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Life is Strange: Episode 1 - Test

Gewöhnliche Menschen denken nur daran, wie sie ihre Zeit verbringen. Ein intelligenter Mensch versucht sie zu nutzen.

Dontnod schaut sich mit Life is Strange das eine oder andere gekonnt von Telltale ab und übertrifft das Vorbild in mancher Hinsicht sogar.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis andere Studios der mittlerweile doch recht erfolgreichen Telltale-Formel folgen. Während Telltale aktuell eher auf Lizenzumsetzungen setzt, gehen zum Beispiel Dreamfall Chapters oder nun Dontnods Life is Strange eigene Wege. Ich fand bereits Remember Me sehr unterhaltsam, und entsprechend gespannt war ich nun auf das neueste Werk der Entwickler. Dass mich hier letzten Endes auch nur ein Spiel nach Telltale-Art erwarten würde, war klar. Doch in manchen Bereichen übertrifft man das offensichtliche Vorbild sogar.

Zudem ist der Name des Spiels Programm. Das Leben kann manchmal schon sehr seltsam sein, das hat jeder schon mal erlebt. Okay, wohl nicht so merkwürdig wie hier, aber ihr wisst schon, was ich meine. Das beginnt bereits damit, dass euch das Spiel gleich zu Beginn in eine eher bizarre Situation wirft. Ihr befindet euch an der Küste und versucht, inmitten eines Sturms irgendwo einen Leuchtturm zu erreichen - „Es gibt immer einen Leuchtturm", würde Ken Levine nun wahrscheinlich anmerken. Draußen auf dem Meer seht ihr einen riesigen Tornado, bevor Max - so der Name der Protagonistin - in ihrer College-Klasse wieder erwacht. Aber war es wirklich ein Traum oder doch eher eine Vision?

Von da an nehmen die seltsamen Geschehnisse ihren Lauf. Auf der Toilette beobachtet Max später, wie ein doch eher labil wirkender Mitschüler jemanden erschießt. Und in just diesem Moment entdeckt Max, dass sie die Zeit zurückdrehen kann, und findet sich erneut in ihrer Klasse wider - wenige Minuten vor all diesen Geschehnissen. Die Dinge laufen erneut so, wie sie es zuvor schon erlebt hat, aber diesmal könnt ihr Einfluss nehmen. Noch sichtlich geschockt von dem, was gerade passiert ist, stößt Max etwa in einem unachtsamen Moment ihre Kamera vom Tisch, woraufhin diese zerbricht.

Was passiert hier nur?

Durch Betätigung des Gamepad-Triggers dreht ihr nun die Zeit so weit zurück, dass sie genau das vermeiden kann. Fortan habt ihr immer einen gewissen Spielraum, um Dinge, die ihr getan habt, wieder rückgängig zu machen oder euch anders zu entscheiden. In manchen Situationen ist das zwingend nötig, um in der Story voranzukommen, etwa bei dem erwähnten Kamerabeispiel, in anderen Momenten liegt es ganz an euch, welche Entscheidung eurer Ansicht nach richtig ist. Max selbst macht es euch dabei nicht immer leicht, hinterfragt mitunter getroffene Entscheidungen und spekuliert, wie sich das künftig auf sie oder auf andere auswirken könnte. Bis zu einem gewissen Grad dient das auch der Verunsicherung des Spielers. Halte ich nun daran fest? Oder mache ich es doch lieber anders.

Wie sich etwaige Entscheidungen womöglich in den späteren Episoden auswirken, lässt sich jetzt natürlich noch nicht sagen. Zumindest setzt man gewisse Dinge in Gang, was zum Beispiel Beziehungen zu Mitschülern betrifft und einiges an Konfliktpotenzial birgt. Alles in allem erwartet euch hier eine Art Mix aus Coming-of-Age-Geschichte und mysteriösen Elementen à la Donnie Darko. Ein bisschen erinnert mich das alles auch an die Serie Veronica Mars. Max ist noch neu hier an der Blackwell Academy, gerade erst wieder nach Arcadia Bay zurückgezogen und gibt eher die clevere Außenseiterin, die aber auch nicht davor zurückschreckt - sofern ihr das denn so entscheidet -, sich mit anderen anzulegen oder den Schwächeren zu helfen.

