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Last Call BBS – Test: Zachtronics hat mir zum Abschied einen alten Computer in die Hand gedrückt

Danke und Auf Wiedersehen!

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Stimmungsvolle Zeitreise, bei der man auf einem quasi-authentischen Computer der 90-er-Jahre starke Kopfnüsse knackt.

Schade, schade, schade!

Wenn eine Rezension mit diesen Worten beginnt, hat das Spiel normalerweise Potential, schöpft es aber längst nicht aus. In diesem Fall verhält es sich allerdings ganz anders. Denn Last Call BBS ist ein ganz hervorragendes Spiel – nur leider auch ganz offiziell das letzte von Zachary Barths Indiestudio Zachtronics (SpaceChem, Eliza, Opus Magnum). Dessen Entwickler haben nämlich gemerkt, dass sie nur eine ganz bestimmte Art Spiel erschaffen können und diese inzwischen ausgereizt haben. Falls ihr mehr dazu wissen wollt: Zach hat mir vor einigen Wochen ein paar Fragen dazu und zur Zukunft des Teams beantwortet.

Last Call BBS soll also das Finale sein. Und ist gleichzeitig ein Rückblick, denn wenn man es anklickt, lädt nicht einfach das Spiel. Man sieht vielmehr einen Startbildschirm des Betriebssystems, während der Z5 Powerlance, ein fiktiver Computer des ebenso frei erfundenen Herstellers Sawayama hochfährt. Auf dem befindet sich zunächst mal nichts weiter außer einem Solitaire, einem digitalen Notizbuch und einem Programm namens Netronics Connect, mit dem man sich per Festnetz ins Internet einloggt. Ihr wisst schon: [KRATZ]-[SCHAAAB]-[KNISTER]-[RAUSCH]-[DRÖÖÖÖÖHN] und dann ist man „schon drin“.

X'BPGH: The Forbidden Path ist nicht nur ein schön kniffliges, sondern auch ein thematisch ungewöhnliches Knobelspiel.

Acht Programme kann man über die Netronics-Verbindung herunterladen, was jeweils ein paar Minuten dauert. Weil man damit das Datenlimit der Verbindung ausreizt, muss man anschließend außerdem eine Viertelstunde warten, bis man das nächste Spiel herunterladen darf – was mir ein fettes Grinsen ins Gesicht gezaubert hat. Man kann das erste Spiel sowie das ohnehin vorhandene Solitaire ja sofort starten, sprich die Wartezeit ist keine nervige Schikane. Sie sorgt in Verbindung mit nachgeahmten Festplatten-Geräuschen und anderen Kleinigkeiten aber dafür, dass sich das Bedienen des Powerlance traumhaft authentisch anfühlt. Es geht nicht um eine Simulation! Es geht um das schöne Gefühl, Technik von damals zu erleben.

Spielt man die acht Spiele, kommen zudem nach und nach Einträge im Notizbuch hinzu, durch die man einen Einblick in die Geschichte des einstigen Besitzers erhält. Der oder die stellt einem die Programme immerhin als gecrackte Versionen zur Verfügung und betrieb auch das Netzwerk, über das man heute noch Zugriff auf die Downloads erhält. Angeblich handelt es sich zwar ausschließlich um Programme, die man anderweitig gar nicht bekommen konnte, aber illegal war das nun mal so oder so.

Der virtuelle Modellbaukasten ist streng genommen kein Spiel, aber eine gelungene Abwechslung vom Kopfzerbrechen.

Was sind das also für Programme, an denen man sich hier den Kopf zerbricht? Denn selbstverständlich handelt es sich Zachtronics-typisch um Knobelspiele, in denen man jede Problemstellung auf beliebige Art lösen muss bzw. darf – teilweise jedenfalls. Tatsächlich ist Last Call BBS nämlich eine erfreulich abwechslungsreiche Mischung sehr verschiedener Konzepte, zu denen unter anderem das erwähnte Solitaire gehört. Dazu zählen außerdem ein entfernter Tetris-Vetter sowie eine Minesweeper-Cousine dritten Grades.

