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Kingdom Come: Deliverance - Test

Wer braucht schon Drachen?

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Detailverliebtes, spannendes Mittelalter-RPG mit vielen interessanten Mechaniken, von denen einige wichtige leider nicht ganz passen.

Ich kann ganz ehrlich sagen, ich habe noch nie ein Spiel erlebt, in das ich ab einem gewissen Punkt so verliebt war, nachdem ich es initial dermaßen inbrünstig verachtet hatte. Es ist fast schon eine dieser romantischen, klischeeüberladenen Hollywood-Komödien. Zwei ungleiche Pole, von denen man aber zu Beginn eigentlich schon weiß, dass sie trotz ihrer Differenzen zusammenkommen müssen, finden sich dann auch entsprechend aller Erwartungen in Akt drei. Wobei man auch sagen muss, dass die dunkle Seite von Akt zwei sehr kurz ausfiel und es schon relativ früh klar wurde, dass wir uns wohl nicht so schnell wieder trennen würden.

Ist halt Böhmen und nicht Himmelsrand. Erwartet bloß keine dramatischen Schluchten oder Drachen. (Kingdom Come: Deliverance - Test)

Aber ja, der erste Akt mit Kingdom Come: Deliverance war von gegenseitiger Verachtung geprägt: Das Spiel zeigte sich zickig und auch ein klein wenig buggy, erklärte nichts Wichtiges richtig, alles Falsche viel zu ausführlich und kümmerte sich auch sonst einen Dreck um die Interessen des Spielers. Dieser war genug damit beschäftigt, die im Zeitalter von Witcher 3 und selbst Skyrim Remastered eher mäßige Technik zu beklagen, die Unzulänglichkeiten der Steuerung zu verfluchen und überhaupt zu verstehen, wann das Ding eigentlich speichert.

Aber irgendwann kam der Punkt. Die Technik ist jetzt nicht wirklich schlecht, an das Meiste in Sachen Benutzerführung gewöhnt man sich und vieles ist auch durchaus clever gestaltet. Die Handlung beginnt, das richtige Tempo zu finden - von Vollbremse zu Überroll-Turbo geht es ab Stunden sieben oder acht in den richtigen Flow - und man beginnt, sich gegenseitig zu schätzen. Auch das Spiel zeigt mehr und mehr von seinen versteckten Schätzen und am Ende war es ein großes, herziges Happy End. Roll Credits, und wenn sie nicht gestorben sind, dann warten sie jetzt auf den DLC.

Speicherpunkt (irgendwie, aber nicht so richtig): Ein Strohbett in einer beliebigen Scheune nahe des nächsten spannenden Punktes. (Kingdom Come: Deliverance - Test)

Bevor wir zu den guten Dingen kommen, erst einmal die zwei Punkte, an denen in diesem Open-World-no-Fantasy-RPG kein Weg vorbeiführt, die euch von Minute eins bis zum Ende plagen und von denen zumindest einer mit Leichtigkeit zu beheben wäre. Dieser wäre das Speichern. Mit den Jahren hat sich die Möglichkeit des Speicherns aus einem ganz einfachen Grund durchgesetzt: Spieler wollen es und oft genug braucht man es auch einfach. Zum Beispiel, wenn man die Konsole für einen Tag ausmacht und der Funktion, das Spiel nahtlos aus dem Standby heraus fortsetzen zu können, aus gutem Grund nicht ganz traut. In Kingdom Come wird gespeichert, wenn ihr ein paar Stunden irgendwo schlaft. Oder, wenn dem Spiel ein Ereignis wichtig war. Diese Meilensteine sind mitunter ein wenig willkürlich definiert, besser noch mal nachgucken, ob es jetzt wirklich einen neuen Spielstand zu laden gibt. Oder ihr habt einen teuren, recht seltenen Trank, der es erlaubt, selbst einen Speicherpunkt anzulegen. Aber immer nur einen pro Trank, also gut einteilen. Was vergessen wurde und was in der Spielewelt bei 30 Jahre alten NES-Modulen gefunden werden kann, ist ein einmaliger Speicherpunkt mit Ausstieg ins Hauptmenü, um eine Spielesession sauber zu beenden.