Nicht vergessen wollen wir auch ein weiteres Element der Story, das später wohl noch mehr zum Tragen kommen dürfte: Mit Rachel Amber ist eine beliebte Mitschülerin verschwunden. Nach ihr sucht vor allem Chloe, die früher Max' beste Freundin war, bevor Max plötzlich mit ihren Eltern wegzog und der Kontakt zwischen beiden abbrach. Nun sind beide wieder vereint und werden sicherlich nicht nur diesem Geheimnis genauer auf den Grund gehen. Und obwohl es in der ersten Episode noch gar nicht vornehmlich darum geht, ertappt man sich dabei, bereits jetzt erste Vermutungen anzustellen. Warum könnte sie verschwunden sein? Wer hat ihr womöglich etwas angetan? Den Mitschülern könnt ihr jedenfalls das ein oder andere interessante Detail entlocken.

Der Moment, der alles verändert.

Abseits dessen spielt Life is Strange auch gerne mit ein paar College-Klischees. Da hätten wir die reichen, verwöhnten Kinder, die von sich selbst überzeugte Mitschülerin Victoria, die sich für etwas Besseres hält, Cheerleader, Footballer, Skater, Außenseiter und so weiter. Es ist ein bunter Mix, der aber gleichzeitig auch realistisch wirkt. Und dadurch bringen die Entwickler eben die alltäglichen Probleme mit ins Spiel, mit denen sich Max neben ihrer neu entdecken Fähigkeit ebenfalls beschäftigen muss.

Spielerisch betrachtet bietet Dontnod hier im Grunde die gleiche Kost wie Telltale. Das Erzählerische steht im Mittelpunkt, knifflige Rätsel gibt es nicht wirklich. Allerdings legt Life is Strange sehr viel mehr Wert auf die Erkundung der Umgebungen, wobei ihr Max ähnlich wie in einem Action-Adventure aus der Third-Person-Perspektive steuert. Auf feste Kameraeinstellungen wie in den Telltale-Spielen verzichtet man. Dementsprechend könnt ihr euch hier freier bewegen, zahlreiche Objekte näher unter die Lupe nehmen oder mit Personen sprechen. Und da spielt dann mitunter auch wieder die Beeinflussung der Zeit eine Rolle. Schnüffelt ihr zum Beispiel beim Besuch im Zimmer einer Mitschülerin zu sehr herum, verärgert ihr sie - und habt dann die Chance, das wieder rückgängig zu machen. Manchmal erfahrt ihr auch erst in Gesprächen bestimmte Informationen, die euch in eben jener Konversation weiterhelfen würden. Auch hier könnt ihr das Geschehen zurückdrehen und davon profitieren. Oder eben auch nicht, ganz wie ihr wollt.

Dontnod ist es außerdem gelungen, die Welt von Life is Strange ziemlich lebendig und authentisch wirken zu lassen. Das fängt schon mit der Liebe zum Detail an, aber auch mal mehr, mal weniger subtile Dinge wie die Animationen der Charaktere tragen dazu bei, dass hier alles weniger steif abläuft als zum Beispiel in The Walking Dead. Zugleich ist Life is Strange eher ein Spiel für euch, wenn euch die düstere Tristesse von Spielen wie The Walking Dead oder Game of Thrones nicht zusagt. Life is Strange ist farbenfroher, einfach lebendiger und wirkt dadurch freundlicher und einladender - auch wenn im Hintergrund natürlich Unheil droht.

Früher waren sie beste Freundinnen, aber über die Jahre hat sich einiges verändert.

Und da ihr sicherlich auch wieder Fragen zur Spielzeit habt, will ich auch darauf noch kurz eingehen. Das hängt wie bei The Walking Dead und Co. ein bisschen davon ab, was ihr alles tut. Hier sogar noch mehr, da es wirklich viele Dinge gibt, die ihr in der Spielwelt untersuchen könnt - und auch optionale Fotos könnt ihr in bestimmten Situationen schießen. Wenn ihr also wie ich das Meiste untersucht und auch Fotos schießt, könnt ihr mit der ersten Episode von Life is Strange gut und gerne rund zwei Stunden verbringen.

Es ist schwierig, schon jetzt ein konkretes Fazit zu Life is Strange abzugeben, dazu fehlt schließlich noch der Großteil der Geschichte. Aber der Auftakt ist Dontnod schon mal sehr gut gelungen. Ich mag das Setting und ich mag die Charaktere. Das eigentliche Gameplay ist auch hier nicht sonderlich anspruchsvoll, fällt aber zumindest ein gutes Stück umfangreicher aus als bei Telltale, während Technik und Soundtrack für ein rundum gelungenes Gesamtbild sorgen. Ich bin definitiv gespannt, wie sich die Story weiter entfaltet und wie sich alles anhand der eigenen Entscheidungen entwickelt. Und wenn man das über die Auftaktepisode einer Staffel sagen kann, haben die Entwickler auf jeden Fall einiges richtig gemacht.

8 / 10

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