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Last Day of June - Test

Falls ihr mal wieder weinen wollt ...

Eurogamer.de - Empfehlenswert Badge
Urtrauriges Adventure über einen alten Mann, der viel zu früh seine Frau verloren hat. Packt, weil es auf die Tränendrüsen drückt.

Wenn ich im Lauf meines Lebens etwas über Computerspiele gelernt habe, dann, dass sie nicht immer Spaß machen müssen, um gut zu sein. Sie können auch begeistern, bezaubern, anheizen - oder sie können traurig machen. Last Day of June gehört zur letztgenannten Kategorie. Solltet ihr nicht depressiv sein und im Leben zu viel Spaß haben, spielt dieses Spiel, denn es treibt euch garantiert die Tränen in die Augen. Zumindest habt ihr Augen! Das ist nämlich etwas, dass die Figuren im Spiel nicht haben. Die sehen stattdessen allzeit aus, als hätte man sie gerade aus einem Stück Holz herausgeschält. Es gab ja mal ein Adventure mit dem Namen I Have No Mouth, and I Must Scream. Das hier ist: I Have No Eyes, and I Must Cry.

Liebe ist manchmal nicht auf den ersten Blick sichtbar.

Dieses Spiel hier trifft auf einer sehr vorhersehbaren Art und Weise - es geht um die Liebe. Ihr verkörpert Carl, der seine Freundin ganz offenkundig mehr liebt als alles andere. Wie er mit ihr am See sitzt, wie er ihr eine Blume pflückt - das sind alles Dinge, die jemand nur dann macht, wenn er wirklich verliebt ist. Das Leben ist aber hässlich, weshalb Carl bei der Nachhausefahrt mit seiner Frau einen Unfall hat. Er selbst ist danach gelähmt und sitzt im Rollstuhl. Seine Frau überlebt den Unfall nicht. Seine Frau, das ist June. Es geht im Spiel nämlich nicht wirklich um den letzten Tag im Juni, wie man annehmen könnte, sondern um den letzten Tag einer Person.

Bevor ihr euch zu sehr fragt, was Last Day of June eigentlich ist - es handelt sich um ein Puzzle-Adventure. Carl hat nämlich eine Art Superfähigkeit. Über den Kontakt mit Bildern kann er sich in das Leben anderer oder bereits verstorbener Menschen hineinversetzen. Und so die Vergangenheit verändern und damit die Gegenwart. Und so versucht er nun, das Geschehene zu ändern, namentlich den Tod seiner Frau zu verhindern. Dabei wird eine Art Schmetterlingseffekt offenbar - Kleinigkeiten wie die Tatsache, dass vor der Tür eines Autos Laub liegt, können am Ende dafür sorgen, dass jemand stirbt. Unweigerlich bringt einen das beim Spielen zum Philosophieren.

Ist noch was im Kühlschrank?

Habt ihr euch mal mit Schrödingers Katze auseinandergesetzt? Ich schon. Und ehrlich gesagt hat das alles bei mir vor allem das Gefühl hinterlassen, dass ich gegenüber meinen Mitmenschen künftig weniger klugscheißerisch sein möchte. Schrödingers Katze ist nämlich von der quantenphysikalischen Ebene nicht so einfach in unsere übertragbar. Deshalb sind Memes zwar lustig, wonach beispielsweise Protagonist Carl hier gleichzeitig tot und lebendig ist, aber nicht im geringsten zielführend. Carl quakt vor sich hin - zu seinen Mitmenschen spricht er in einer Art Fantasiesprache, sodass ihr euch immer denken könnt, was er gerade wirklich sagt. Und seine Mitmenschen reagieren auf ihn wie auf jemanden mit fortgeschrittener Demenz.

Dement fühlt ihr euch möglicherweise auch als Spieler hier und da. Weil ihr gleiche Rätsel immer wieder lösen müsst nämlich. Es kann gut sein, dass ihr ein Rätsel löst, nur um dann zu erfahren, dass ihr es anders hättet lösen müssen. Und das begründet das Spiel noch nicht mal gut. Mal könnt ihr nicht in euer Auto einsteigen, weil vor der Tür nasse Blätter liegen. Nasse Blätter! Das ist nun wirklich keine teuflische Säure-Substanz, mit sowas kommen Menschen klar. Aber nein, ihr müsst erst über Umwege einen Rechen finden und die Straße saubermachen. Dann dürft ihr ins Auto einsteigen und dann dürft ihr auch wegfahren.

Bitte, bitte spiel' Ball mit mir!

Nun stellt sich die Frage: Warum macht ihr das alles eigentlich? Weil ihr es könnt! Es ist tatsächlich einigermaßen motivierend, dass zumindest die Möglichkeit besteht, dass ihr eure Frau wieder zum Leben erwecken könntet, obwohl völlig unklar ist, ob das wirklich klappen kann. Nur hätte ich als Spieler gern eine schönere Motivation als die eines möglicherweise Sterbenden. Bitte nicht falsch verstehen, ich spiele Last Day of June gern. Aber irgendwie immer mit einem miesen Gefühl im Hintergrund.

Die Antwort ist letzten Endes einfach. Ihr wollt, dass es Carl gut geht. Und Carl geht es gut, wenn er glaubt, dass es seiner Frau gut geht. Ob ihr nun Laub wegfegt oder die leeren Flaschen wegbringt: Carl honoriert das. Und deshalb fühlt sich der letzte Tag im Leben von June gut an. Weil Carl alles tut, um ihr den so angenehm zu gestalten wie es nur geht. Weil ihr alles tut.

Entwickler/Publisher: Ovosonico/505 Games - Erscheint für: PC, PS4 - Preis: 17,99 Euro - Erscheint am: erhältlich - Getestete Version: PC - Sprache: keine - Mikrotransaktionen: Nein

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Markus Grundmann Avatar
Markus Grundmann: Seine ersten Videospiele konsumierte Markus auf dem Game Boy. Heute spielt er so ziemlich alles, bei dem er auf Knöpfe drücken kann – mit besonderer Vorliebe für Nintendo und extravagante Indie-Titel.

Informationen zu unserer Test-Philosophie findest du unter "So testen wir".

In diesem artikel

Last Day of June

PS4, PC, Nintendo Switch

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