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L.A. Noire

Lese in den Lebenden und die Toten sprechen zu dir

Solche Dialoge habe ich noch nicht erlebt. Es ist nicht unbedingt die Art und die Qualität dessen, was sie erzählen. Das ist auch gut, sehr gut sogar, jeder Charakter hat seinen eigenen Stil, es werden tolle Geschichten großartig geschrieben erzählt. Wäre dies ein Krimi-Roman, würde er immer noch mit Lob aufgenommen werden. Aber hier steht die Art, wie die Gesichter und Stimmen manchmal eine ganz andere Geschichte erzählen, als die, die in den Worten steht, im Vordergrund.

Und damit gibt es ein massives Problem für alle, die des Englischen nicht wirklich mächtig sind. Hier wurden offenbar wahrhaftig talentierte Sprecher angeheuert, die jeder der Figuren eine eigene Persönlichkeit geben und es verstehen, diese nicht nur in einen Akzent fließen zu lassen, sondern in Betonungen, Formulierungen und sprachlichen Hinweisen das zu verpacken, was wirklich in der Figur vor sich geht. Die deutschen Untertitel helfen zu verstehen, was vor sich geht und meistens kommt man damit weiter. Will man jedoch das genießen, was dieses Spiel wirklich zu bieten hat, das, was es absolut einmalig macht, dann kommt man nicht umhin zuzuhören und dann muss man auch verstehen. Sorry, but that´s the way it is. L.A. Noire ist auf Deutsch spielbar, es macht Spaß, aber es entgeht einem doch was.

Warum es so wichtig ist, zwischen den Zeilen zu lesen, wird schnell klar. Ihr konfrontiert den Verdächtigen mit einer Aussage, beispielsweise dass ihr in seiner Wohnung ein Hemd mit Blutflecken gefunden habt oder dass sich ein persönlicher Gegenstand von ihm nahe an die Brandruine verirrte. Er wird euch jetzt vielleicht erzählen, dass er sich beim Rasieren geschnitten hat. Jetzt gibt es grundsätzlich drei Möglichkeiten. Ihr glaubt ihm. Warum auch immer, ihr geht der Sache nicht groß nach. Die zweite Wahl heißt Anzweifeln. Ihr habt keine Beweise, dass es nicht so war, aber ihr wollt trotzdem ein wenig Druck ausüben. Phelps formuliert die Anschuldigung vorsichtig, aber doch unmissverständlich.

Jetzt kommt es auf euer Gegenüber an. Ist es ein Möchtegern-Starlet aus Kansas? Dann könnte es schon nervlich einknicken. Habt ihr einen abgebrühten Ex-Knacki vor euch, dann wird er wohl eher dagegenhalten, aber vielleicht bei dieser ausführlicheren Ausrede auch etwas verraten, was euch anderweitig helfen kann. Die dritte Variante, jemanden offen der Lüge zu bezichtigen, kann sehr kritisch sein, wenn ihr nichts weiter in der Hand habt als eure Vermutung. Dann wird euer Gegenüber wahrscheinlich die Hände hochreißen und „Ich war es nicht!" rufen. Jetzt habt ihr besser im Laufe der Entwicklungen etwas gefunden, das eure Aussage mit Beweisen unterfüttert. Dann muss er sich offenbaren und mit mehr herüberrücken.

Dass dieses Spiel Spaß macht und das immer wieder aufs Neue, liegt an verschiedenen Faktoren. Der Erste ist das gelungene Benutzerinterface in Form eures Notizbuches. Hier werden übersichtlich alle Fakten und Hinweise zum Fall sortiert und können per Knopfdruck ausgewählt werden, um sie im richtigen Moment einzusetzen. Ihr habt kein umständliches Inventar, kein „Zeige Mordwaffe dem Verdächtigen", weil es einfach nicht nötig ist. Ihr habt es dokumentiert, es gilt als Tatsache. So habt ihr die zahlreichen Aspekte eines Falles stets kompakt in der Hand und nichts wird vergessen, habt ihr es erst einmal gefunden.

Der zweite Punkt ist die schon ausführlich beschriebe Qualität der Dialoge und ihre sprachlich absolut einmalige Umsetzung. Der dritte Aspekt schließlich ermöglicht die perfekte Verhörsituation. Die Grafik von L.A. Noire insgesamt würde ich als gehoben, aber ohne Überraschungen bezeichnen. Die Stadt sieht okay aus, manche Texturen sind billig, aber insgesamt der gehobene Standard, ohne das geschliffene Gesamtbild eines Red Dead zu erreichen. In den Gesichtern der Charaktere aber werden die Zeichen für die Zukunft gesetzt. Dies sind keine Masken. Es sind Gesichter. Ihre Mimik verrät euch oft genug mehr als das, was sie sagen, aber nicht platt, sondern erschütternd glaubhaft. Ihr könnt nach einer Aussage, bevor ihr euere nächste Wahl trefft, dem Gesprächspartner ins Gesicht schauen und nach Hinweisen suchen. Wie bewegen sich seine Augen? Ist er wirklich so ruhig oder nur ein guter Lügner? Wie ist eine Bewegung der Augen zu interpretieren? Sie gingen nach oben, als die Aussage kam, aber war es vielleicht nur Zufall?

Martin Woger Avatar
Martin Woger: Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.

Informationen zu unserer Test-Philosophie findest du unter "So testen wir".

In diesem artikel

L.A. Noire

PS4, Xbox One, PS3, Xbox 360, Nintendo Switch

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