Die Philosophie hinter diesem kruden Speichersystem ist klar, ihr sollt nicht vor jeder Entscheidung und gefährlichen Aktion schnellspeichern. Macht man aber eben doch, indem man halt irgendwo schnell noch mal schläft. Ich trieb es auf die Spitze, als ich in ein Räuberlager schlich, mich in eines ihrer Betten legte, bis kurz vor Sonnenaufgang schlief, damit speicherte und dann fünf Mal neu lud, bis ich es schaffte, vier schlafende Räuber zu töten - ich brauchte den Vorsprung, um ein oder zwei zu erwischen, bevor der echte Kampf losging. Klappte super. An anderen Stellen spielt man halt noch mal eine Viertelstunde, bis man wieder an dem Punkt ist. Nichts ist groß anders als sonst, es ist nur unbequem, undurchdacht, etwas inkonsistent, kontraproduktiv und rundherum missglückt. Entweder geht ein Patch den ganzen Weg und führt ein verlässlicheres, aber härteres Autosave ein, oder noch besser: Lasst mich doch speichern, wie in fast jedem anderen Spiel und gut ist.

Mal davon abgesehen, dass sich die Zwischensequenzen erfolgreich viel Mühe mit der Inszenierung geben: In so einer Situation sollte man den Kampf vermeiden oder danach rennen. Gegen einen Gegner ist der Kampf nicht ideal, aber gegen vier oder fünf endet er realistisch. (Kingdom Come: Deliverance - Test)

Der zweite Punkt ist das Kampfsystem, das in einem RPG ja nicht ganz unwichtig ist. In Kingdom Come allerdings und der Fairness halber, ist das etwas weniger bedeutend als in einem Massenschlachter wie dem Witcher oder Skyrim. In Kingdom Come ist der Kampf fast immer das letzte Argument des Untertanen, wenn die Diplomatie versagt hat. Ich habe glaube ich in keinem anderen RPG so selten gekämpft wie hier und hatte damit auch nicht das geringste Problem. Die alternativen Lösungsansätze waren fast immer interessant und zahlreich genug, um mich nicht auf den Weg des Schwertes zu locken.

Wenn dann aber die Klingen sprechen, wird es relativ komplex. Warhorse Studios machte sich viele Gedanken über Schwerthaltung, Position, Timing, Bewegung und Reichweite. Alles zu beherrschen ist etwas, mit dem man zig Stunden verbringen kann und selbst dann wird es noch so sein, dass nicht jede Bewegung ideal verläuft, weil die Animationen nicht fein genug lesbar sind. Wundert euch aber gerade am Anfang nicht, wenn ihr mit einer schnellen, scheinbar unparierbaren Attackenserie komplett aus dem Gleichgewicht gebracht werdet und im Dreck landet oder schlimmer noch, anfangt auszubluten. Wer schon mal jemandem gegenüberstand, der wusste, was er mit der Klinge tut, hat diese Erfahrung machen müssen: Wie zur Hölle hat er mich so schnell getroffen und das auch noch drei Mal? Darauf gibt es die richtigen Antworten, aber sie zu lernen, ist schwierig, braucht viel Routine und Übung und diesen Aspekt setzt das etwas eigenwillige Schlagsystem ganz gut um.

Die Weltkarte ist fantastisch: Ihr habt genug Hinweise auf möglicherweise interessante Orte, findet euch gut genug zurecht, aber gleichzeitig behält sie auch genug Mysterien für sich. (Kingdom Come: Deliverance - Test)

Was komplett fehlt, ist das Trefferfeedback. Es ist in einem solchen System immer schwer umsetzbar und es gibt seit Ultima Underworld praktisch kein Spiel in der Ego-Sicht, das die Wucht eines solchen Kontaktes von Stahl auf Stahl irgendwie brauchbar umsetzt, aber selbst die Elder Scrolls sind da ein klein wenig weiter als dieser Null-Kontaktsport hier. Wäre da kein Soundeffekt, ich wäre mir nicht sicher, warum es manchmal so lange dauert, bis der andere umfällt, oder ob ich jetzt pariert habe. Wenn man einen Schlag landet, ist das zwar zu sehen, aber man spürt es nicht. Es könnte auch gewürfelt sein und als Animation ablaufen, die Verbindung aus einem direkten Trefferfeedback und dem Gefühl, mit den Kontrollen ebenso direkt dafür verantwortlich zu sein, geht Kingdom Come leider ab und das ändert sich nie, vom ersten Holzschwert bis zum Zweihänder.

Das wären die zwei wichtigsten Punkte, bei denen noch dringender Handlungsbedarf besteht und an Kleinigkeiten gibt es auch genug zu bemäkeln, dass ich damit den ganzen Text füllen könnte. Ja, es gibt den Moment, in dem fünf identische Dörfler um das Lagerfeuer sitzen. Den Glitch, wenn alle Leichen wie Vogelscheuchen in der Gegend herumstehen. Die "Klippe" am Bach, die halt drei Zentimeter höher ist und da kann der Held dann nicht hochklettern. Den Soundaussetzer hier, das Clipping da. Ein oder zwei Abstürze waren auch dabei, aber ein Problem waren die wirklich nicht - hauptsächlich auch, weil die Speicherpunkte in dem Falle glücklicherweise kurz vorher gesetzt waren. Was allerdings auch wirklich nur Glück war. Trotzdem, sowohl auf dem PC wie auch auf den Konsolen lief Kingdom Come insgesamt sehr stabil. Aber um auch nur in die Nähe von "geschliffen" zu kommen, da braucht es noch ein paar Patches.

