Point & Click: Die Adventure-Kolumne
Schwere Geburt
Sam & Max 2: Schwere Geburt
(oder: Current market place realities my ass!)
Der Hundepolizist Sam und sein quirliger Kumpel Max mit dem Faible für überflüssige Gewaltanwendung gewannen viele Fans, als 1993 das LucasArts-Adventure Sam & Max erschien. Streunende Katzen umstülpen, das weltlängste Wollknäuel kürzen oder eine Runde Bratz-das-Vieh daddeln – da kommt Freude auf. Da lag eine Fortsetzung eigentlich nahe. Und doch gehört das Projekt Sam & Max 2 zu den schwersten Geburten der Adventuregeschichte.
Bereits 2002 wurde ein wenig beachtetes Action-Adventure für Konsolen eingestellt, das zusammen mit dem Entwickler Infinite Machine den Weg alles Irdischen ging. Zwei Jahre später dann feierte mit einem infernalischen Knall das LucasArts-eigene Freelance Police seinen Interruptus, als mit einer legendären Pressemitteilung die Einstellung des Hoffnungsträgers besiegelt wurde ("... careful evaluation of current market place realities ... not the appropriate time to launch a graphic adventure ..."). Eine Welle des Entsetzens schwappte durch die Community. Wer hip sein wollte, startete eine weitere Protest-Petition. Umdenken wollten die Entscheider aber nicht.
Es musste erst dazu kommen, dass die Lizenz, die LucasArts für das Duo hatte, auslief und zurück an Sam-&-Max-Erfinder Steve Purcell fiel, bis sich schließlich Telltale der Sache annahm und zum dritten Mal einen Nachfolger ankündigte. Die Firma besteht zum Teil aus geflüchteten Ex-LucasArts-Entwicklern und wird offenbar von hinreichend wenig Anzugspießern gesteuert, um mit einem solchen Projekt ins offene Messer der "current market place realities" zu laufen. Um völlig am Markt der LucasArts-Oberen vorbeizuproduzieren, hat man Sam & Max: Season 1 dann auch noch gleich als episodenweise veröffentlichte Bezahldownloads angekündigt.
Ich befürchte allerdings, dass Telltale die hohen Erwartungen vieler Fans nicht erfüllen kann. Die zwei Bone-Titel waren knuffig, irgendwie nett und kurzweilig, doch wurde schon deutlich, dass hier weder das Budget noch die Manpower von großen Produktionen am Werk war. Dazu kommt, dass ich noch in keinem bisher veröffentlichten Ingame-Material den spritzigen Witz des E3-Trailers der Freelance Police ("Shut up and dance!") wiederentdeckt habe. Nach dem jahrelangen Hin und Her um das pelzige Gespann sind vermutlich in manch einem Hardcore-Fan Erwartungen herangereift, die die junge und relativ kleine Firma schlicht nicht erfüllen kann.
Milde stimmt da das jüngst veröffentlichte Preismodell: alle sechs Episoden der ersten Staffel gehen im Paket für 34,95 Dollar über den virtuellen Ladentisch. Das sind nicht einmal 5 Euro pro Folge. Zu dem Preis freue ich mich doch gerne auf ein leckeres Adventure-Häppchen am 1. November. Ich erwarte einfach nicht zu viel und werde dann auch nicht enttäuscht.
Jan Schneider ist Webmaster von Adventure-Treff.de, der großen deutschen Website für Adventure-Spiele. Jeden Mittwoch macht er sich auf Eurogamer.de Gedanken über das Genre.
Bisher erschienene Folgen:
13.09.2006 - Der Tod steht ihm gut
20.09.2006 - Pixelhunting
04.10.2006 - Gut gedreht