Liberated - Test: Ein guter Ansatz macht noch keinen Hit
Ein spannendes Experiment.
Die Vorstellung eines Überwachungsstaates ist heute bei weitem nicht mehr derart futuristisch, wie sie es in den 40er Jahren des letzten Jahrtausends war, als George Orwell seinen Roman 1984 schrieb. Was sich Autoren und kreative Köpfe in den folgenden Jahrzehnten in der Science-Fiction ausmalten, davon ist heute vieles Realität. Und der Großteil der Menschen trägt dazu bei, indem soziale Medien genutzt, Bilder veröffentlicht, Beiträge geschrieben, Bewegungen verfolgt und Dienste abonniert werden - ich schließe mich da nicht aus. Es gibt viele tolle Dinge, die die Technologien ermöglichen. Die Kehrseite der Medaille ist, dass sie sich ebenso für finstere Machenschaften einsetzen lassen.
Was das betrifft, ist die Idee von Liberated nicht neu. Hier stellen sich die Macher eine Welt vor, in der eine totalitäre Regierung das Leben seiner Bürger bis ins kleinste Detail nachverfolgt, Dinge vertuscht, unbequeme Leute aus dem Weg räumt. Neu ist vielmehr die Art, wie Liberated das alles präsentiert. Es ist ein interaktiver Comic. Einer, bei dem ihr nicht allein Seite für Seite und Panel für Panel durchblättert. Und es ist ebenso wenig die komplett in 3D umgesetzte Idee eines Comics, wie es Telltales The Walking Dead war.
Die Geschichte von Liberated erstreckt sich über insgesamt vier Comic-Ausgaben, die das Spiel im klassischen Comic-Design präsentiert. Ihr schaltet von Panel zu Panel weiter, dann blättert das Spiel automatisch um zur nächsten Seite. Zum einen gibt es hier klassische Panels, die die Story voranbringen und zugleich ein wenig animiert sind. Zum anderen habt ihr zwischendrin regelmäßig interaktive Panels, die ihr dann spielt.
Das spielt sich dann überwiegend wie in einem Sidescroller. Je nach Ausgabe steuert ihr dabei verschiedene Protagonisten, lauft in den meisten Fällen von links nach rechts und ballert auf Feinde, die euch in den Weg laufen. Bis auf anfängliche Sequenzen in der ersten Ausgabe, in denen ihr keine Waffe habt, spornt Liberated nicht dazu an, leise vorzugehen oder zu schleichen, was in manchen Fällen möglich wäre. Das ist schade und wirkt wie verschenktes Potenzial. So ballert ihr euch in 95 Prozent der Panels den Weg frei, hier und da gibt's kleinere Rätsel, in denen ihr Schaltflächen richtig dreht, um zum Beispiel Stromkreise zu schließen - nichts Wildes.
Je weiter ihr im Spiel vorankommt, desto interaktiver gestaltet es sich. Die anfängliche halbe Stunde hinterlässt einen zähen Eindruck, dann zieht es an. Gelangt ihr erst einmal in den Besitz einer Waffe, zieht ihr diese und zielt mit dem rechten Analog-Stick, mit dem Trigger schießt ihr. Die Nachladetaste braucht ihr im Grunde nicht, denn wenn euer Protagonist die Waffe wegsteckt und erneut auspackt, ist sie voll geladen. Unterschiedliche Fähigkeiten haben die einzelnen Charaktere, die ihr steuert, indes nicht. Sie zeigen euch allein das Geschehen aus anderen Perspektiven und hier und da habt ihr andere Waffen, mehr nicht.
Und das alles ist schön in Szene gesetzt. Der Schwarz-Weiß-Noir-Stil der nicht-interaktiven Panels überträgt sich auf die spielbaren Sequenzen, was alles wie aus einem Guss erscheinen lässt. Das sieht stimmig aus und reißt euch nicht mittendrin raus, weil ihr von einer Sekunde auf die nächste einen anderen Stil vor Augen habt. Treffer bei Gegnern symbolisiert das Spiel durch Comic-typische Wortfetzen. Soundeffekte, Umgebungsgeräusche und die Hintergrundmusik tragen ihr Übriges dazu bei, dass es hier auf jeden Fall im audiovisuellen Bereich passt.
Gut und gerne verzichtet hätte ich auf die Quick-Time-Events. Sie sind nicht sonderlich schlimm, aber ganz allgemein gesagt zählen sie zu den Dingen, die Videospiele im Grunde nicht brauchen. In Liberated tragen sie ebenso wenig was Sinnvolles zum Spiel bei wie sie es in vielen anderen Titeln tun. Ihr habt zum Beispiel während einer Verfolgungsjagd im Auto mehrere QTEs. Scheitert ihr, beginnt die Sequenz einfach von vorne, bis es klappt. Heißt zugleich: Liberated bestraft euch nicht für Misserfolge. Ob das gut oder schlecht ist, hängt vom Betrachtungswinkel ab. Vereinzelt habt ihr Entscheidungsfreiheiten, die aber am Endresultat der Geschichte nichts ändern.
Wie gesagt ist Liberated ein schönes audiovisuelles Erlebnis, spielerisch hapert es und technisch gibt's ebenso Dinge zu bemängeln. Die Framerate ist je nach Sequenz nicht konstant, vor allem in größeren, komplexeren Räumen bekommt ihr das zu spüren. Es hinterlässt den Eindruck, als mangele es dem Spiel am nötigen Feinschliff. Gleiches gilt für die Animationen, die zum Teil steif und wenig überzeugend wirken. Und ich fange am besten nicht mit der Ragdoll-Physik an ... wundert euch nicht, wenn ihr an einem niedergeschossenen Gegner vorbeilauft und der durch die Luft oder ein paar Meter über den Boden fliegt. Das sollte nicht passieren, es killt ein wenig die Stimmung.
Somit bleibt Liberated am Ende ein spannendes Experiment. Eines, von dem ich gerne mehr sähe, wenngleich in spielerisch und technisch besserer Form sowie mit größeren Auswirkungen auf den Verlauf der Geschichte. Liberated hat auf jeden Fall die richtigen Ansätze, holt aus dieser Prämisse aber nicht das Maximum heraus, das möglich wäre. Seid ihr bereit, bei den spielerischen und technischen Defiziten ein Auge zuzudrücken, erwartet euch hier ein stimmiges audiovisuelles Erlebnis mit einer Geschichte, die heute nicht mehr so unverbraucht wirkt wie vor vielen Jahren - und zugleich erschreckend aktuell ist.
Entwickler/Publisher: Atomic Wolf / Walkabout Games - Erscheint für: PC, Switch - Preis: 19,99 Euro - Erscheint am: erhältlich (Switch), Juli (PC) - Getestete Version: Switch - Sprache: Deutsch, Englisch und andere - Mikrotransaktionen: nein