Mit den Badehaus-Frauen könnt ihr auch gemeinsam in die Wanne steigen, was euch heilt, einen dicken Zuversichts-Bonus in Gesprächen gibt und eine Stange Geld kostet. Zu sehen ist aber nichts, im Gegensatz zum Fantasy-Konkurrenten gibt sich Kingdom Come sehr züchtig. (Kingdom Come: Deliverance - Test)

Die gute Nachricht ist, dass all das Dinge sind, mit denen man sich in diesen ersten harten Stunden nach und nach arrangiert, bis sie gar nicht mehr groß auffallen. Dieser Prozess ist ein Geben und Nehmen, denn es wird nicht nur Akzeptanz von eurer Seite eingefordert, sondern auch viel geliefert und dazu kommen wir jetzt. Zu all den schönen Dingen, warum sich Kingdom Come am Ende nicht als die zuerst befürchtete Tester-Bürde in meine Review-Annalen eintragen darf, sondern als großes und sogar sehr eigenes Vergnügen.

Ich habe eben mit dem Kampf und dem Speichern viel der technischen und mechanischen Aspekte aus dem Weg geräumt. Dies ist eine Seite, die leider nicht ganz unwichtig ist, zumal sich eure Wege mit ihr ja immer wieder kreuzen müssen. Auch wenn Warhorse schon seit über sechs Jahren an dem Spiel schraubt, diese Aspekte brauchen noch etwas. Aber das ist okay. Sie liefern nämlich gleichzeitig ihre Vision eines Rollenspiels in einer historisch akkuraten, in sich geschlossenen Welt ab, die eben keine Magie, Drachen und Dämonen kennt. Hexen und den Teufel schon, es ist immer noch das Mittelalter. Aber quacksalbernde Kräuterweiber und Gerüchte über den Teufel lassen sich eben anders lösen, als mit einer sechsköpfigen Party auf der Suche nach mehr Erfahrungspunkten.

Viel Optionen im Gespräch und Werte, die sie beeinflussen: Je nachdem, wer vor euch steht, wie ihr in Form seid, was ihr könnt und wie man euch in der Gegend so leiden kann oder fürchtet steht es mit euren Chancen, das Gespräch in eure Richtung zu biegen. (Kingdom Come: Deliverance - Test)

Nach dem etwas verstolperten Start zwischen anfänglicher Drögheit und zu viel Action ohne einer Anleitung zum Überleben, gefolgt von ein wenig zu undurchdachten Quests - wenn ihr aus der Burg entkommen wollt und schon dabei seid, komplexe Pläne zu schmieden: guckt mal auf der Zugbrücke rechts runter, der Boden ist nicht mal einen Meter weit weg - , kommt endlich der Titelbildschirm und das ist der Moment, wo ihr in die Welt entlassen werdet. Und ab hier wird alles gut, was nicht Kampf oder Speichern heißt. Obwohl ich an dieser Stelle wohl noch mal dazusagen sollte, dass das Kampfsystem an sich wirklich in Ordnung ist. Nur ein wenig emotionslos und unspaßig. Aber ich drifte zurück, schauen wir lieber nach vorn, nach Böhmen 1403.

Die Gegend um Skalitz, Talmberg, Rattay und ein paar mehr verbriefte und historische Orte in Zentral-Böhmen ein Stück südöstlich von Prag wurde massiv im Vergleich zu der real sehr großzügigen Leere der Landschaft zu der Zeit gestaucht, aber es entsteht ein ganz guter Eindruck von weiten Wäldern, grasigen Hügeln, Bachtälern und hier und da eben auch Hütten, Dörfern und Städten mit Burgen. Nichts davon dramatisiert die Landschaft, wie es sich praktisch jedes Fantasy-Spiel gönnt, aber ehrlich gesagt, fühlte ich mich noch nie einem Rollenspiel so verloren wie hier bei Nacht und Regen im tiefen böhmischen Wald ohne Fackel. Es war dunkel, es gab Wildschweine und Räuber, Nässe und Kälte krochen immersiv wertvoll heran, wenn man die Komfort-Features wie die doch recht aussagekräftige Karte oder gar die Schnellreise ignorieren kann. Das solltet ihr hier gelegentlich immer wieder mal tun, vielleicht sogar generell, zumal dem Helden die aktive Bewegung guttut.

