Kolumne: Schmutzig und verkommen
Ein TV-Spot rückt es ins Licht
Es klingelt an der Tür. Eine Gruppe Skinheads fragt nach Klaus. Die Mutter weist den Rechtsradikalen freundlich den Weg zu seinem Zimmer. Erneut klingelt die Schelle. Diesmal zwängt sich eine frivole Truppe mit vollbusiger und offenherziger Frontfrau in den Türrahmen. „Ist Klausi da?“. „Ja, der ist oben in seinem Zimmer“, strahlt die Mutter. „Schön, dann können wir ja einige neue Stellungen ausprobieren“ wirft die aufreizende Dame ein und die Leutchen stampfen in die erste Etage. Ohne großes Geklingel und ziemlich unerwartet steht plötzlich eine Spielfigur im Eingangsbereich, zieht seine dicke Knarre und zerdeppert Vasen und Inventar. Ein böser Blick und schon springt er der Porno-Fraktion hinterher. Der letzte Gast ist nicht an Klaus interessiert, dafür aber an seiner kleinen Schwester. Mit dem Versprechen „Komm, ich zeig dir einen richtigen Hasen“ lockt der schmierige Typ das junge Mädchen aus dem Haus.
Vorgestern Nacht, irgendwann zwischen 3:00 Uhr und 4:00 Uhr, machte ich es mir vor meinem Fernseher gemütlich. Ja, ich weiß, sehr spät. Aber ich bin durch und durch ein nachtaktiver Mensch und komme vor dieser Uhrzeit eh nicht zum Schlummern. So zwischen einer Handvoll Chips und einem Happen „Currywurst aus der Mikrowelle“ flimmerte ein Werbespot zum Thema „Sicherheit im Internet“ über den Bildschirm. Bei den ersten Szenen dachte ich noch „Holla die Waldfee, das ist mal eine wirklich harte Botschaft“. Am Ende kribbelte es mir allerdings mächtig unter der Hirnrinde.
Bei allem nötigen Respekt, liebe Mitarbeiter von Ogilvy & Mather Frankfurt, Ihr habt da wirklich einen tollen Spot gedreht. Aber was bitte hat dieses merkwürdig zusammengewürfelte Halo und Mortal Kombat-Männlein zwischen Pornos, Pädophilie und Rechtsradikalismus zu suchen? Geht das nicht vielleicht ein wenig am Thema vorbei? Ist das nicht vielleicht eine Spur zu übertrieben? Sicher, einem Christian Pfeiffer würde solch eine Botschaft gerade in den Kram passen. Der meint ja sowieso, dass „Killerspiele“ mit „Kinderpornographie“ gleichzusetzen sind. Aber überlegt Ihr auch mal, was Ihr damit auf den Bildschirm bannt? Wie Ihr den Leuten, die sich eben nicht mit Spielen auskennen, suggeriert, wie verkommen, schmutzig und abgrundtief gefährlich Action-Spiele sind? Anscheinend nicht.
Ich finde es ja grundsätzlich nicht schlecht, die Eltern auf die Gefahren des Internets hinzuweisen. Filmchen, bei denen Bärbel und Karl-Otto zu Staubsauger und Co. greifen und kräftig mit den Körpern wackeln, gehören definitiv nicht in Kinderhände. Und etwaige Neonazi-Seiten voller rassistischer Parolen und Bilder von Zehnjährigen, die traurig ihren jungen Körper in die Kamera halten, sollte man sowieso aus den Weiten des Webs verbannen. Aber wie passen da Spiele oder vielmehr Shooter rein? Eine Warnung á la „Passt auf, sonst lädt sich Euer Dreikäsehoch illegal Spiele aus dem Netz“ kann es ja nicht sein. Dafür ist die Nachricht mit dem Gewaltakt viel zu deutlich.
Und überhaupt: Ist Euch eigentlich nicht klar, wie beleidigend Euer - auch noch mit Preisen ausgezeichneter - 2-Minüter gegenüber den Spiele-Herstellern ist? Wie er zudem auch uns – die Zocker – auf eine Stufe mit kranken Individuen stellt? Krank im Sinne der Neonazis und dieser Ekel, die sich an zarten Kinderkörpern aufgeilen. Für viele Jugendliche sind solche Action-Titel eine Art virtueller Sandsack, an dem sie ihre aufgestaute Wut, ihren Frust sprechen lassen. Allemal besser, als gleich Olaf oder Simon in der Schule eins auf die Nase zu geben. Andere greifen zu Videospielen, um einfach nur abzuschalten, die lauernde Perspektivlosigkeit außen vor zu lassen. Verdrängen, dass man vielleicht keine Lehrstelle bekommt, auf eine sozial schwache Ebene zusteuert, den eigenen Kindern später nie etwas bieten kann. Oh und nicht zu vergessen den wohl stärksten Grund: Schlicht und ergreifend Spaß zu haben - mit Freunden, Bekannten, vielleicht sogar Geschwistern. Simpler Spaß, ohne dass man im Hinterkopf Pläne schmiedet, wie man Frau Meier und Herrn Müller um die Ecke bringen könnte.
Ich bin Mutter von zwei kleinen Kindern und nehme meine Verantwortung sehr ernst. Und ich spiele Ego-Shooter, in denen ich virtuell andere Menschen töte. Ich werde mich dafür nicht schämen. Und ich werde mich auch nicht bei der ersten „anonymen Gruppe“ anmelden, wo sich Gleichgesinnte mit einem devoten „Hallo, ich bin Ernst und spiele Shooter“ begrüßen.
Kurze Anmerkung: Der TV-Spot existiert bereits seit Mitte Oktober 2005. Durch die Killerspiel-Diskussion fand er aber erstaunlicherweise wieder ins Fernsehen zurück - in zwei Ausführungen, mit Spielfigur und ohne.