersten halben Stunde passierte mir jedoch nichts. So oder so geht es dem eröffnenden Auftrag entgegen: einer schwarzen Rauchsäule folgen und den nächtlichen Überfall auf einen Hof untersuchen, bei dem Pferde und Menschen zu Tode kamen. Am nächsten Morgen findet man sie in ihren Blutlachen.

Der Auftrag beginnt nicht als klassische Quest mit etappenweise definierten Zwischenschritten ("Frage X nach Y", dann "Reise nach X und finde Y"). Warhorse ist daran gelegen, Land und Leute in die Ermittlungen miteinzubeziehen. Zielführende Hinweise fürs weitere Vorgehen können überall stecken, indem man etwa Leichen von Menschen und Pferden untersucht oder vom Stallburschen den Vorschlag hört, man solle nach zerstörten Zäunen Ausschau halten. Könnte verraten, woher die Kerle kamen. Man kann auch der Leichenspur zu den Hauptstallungen folgen und von dort aus zufällig im Unterholz über die für das Massaker Verantwortlichen stolpern. Blutspuren an Baumstümpfen geben Hinweise und es hat fast etwas Detektivisches, vor allem da es nur einen gelben Kreis zum Eingrenzen des "Areals nördlich der Farm" gibt. Man hält die Zügel selbst in der Hand, ohne dass einen das Spiel mit fingerzeigendem Missionsmarker entmachtete oder einen komplett im Regen stehen ließe.

Es mag nicht das alles umwälzende Quest-System mit Dutzenden Ausgängen sein und wir müssen erst mehr davon sehen, aber immerhin fühlt es sich nach lebensnahen Situationen an, statt stur einen entwicklerseitig vorgeschriebenen Weg abzuklappern. Im publikumswirksamen RPG-Bereich, zu dem ich Kingdom Come mit seiner protzigen Aufmachung einfach mal zähle, hatten wir seit Fallout: New Vegas keinen so vielversprechenden Kandidaten. Es ist schön zu sehen, dass sich abseits vereinfacht dargestellter Indie-Produktionen jemand im großformatigen 3D-Bereich Gedanken über kleine Details macht. Dass Rüstungen aus mehreren Schichten bestehen, dass man nicht Dutzende davon neben einem weiteren Dutzend Schwerter mitschleppen kann oder dass Gewalt in den meisten Fällen optional ist. Der 13. Februar wird zeigen, ob sich die vergangenen fünf Jahre für Warhorse und ihr bis zur Halsschlagader ambitioniertes Projekt gelohnt haben.

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Sebastian Thor Avatar
Sebastian Thor: Steht auf Bier und Bloodsport. Mag weiche Sofas und verliert sich gern in Gedanken an dies und das. Seit 2014 bei Eurogamer dabei, aktuell als freier Redakteur.
In diesem artikel

Kingdom Come: Deliverance

PS4, Xbox One, PC, Mac, Nintendo Switch

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