Die Jagd: Eine hohe Kunst und ein Privileg des Adels. Das hier ist also gerade Wilderei... (Kingdom Come: Deliverance - Test)

Gelevelt wird sehr handelsüblich und auch das Steigern der Fertigkeiten kommt einem vertraut vor: Benutzt etwas oder tut etwas und ihr werdet besser darin. Das gilt für Reiten, Kämpfen, Schlösserknacken oder Redegewandtheit. In dem übersichtlich sortierten Menü gibt es den Blick unter die Haube zu den Werten, aber ehrlich gesagt, spielen diese hier eine fast untergeordnete Rolle. Auch wenn es auf dem üblichen Gerüst basieren mag, nach einer Weile beginnt sich alles weit natürlicher anzufühlen, als in anderen RPGs, vor allem eure Einschätzung der eigenen Fähigkeiten. Auf welche Weise auch immer, in diesem deutlich realistischeren Szenario lernt ihr nach und nach ein paar realistische Lektionen, die auch nach ein paar mehr Punkten in einigen Fertigkeiten nicht vergessen werden sollten.

Zum Beispiel wird euch jeder Schwertkämpfer bestätigen, dass es extrem gefährlich ist, gegen zwei Gegner zugleich anzutreten. Gegen fünf aufzulaufen ist eine klassische Form des Selbstmords. Das macht ihr ein paar Mal hier, dann vielleicht noch mal ganz zum Ende, aber erst wenn ihr wirklich maxed-out seid und ein bisschen Munchkin-Play erlaubt wird. Das Schlösserknacken zum Beispiel verhält sich genauso. Es ist ein System, bei dem ihr mit den beiden Sticks sehr gefühlvoll sein müsst und nach einer Weile gewöhnte ich mir an, das Pad vor mich zu legen, die Sticks zwischen Zeigefinger und Daumen zu halten und zu benutzen als wäre es wirklich ein Dietrich. Und es funktionierte! Ich hatte nie den Eindruck besser zu werden, weil der Wert stieg, sondern weil das Spiel es schaffte, mir mein eigenes mit der Zeit gesteigertes Geschick als echten Fortschritt zu verkaufen. Das Schlösserknacken ist definitiv einer der Aspekte, der sich im Laufe der ersten Stunden vom Hassobjekt zum Lieblingszeitvertreib entwickelte.

... für die man auch eine Menge Übung braucht. Wie man an dem Pfeilhagel hier sieht, brauchte ich ein paar Versuche, um endlich den Hasen zur Strecke zu bringen. Aber die meisten Pfeile lassen sich wieder einsammeln, nur wenige waren zerbrochen. (Kingdom Come: Deliverance - Test)

Es gab viele genau solcher Entwicklungen und vieles hat mit dem Erlernen der Spielwelt zu tun, die so viel rauer und komplexer wirkt, als es sonst der Fall ist. Sie ist es nicht wirklich, nicht in letzter Konsequenz. Ihr habt Quest-Marker, die euch nah genug an die Lösung heranführen, auch wenn ihr auf den letzten Metern etwas mehr Eigenleistung investieren müsst. Es gibt besagte Karte und Schnellreise. Ihr seid nie verloren. Es ist vielmehr das langsame Ankommen im Mittelalter, das euch das Spiel in vielen Facetten näherbringt. Vom einfacheren Leben auf dem Dorfe, bis in die Ränge der niedrigeren Adligen kümmert sich das Spiel viel weniger um die ganz großen Dinge von Kaisern und Königen, die weitestgehend als Kulisse dienen, sondern um das, was dieses Leben für die meisten damals Anwesenden ausmachte.

Ein Schwert, eine Rüstung und ein Pferd zu kaufen, etwas ganz Alltägliches in einem anderen Rollenspiel, ist 1403 ein teures Privileg, das mehr Geld erfordert, als ein Bauer in seinem Leben sieht. Ihr braucht eine ganze Weile, bis ihr das tun könnt. Bis dahin lernt ihr, damit zu leben, was ihr findet, erbeutet oder euer Lehensherr - niemand außer Vogelfreien ist ohne einen solchen, auch ihr nicht - euch zugesteht. Ihr lernt es wertschätzen, denn diese Dinge nutzen sich realistisch schnell ab. Ein Schwert, das in zwei oder drei Kämpfen war, muss unter den Schleifstein. Den könnt ihr lernen zu bedienen - erneut, Wandlung von nerviger Pflicht zu geschätzter Kunst in wenigen Stunden - oder ihr zahlt jemandem, der es kann viel Geld. Meine erste gute, komplette Ausrüstung, die nicht zerschlissen, schartig, blutig und verdreckt war, hatte ich nach etwa 20 Stunden Spielzeit. Ich zog mit virtuellem Stolz durch das Stadttor in die Welt. Viel, viel mehr davon, als ich in Skyrim verspürte als ich dort Weltgeschehnisse veränderte. Das ist etwas, das einem heute nicht mehr so viele Spiele bieten.