Nicht zuletzt gibt es in dieser Parallelwelt eine Fernsehserie namens Steed Force, die sich um turmhohe Mechs dreht, weshalb man in einem gleichnamigen Powerlance-Programm einige dieser Mechs so nachbaut, als würde man das mithilfe realer Modellbaukästen tun. Man knipst daher zunächst sämtliche Bauteile aus dem Kunststoffrahmen, steckt sie daraufhin zusammen und kann das Modell dann sogar mit Airbrush-Farben sowie Aufklebern versehen. Stimmt, das ist im engen Sinne kein richtiges Spiel...

... was dafür umso mehr auf die restlichen Programme zutrifft, von denen die Mehrheit angenehm komplexes Tüfteln verlangt. Da ist zum einen ChipWizard, bei dem man Transistoren und Kondensatoren platziert, um bestimmte Inputsignale in die verlangten Outputs umzuwandeln. In 20th Century Food Court erschafft man hingegen automatisierte Produktionsketten, um möglichst kostensparend diverse Lebensmittel herzustellen.

Hack*Match kennt man schon aus Exapunks. Das Spiel wurde allerdings um eine lokale Zwei-Spieler-Funktion erweitert, während Last Call BBS Steam Remote Play unterstützt.

Mein Favorit ist schließlich das obskure X'BPGH: The Forbidden Path, in dem man Gebilde aus Knochen und Fleisch kreiert. Um das zu erreichen, positioniert man Zellen und regt in mehreren Schritten deren Teilung an, bevor man schließlich ihre Beschaffenheit verändert, um das gewünschte Material zu generieren. Das hat etwas unheimlich Endzeitliches, zumal überall seltsame Schriftzeichen stehen und auch die Anweisungen in einer mir unbekannten Sprache erteilt werden. Für mein Empfinden ist das die ungewöhnlichste Knobelei, die je aus dem Hause Zachtronics kam.

Dass man sich deren Spiellogik über Trial&Error sowie cleveres Zusammenfügen der so gewonnenen Informationen erarbeiten muss, gefällt mir dabei sehr. Allerdings hat es Zachtronics mit dem eigenen Erarbeiten, das schon einige der früheren Titel ausgezeichnet hat, diesmal ein wenig übertrieben. In ChipWizard sind manche Beschreibungen der verlangten Outputs nämlich so ungenau, dass man trotz einer vermeintlich richtigen Lösung auf dem Holzweg sein kann. Und in 20th Century Food Court fiel es mir anfangs so schwer, die genaue Funktionsweise einiger Maschinen zu verstehen, dass ich ziemlich früh die Lust auf dieses eine Programm verloren habe. Das gibt sich natürlich irgendwann, aber ein etwas genauere Führung wäre eben gut gewesen.

Über die Festnetzleitung geht's ins Internet - Downloads brauchen entsprechend lange. Übrigens kann man in JavaScript sogar kleine Programme schreiben und sie auf dem Powerlance laufen lassen. Man findet sie dann als Kontakt in NetronicsConnect und darf natürlich auch Skripte anderer Spieler herunterladen.

Ich weiß schon: Um sich in das Regelwerk eines Civilization hineinzudenken, musste man früher ähnlich viel Geduld aufbringen, falls man nur eine Schwarzkopie besaß. Habe ich gehört! Für meinen Geschmack übertreibt Last Call BBS an manchen Stellen aber das Nachahmen dieses Phänomens. Na, sei’s drum. Dafür starten einige der Programme mit den Intros der imaginären Cracker-Gruppen, die den Kopierschutz geknackt haben, und alleine dafür kann man diese kleinen Hürden schon mal in Kauf nehmen.

Last Call BBS – Test-Fazit

Für sich genommen gehört keins der acht Spiele zu den Besten des Studios. Gleichzeitig bringt jede Knobelei die grauen Zellen aber auf dem von Zachtronics gewohnten hohen Niveau zum Qualmen und in ihrer Gesamtheit sind sie vor allem Teil einer stimmungsvollen Zeitreise, weil man einen quasi-authentischen, altmodischen Rechner bedient, dessen Festplatte beim Laden rödelt und der eine Weile braucht, seine Internetverbindung über eine Festnetzleitung aufzubauen. Ich wechsele daher zwischen den verschiedenen Programmen, lese mich in ihre Geschichte ein und genieße einfach die Zeit, die ich mit Last Call BBS verbringe – so wie ich die Zeit genossen habe, in der Zach Barth ein paar der besten Spiele ihrer Art herausgebracht hat. Daher: Danke, Zachtronics! Mit Last Call BBS ist euch ein ganz wundervoller Ausstand gelungen.

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