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Kolumne: 500 Enden

= 499 zu viel?

Ich lese nicht gern über Spiele, bevor sie erscheinen. Die große Ausnahme ist Fallout 3. Als Fan der ersten beide Teile lande ich immer wieder auf der offiziellen Webseite und schaue, wie die Entwicklung läuft. Und so lese ich dann, dass nach aktueller Zählung 500 verschiedene Enden (eigentlich 'permutations', also Varianten) möglich sein werden. Von solchen Zahlen saust mir der Kopf. Rechnen ist keine meiner Stärken. Wie kommt man auf so eine Zahl?

Hundertstelgeschichten

Wahlfreiheit und gut erzählte Geschichten stehen einander im Weg. Wenn ich überall hingehen darf, rechne ich nicht mit einer packenden Geschichte an jeder Straßenecke. Wann immer ein Rollenspiel oder andere Vertreter des immer beliebter werdenden Sandkastengenres wirklich etwas erzählen wollen, nehmen die Risiken rasant zu. Das hat nichts mit schlechtem Gamedesign zu tun, sondern liegt in der Natur der Sache. Eine offene Welt kann niemand mit Sinn füllen. Also erwarte ich, dass die Geschichte in linearen Missionen und Zwischensequenzen erzählt wird. Austoben darf ich mich dazwischen.

Bitte erzähl mir nicht die neuesten Gerüchte, Echsenmann.

Oblivion, vom selben Entwickler, der jetzt an den 500 Enden von Fallout 3 sitzt, wurde im Vorfeld mit aufgeblasenen PR-Versprechen beladen. Entwickler Bethesda wollte mehr Hirn in die Welt bringen. Auf den Straßen traf man Menschen, die von der 'Radiant AI' getrieben Tagesabläufe hatten, aufeinander reagierten und miteinander redeten. Das klang zu gut, um wahr zu sein - und war es auch.

Die Charaktere liefen hin und her, und redeten, aber wenig hatte Sinn oder Verstand. Am schlimmsten war, dass man mit den leblosen Puppen reden musste, damit die Story voran ging. „Erzählt“ wurde in Oblivion also, indem man von hässlichen Gesichtern frontal den Plot eingetrichtert bekam. Das hatte selten mit Wahlfreiheit und nie mit Intelligenz zu tun. Spätestens das sinnentleerte Minispiel, mit dem ich die Stimmung meiner Gesprächspartner aufhellen konnte, zog jede Interaktion ins Lächerliche. Da sind mir Menschen lieber, die den ganzen Tag an derselben Theke hocken, aber eine packende Zwischensequenz zünden, sobald ich sie anspreche.

Immerhin boten die gestelzten Gespräche die Grundzutat für Spiele mit echten Entscheidungen: Multiple-Choice-Dialoge. Aber die sind nur schwer mit guten Erzählungen zu vereinbaren. Je mehr Möglichkeiten sich dem Spieler bieten, je weiter sich das Baumdiagramm auffächert, desto beliebiger wird es. Entwickler werden von wirtschaftlichen Notwendigkeiten getrieben.

Die leblosen Augen meines Vaters

Jede Verästelung einer Geschichte fordert Sorgfalt. Deswegen bin ich als Spieler sofort bereit, auf Wahlfreiheiten zu verzichten. Wenn am Ende eine Geschichte herauskommt, die spannend ist, die von glaubwürdigen und gut geschriebenen Charakteren bevölkert wird, dann ist mir das mehr Wert.

Was heißt das für Fallout 3? Die Radiant AI kann ich Bethesda leider nicht abgewöhnen. Aber mit der Ankündigung, die neue Welt sei kleiner, hat der Entwickler schonmal einen richtigen Schritt getan. Ich würde mich über weniger Charaktere freuen, die dann alle etwas zu sagen haben, die mir mehr Gesprächsthemen anbieten als „Gerüchte“ oder „Ortsnamen X“; über keine zwei Menschen, die genau dasselbe sagen; über eine dichte Welt, in der jede Mission etwas bedeutet und gut erzählt wird.

Dass Bethesda hervorragende Rollenspiele machen können, haben sie bereits bewiesen. Hoffen wir, dass sie diesmal mehr zu erzählen haben. Von mir aus auch 500 mal.

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