Die Engine bietet ihre zauberhaften Momente... (Kingdom Come: Deliverance - Test)

Auch die inhaltliche Wandlung ist spannend. Der Aufstieg des einfachen Sohns eines Schmieds - der dann doch nicht so einfach ist, aber trotzdem - hin zu einem Gewicht an der Waage der großen Ereignisse ist handelsüblich genug und wird solide zelebriert. Dass die Hauptmotivation für lange Zeit ein eher simples Rachemotiv ist, passt perfekt als Triebfeder. Aber eigentlich verbringt ihr die meiste Zeit trotz eurer Verpflichtungen zu Herr und Adel als freier Agent, der den Dingen in der Welt nachgeht. Der Begriff der "Polizei" entwickelt sich zu der Zeit gerade und oft fühlt ihr euch wie eine Art Ermittler, der sehr lose im Dienste seines Herren steht, aber eher als freier Agent mit Eigeninitiative nach dem Rechten sieht. Eine zumindest kurze Recherche ergab, dass es in der Struktur des mittelalterlichen Sicherheitswesens keine wirklich vergleichbare Rolle gab, womit die eigene Figur wohl der größte Anachronismus des Spiels sein dürfte. Aber einer, mit dem ich sehr gut leben konnte.

Der Rest der Spielwelt ist, mal abgesehen von der Stauchung der Entfernungen, mit viel Liebe zum Detail und Realismus gestaltet, auch was das Sozialgefüge, politische und religiöse Strömungen und viele kleine Details angeht. Sicher, als jemand, der eine moderate Laienbildung dieser Historie genießt, könnte man jetzt sagen, dass die Bewegung der Hussiten zum Beispiel eher etwas unscharf in Sachen Feinheiten und inneren Spannungen skizziert wurde. Aber im Spiel passt das sogar. Man darf halt nicht vergessen, dass Prag als eines der Zentren dieser prä-lutherischen Reformationsbewegung kaum mehr als 50 Kilometer entfernt war, 98 Prozent der Bevölkerung aber nie das Dorf verließen, in dem sie geboren waren. Eine der stärksten Szenen des Spiels ist dann auf vielen Ebenen eine Szene, in der ihr mit mehr als nur Restalkohol als Fake-Priester eine Predigt über die Lehren Hus halten müsst, die euch der eigentliche Priester in der Nacht davor mehr schlecht als recht erzählte. Während euer Held sich so durchhangelt, seht ihr auch die Reaktionen der Leute, die dies praktisch als einzige Quelle solcher Nachrichten zur Hand haben. Das, plus die durchzechte Nacht davor, ist eine lange, schön inszenierte, ausgezeichnet geschriebene, historisch interessante und sogar humorvolle Sequenz, die auf einem Niveau mit dem Besten liegt, was ihr in einem Witcher findet.

...manchmal aber auch ihre kleinen, lustigen Glitches: Dieser Spieler des sehr unterhaltsamen Würfelspiels Farkle scheint noch nicht fertig gewesen zu sein, einen Würfelbecher aus diesem Holzklotz zu schnitzen. (Kingdom Come: Deliverance - Test)

Nicht jede Quest und jeder Handlungsabschnitt ist so hinreißend, es gibt hier und da auch die gelegentliche Fetch-Quest, die ich in der Regel ungestraft links liegen lassen durfte. Vieles aber zeichnet sich durch eine ungewöhnliche Qualität aus, die man gerade im Fantasy-Genre eher selten findet: Ehrliche Menschlichkeit. Die Charaktere sind alle glaubwürdig gezeichnet, sind nicht durch und durch böse oder gut, sondern wollen in dieser recht harschen Welt in ihrer Rolle zurechtkommen. Die Beziehung zwischen Adel und Untertan, zwischen Stand und Außenseiter schien den Autoren wichtig und laufen als starkes Nebenmotiv immer wieder mit dem roten Faden der Handlung. Ob nun Knecht, der seinen Herren ohne eigene Schuld enttäuschte, oder der Herr, der versucht in seiner angeborenen Rolle den rechten Weg zu finden. Die Figuren dieser Welt könnten vor 600 Jahren problemlos auch in unserer existiert haben. Sicher, dort wären sie noch einmal deutlich komplexer gewesen und der Held als freies Radikal hätte wohl so kaum existieren können, aber im Rahmen eines Videospiels, das ja auch noch Spaß machen soll, ist es ein ausgesprochen starker Versuch, interessante Figuren realistisch zu halten.

