Leider geil: Honkai Star Rail beweist, dass Genshin Impact kein Glückstreffer war
Näher kommen wir so schnell nicht an ein neues Phantasy Star, oder?
Wenn man nur das Datenblatt liest, fällt es nicht leicht, Genshin Impact und Honkai Star Rail zu hassen. Gacha-Mechanismen in Videospielen sind keine ganz unbedenkliche Angelegenheit. Der Unterschied bei den Hoyoverse-Sachen ist zweierlei: Nicht nur kommt man mit ein bisschen Disziplin gut darum herum, Geld zu investieren (wann braucht man WIRKLICH einen 5-Sterne Charakter?). Diese Spiele leisten in Sachen Qualität außerdem einen komplett anderen Einsatz als viele andere Free-to-play-Titel, die eher schamlos nach eurem Portemonnaie greifen. Genshin war optisch ein Traum, und spielerisch hochsolide, ja, sogar ziemlich interessant.
Nach meinem Dafürhalten ein verdienter Erfolg also, auch wenn ich philosophisch mit dem für mich prinzipiell vernachlässigbaren Glücksspiel-Aspekt so meine Probleme hatte. Ich habe gut 30 Stunden unterhaltsames, überlegtes Open-World-Spiel bekommen, vielleicht zehn bis 20 Euro in Kleinkram hineingesteckt und es mit ein paar guten Erinnerungen an gemütliche Sessions dann ad acta gelegt. Ein fairer Deal. Honkai: Star Rail ist nun das nächste Spiel von Hoyoverse und finanziert sich ebenfalls über zufallsbasierte Drops. Aber auch hier wird direkt klar, dass es sich der chinesische Entwickler auch deutlich einfacher hätte machen können. Denn in Star Rail steckt nicht nur eine wahnsinnige Menge Aufwand, sondern auch ein bärenstarkes JRPG. Mehrfach dachte ich, das hier ist schon recht nah an dem, was ich mir für ein fünftes Phantasy Star vorstellen würde.
Direkt von Beginn an wird einem klar, dass man da gerade einen hochwertig produzierten Titel angeworfen hat, mit Leichtigkeit auf dem Level vieler Bandai-Namco-JRPGs. Honkai: Star Rail begeistert direkt auf dem Titelbildschirm mit einem Bild, das man am liebsten endlos laufen lassen würde, auch weil die Musik so schön die Seele streichelt. Und so geht das immerzu weiter. Sicher, japanisch geprägte Raumstationen, dezent überdesignte Charaktere und Dunkelwesen muss man mögen, aber es sieht alles wahnsinnig sauber und aufwendig aus – und vor allem steckt in jeder Bewegung eine Menge Leben. “Schmissig” sage ich für diese Art von Energie immer, “Pazazz” würden Amerikaner. Es sind Worte, die einem auch zu den neueren Personas einfallen.
Und das läuft nicht nur über die unfassbare Musik, auch wenn die schon im ersten Bereich bekommt man Tracks von P-Studio-Qualität um die Ohren gehauen. Den Title-Song hatte ich ja auch bereits erwähnt, und sobald man erst einmal an Bord des Astral Express zu seiner interstellaren Reise aufbricht, ertönt sogar ein angenehmes Akustikstück mit gutem englischem Gesang. Vor allem die Charaktere bringen einen Elan mit, der einfach ansteckend ist. Kafka, die man in der Einleitung spielt, gebietet einem Feind zum Beginn des Kampfes mit teilnahmsloser Überlegenheit: “That breathing sensation… remember it!” und sobald dann die Supermoves über den Screen fegen, gibt’s kein Halten mehr. Das ist alles ziemlich opulent und mit Liebe gemacht.
Die Persona-Parallelen kann man auch auf Höhe des Kampfes ziehen, der ebenfalls rundenbasiert läuft und sich darum dreht, die elementaren Schwächen eines Feindes auszunutzen. So nehmt ihr ihn vorübergehend aus dem Kampf. Doch so simpel bleibt es nicht. Manche Aktionen eurer Partymitglieder sind an interessante Voraussetzungen geknüpft, wenn eine Mitstreiterin nach dem dritten Widerstands-Bruch dieser Art einen Kreißsägenroboter auf die komplette gegnerische Party loslässt. Sich einfach so durchzuklicken, führt jedenfalls nicht zum Erfolg, überlegtes Spielen verkürzt die Fights hingegen drastisch. Das funktioniert so gut, dass ich mich gestern Abend eine gute Stunde in einem rein optionalen Kampf verbissen habe, bis ich ihn schließlich gewann. Das hat sich gut angefühlt.
Was ich nach wie vor nicht begreife, das ist der komplette Progressions- und Ressourcenunterbau, der in dieser Sorte Free-to-play-Titel fast absichtlich verklausuliert und unverständlich rüberkommt. Endlos verschiedene Gegenstände, Rohstoffe, Erze und anderer Tand überschütteten mich schon nach vier Stunden gnadenlos und ich habe keine Ahnung, wozu auch nur irgendwas davon gut ist. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass mich das bisher davon abhält, hier Spaß zu haben und fuchse mich so durch.
Ich bin ehrlich überrascht, wie mühelos mich dieses wirklich gute JRPG gestern Abend mal eben viereinhalb Stunden verschlingen konnte. Jetzt, wo es sich auf dem ersten Planeten ein wenig öffnet, bin ich motivierter denn je, ein bisschen mehr über dieses Universum herauszufinden. Das ist es, was Genshin Impact und nun Honkai: Star Rail absetzt von anderen Free-to-play-Erlebnissen. Man hat den Eindruck, es steckt noch ein bisschen mehr dahinter als pure und bequeme Geldmacherei. Zweifelsohne wird der Moment kommen, an dem man sich über Pull-rates bestimmter 5-Sterne-Figuren wundert (nach denen mir ehrlich nie besonders lüstete). Aber für den Moment bin ich mit dem zufrieden, das mir das Spiel auch ohne größeren Geldeinsatz bietet. Sollte sich das ändern, lasse ich es euch wissen.