Wie schon gesagt, die eigentlichen Quests und Handlungsstränge haben ihre Höhen und Tiefen und mit am schwächsten fand ich am Ende die des Großen Ganzen. Sobald es um Könige und Kriege geht, wandelt sich das Spiel in das, was man erwarten würde, die persönlichen, kleinen Geschichten geraten in den Hintergrund und am Ende muss das auch wohl so sein. Schließlich ist es eine Zeit der historisch verbrieften Königszwiste, die kann man in der Geschichte des Aufstiegs vom Schmiedelehrling zum Weltenbeweger nicht weglassen. Trotzdem, am Ende waren es die kleineren, in die übergeordnete Handlung sauber eingewobenen Geschichten, die hängenblieben und ich stand auch nie auf dem Acker Böhmens und fragte, mich, was ich jetzt wohl machen sollte und ob sich das für mich als Spieler wohl lohnen könnte.

Das Menü deckt alles ab: Von interessanten Infos über die Zeit, eure Werte, das Inventar... (Kingdom Come: Deliverance - Test)

Manchmal hieß das in einer solchen Welt aber auch nur, sich zu fragen, wo man jetzt ein Brötchen herbekommt. Diese klassische "auf dem Weg zur U-Bahn"-Frage werdet ihr euch in Kingdom Come oft genug stellen, denn zu den ganzen Werten, die den Helden auszeichnen, gehören auch Hunger und Müdigkeit. Durst blieb außen vor, wobei ihr Kräutertränke findet, die euch Kampf- und andere Boni geben oder auch langsam heilen können. Das ist so nah dran an Magie, wie es hier wird und ein Gameplay-Kompromiss, mit dem ich leben kann. Was das Essen angeht, müsst ihr nicht nur darauf achten, dass ihr etwas dabeihabt, sondern auch, dass es nicht zwischendurch verfaulte. Es ging mir nicht so gut, nachdem ich die drei Wochen überfällige Linsensuppe runterwürgte. Den Rest des Tages hatte ich mit Vergiftungserscheinungen zu tun. Durchaus realistisch. Dieser Aspekt kann anfangs etwas nerven, aber irgendwann habt ihr raus, welche Dauerwürste lange halten, wisst, dass ihr an Kochstellen immer mal schnell aus dem Topf naschen solltet und es fällt gar nicht weiter auf.

Zu so viel Realismus gehört natürlich auch, dass es Ausdauer gibt, die beim Rennen und vor allem im Kampf beachtet werden muss. Schwere Blutungen heilen nicht einfach, indem man mal eine Nacht durchschläft. Sie müssen verbunden werden, was ein weiterer nützlicher Skill ist. Vor allem, weil ihr oft genug auch auf andere trefft, die Hilfe brauchen und euch diese viel eher selbst anbieten, wenn ihr ihnen zuvor mit etwas Talent einen Verband angelegt habt: Das Spiel ist voll von diesen Details und da es auch so viel Wert auf Gespräche legt, gibt es natürlich auch ein relativ komplexes Dialogsystem. Dabei gibt es eine Reihe von Werten wie Ansehen, Bedrohlichkeit, Redekunst und noch ein paar Modifikatoren im Detail. Die Grundidee dabei ist sehr rollenspieltypisch: Ihr habt einen Wert, euer gegenüber ebenso. Nutzt ihr die Option, wird "gewürfelt" und wer mit seinem Modifikator dann besser dasteht, gewinnt den Austausch. Für euch kann das bedeuten, dass eine Quest viel leichter wird, wenn ihr vier Räuber überzeugt, dass ihr nicht der seid, den sie suchen. Oder eben viel schwerer, wenn ihr eine wichtige Information nicht bekommt und ihr nun eine andere Lösung finden müsst.

Eure Werte für Ansehen oder Bedrohlichkeit hängen viel mit eurem Äußeren zusammen, wobei sich das System leider oft auch etwas realitätsfern und undurchsichtig gab. So gelang es mir trotz ansehnlichem Ruf in der Gegend - ein weiterer Faktor -, guter Bewaffnung und Rüstung für den passenden Look nicht, eine einfache Müllerin einzuschüchtern. So etwas passiert leider viel zu oft und es hilft auch nicht, dass die Werte des anderen nicht mal als Schätzung angezeigt werden, sondern erst, wenn ihr die Person schon gut kennt und in der Regel eh nichts mehr von ihr wollt.

... bis hin zur sauber geführten Questverwaltung. Kingdom Come ist sicher nicht casual, aber auch nicht so hardcore, dass ihr einen Notizblock brauchen würdet. (Kingdom Come: Deliverance - Test)

Was aber definitiv eine Stärke von Kingdom Come ist: die Reaktion der Welt auf euch. Dank dieser Ruf-Werte reagieren Leute generell anders auf euch, Wege eröffnen sich oder bleiben versperrt und es ist auch nicht jeder immer gleich auf Blut aus. Nachdem ich ein paar Schurken eine Information nicht geben wollte, verprügelten sie mich lediglich - solange ich nicht meine Waffe zog. Dann wurde aus Spaß Ernst und sie brachten mich um. Gleichzeitig ergibt sich öfters mal ein Gegner, den ihr dann ziehen lassen könnt, was eurem allgemeinen Ruf nicht schadet, auch wenn ihr dann nicht mehr ganz so bedrohlich wirkt. Ich mag die Idee hinter all dem wirklich gern, ich denke, dass es vom Gedanken her eines der am spannendsten umgesetzten Dialog-Systeme überhaupt ist, aber in der Ausführung gibt es noch ein paar kleine Haken. Im Grunde ist das wohl das Motto für das ganze Spiel, was uns zur Technik bringt.

Am Anfang gab es ja schon ein paar Andeutungen zur Technik und was man gleich sagen muss: ihr dürft kein Witcher 3 und auch kein Skyrim HD erwarten. Es ist ein kleines Team mit seinem ersten Spiel, das viel zu lange in der Entwicklung feststeckte, in einer Engine - Cry - die nicht gerade als pflegeleicht gilt. Textur-Pop-ins sind an der Tagesordnung, auch auf stärkeren PCs, an den Gesichtern der Figuren sieht man immer, wer für die Handlung wichtig ist und wer in den Tiefen des Uncanny Valley bleiben musste. Kompromisse finden sich überall, so auch spielerisch, wenn ihr im Gegensatz zu einem Elder Scrolls nicht alles mitnehmen dürft, was herumsteht, sondern das Meiste eben nur statische Deko ist - aber keine Sorge, es gibt auch so genug zu Looten und beim Müller zu verkaufen. Müller waren damals wohl die üblichen Hehler, wieder was gelernt. Könnte daran liegen, dass jeder bei ihnen vorbeiguckte.

Trotzdem, insgesamt ist der Look durchaus schön und vor allem das, was er sein möchte: Eine recht realistische Darstellung dieser Zeit und Welt, die bei einem älteren PC (970er Karte, zwei Jahre alter i5) immerhin noch mit 60 Frames auf mäßig ansehnlichen Mittel-Einstellungen in 1080p lief. 30 FPS waren es dann mit den sehr hohen Settings und das auch hübsch, obwohl es dann auch mehr Probleme mit dem Textur-Streaming gab. Auf schnelleren Maschinen solltet ihr keine Schwierigkeiten haben, einen Sweetspot für euch in Sachen Frames, Look und Auflösung zu finden. Der PC war auch die "instabilste" Plattform, mit gerade mal zwei Abstürzen in über 20 Stunden. Es ist also selbst auf einer mittelalten Möhre gut und flüssig genug spielbar.

Ein nächtlicher Ritt durch Böhmen hat zauberhafte Momente, vor allem, nachdem ihr über Stunden schon in die Stimmung des Spiels abgetaucht seid. (Kingdom Come: Deliverance - Test)

Bei einem so ambitionierten Projekt eines kleinen Teams kam durchaus Sorge auf, als bekannt wurde, dass auch die Konsolen zeitgleich bedient werden sollen, aber hier kann ich Entwarnung geben. Abstürze gab es bisher keine - 30 bis 40 Stunden auf dem jeweiligen System - Schönheit und Auflösung skalieren direkt mit der Leistungsfähigkeit der Maschinen, wobei die regulären Versionen von PS4 und Xbox mit etwas, das nach mittel bis hohen Einstellungen in 1080p aussieht in 30 Frames läuft. Diese werden augenscheinlich auch auf der Pro und der X gehalten, das dort aber sehr stabil - wenn die Texturen nicht gerade nach einer Schnellreise geschaufelt werden. Für das Mehr an Rechenleistung gibt es dann mehr Details, die im schnellen Vergleich irgendwas zwischen sehr hohe und Ultra-Einstellungen sein dürften. Die schönste und vor allem in den Frames beste Version bekommt ihr also erwartungsgemäß auf einem schnellen PC, aber es gibt keinen Grund, auf Kingdom Come zu verzichten, wenn ihr nur eine der Konsolen parat haben solltet.

Dem kommt natürlich entgegen, dass das Spiel scheinbar von vornherein auf eine Pad-Steuerung ausgelegt wurde. Am PC klickt es sich vielleicht etwas schneller durch die recht übersichtlichen Menüs - zumindest gemessen an der Masse an Werten, Gegenständen, Quests und Informationen, die sie beherbergen müssen -, aber nie so sehr, dass ich auf mein geliebtes Pad verzichten wollte. Wo Warhorse gerne noch mal ein wenig nachbessern darf, ist die Übersichtlichkeit bei Waffen und Rüstungen. Eine Anzeige, welche Werte besser oder schlechter sind, als das, was man trägt zum Beispiel, wäre willkommen. Aber dafür sind ja Patches da, von denen einige wohl auch schon in der Planungspipeline stecken. Mal gucken.

Diese Patches dürfen dann auch gerne beim Sound eingreifen: Nicht bei der Musik, die geht völlig in Ordnung, auch wenn sie in ihrer netten Belanglosigkeit jetzt nicht groß im Ohr hängenbleibt. Nein, es ist die Sprachausgabe, die hier und da mal plötzlich so leise ist, dass man Untertitel fast immer anhaben sollte. An anderer Stelle sprang sie vom Deutschen für ein paar Sätze mal ins Englische, aber das passierte wirklich nur an einer Stelle kurz. Gut so, denn selbst für mich als jemand, der sogar Spiele aus Deutschland oft genug auf Englisch spielt - meist, weil ich zu faul bin, die Konsole umzustellen - war die deutsche Version hier Pflicht. Ihr habt besser und feiner nuanciert geschriebene Texte als im Englischen und wo deren Sprecher oft emotionslos bis fast gelangweilt wirken, schauspielern die deutschen Sprecher mit ihren Stimmen. Und das nicht auf eine übertriebene oder laienhafte Art, wie man es leider zu oft hören muss, sondern wirklich, richtig und ehrlich gut. Es mag sein, dass die tschechische Version dann die ultimative ist, das werde ich nicht herausfinden, aber ich kann mich ja auch wunderbar mit einer der besten deutschen Sprachfassungen aktuell trösten.

Es gibt 11 gute Gründe, dieses Kloster bei Nacht zu besuchen. Nummer 6 wird euch umhauen! (Kingdom Come: Deliverance - Test)

Kingdom Come: Deliverance ist anfangs nicht wirklich gesuchte, dann aber doch gefundene Liebe. Erst einmal ist es wirklich das große Rollenspiel des Winters und Frühlings, auf das man gehofft hatte. Das aber nicht als simpler Mittelalter-Klon von Dingen, die man sonst mit Drachen kennt, sondern in vielerlei Hinsicht deutlich erwachsener. Und zwar nicht auf die Art, die einfach nur Brüste und Blut beinhaltet, sondern mit ernsten Themen, die zu dem historisch recht gut getroffenen Szenario passen. Es zeichnet seine Welt glaubwürdig, nutzt seine Bausteine hier und da etwas ungeschickt, das Speichern und Kampf etwa. Doch das trübt die Freude an intelligenten, abwechslungsreichen Quests und gut geschriebenen Dialogen und mit komplex verzahnten Systemen nur gelegentlich.

Auch nahmen die Entwickler das ganze Mittelalter-Ding sehr ernst und selbst, wenn ihr schon eine Menge wisst, dann könnt ihr noch hier und da etwas lernen. Wer sich noch nicht mit der Zeit um 1400 befasste, hat danach einen soliden Überblick über das Leben damals und schon mal von einigen der wichtigen Player dieser Ära in Böhmen gehört. Lernen kann auch Spaß machen!

Kingdom Come: Deliverance braucht hier und da noch Feinschliff und einiges davon wird wohl auch in Form von Patches noch kommen. Vor allem aber ist es ein ausgezeichneter Einstieg für Warhorse Studios, die mit diesem Spiel erfolgreich ihre Vision eines realistischen Mittelalter-RPGs präsentieren und von hier aus hoffentlich daran weiterarbeiten. Das erste Witcher war auch noch nicht da, wo das dritte dann landen sollte und das ist der Sprung, den man sich hier durchaus vorstellen kann. Nur halt alles etwas ernster.

Entwickler/Publisher: Warhorse Studios / Deep Silver - Erscheint für: PC, PS4, Xbox One - Preis: ca. 60 Euro - Erscheint am: erhältlich - Getestete Version: Xbox One X, PS4, PS4 Pro, PC - Sprache: deutsch, englisch und andere - Mikrotransaktionen: Nein

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Martin Woger Avatar
Martin Woger: Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.

Informationen zu unserer Test-Philosophie findest du unter "So testen wir".

In diesem artikel

Kingdom Come: Deliverance

PS4, Xbox One, PC, Mac, Nintendo Switch

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