Life is Strange Episode 2: Out of Time - Test
Zeit für Experimente.
Mysteriöse Dinge passieren in Arcadia Bay. Gut, das hat die erste Episode von Dontnods Life is Strange schon recht unmissverständlich klar gemacht. Auch der zweiten Folge gelingt dieser Mix aus Coming-of-Age-Drama und Mystery wirklich sehr gut. Bislang habt ihr nicht das Gefühl, von einer der beiden Seiten erschlagen zu werden, sie wechseln sich immer wieder und in vernünftigen Intervallen ab, ohne jedoch zu viel zu verraten. Dontnod hält euch so geschickt bei der Stange und füttert euch häppchenweise neue Brotkrumen, was euch gleichermaßen neugierig macht.
Nach den Ereignissen der Staffelpremiere hat sich Max erst mal ein ausgiebiges Nickerchen gegönnt und startet verschlafen in den neuen Tag, der anfangs noch friedlich zu verlaufen scheint, sich alsbald jedoch als recht ereignisreich entpuppt. Das fängt schon alleine damit an, dass ihr wieder Probleme mit Victoria und Nathan bekommt. Beide sind so wunderbar hassenswerte Charaktere, denen man am liebsten selbst eine ordentliche Kopfnuss verpassen würde, wenn man denn könnte. Das wäre doch mal eine vernünftige Option. Danach einfach die Zeit zurückdrehen und so tun, als wäre nichts passiert.
Aber Max hat nicht nur ihre eigenen Sorgen in Bezug auf die Schule und gewisse Mitschüler, sondern muss natürlich ebenso mit ihren neuen Fähigkeiten zurechtkommen, während sie weiterhin von Unheil verkündenden Visionen geplagt wird. Ihre Fähigkeiten werden so weit auf die Probe gestellt, dass Max bis an ihre Grenzen und darüber hinaus geht. Einerseits muss sie etwa Chloe beweisen, dass sie tatsächlich die Zeit zurückdrehen kann, aber das gehört dann doch eher zu den kleineren Herausforderungen, die eure grauen Zellen ein kleines bisschen anstrengen.
Interessant ist vor allem auch das Tempo der Episode. Alles beginnt relativ ruhig und gemächlich, gipfelt gar darin, dass ihr fünf Flaschen auf einer Art Schrottplatz finden müsst, nur damit Chloe diese mit ihrer Pistole in Stücke schießen kann. Und es ist gar nicht mal so einfach, grüne Flaschen inmitten des ganzen Mülls zu finden - einige sind eher offensichtlich platziert, andere weniger. Wenn ihr nicht genau Ausschau haltet, kann diese Stelle einen kleinen Hänger in der Mitte repräsentieren.
Ich hielt mich rund 15 Minuten damit auf, weil ich eine Flasche partout nicht finden wollte, obwohl sie quasi direkt vor meiner Nase lag. Gleichermaßen ertappte ich mich dabei, dass ich das Zurückspulen der Zeit noch nicht in jeder Situation zu 100 Prozent verinnerlicht hatte. Als ich Max etwa eine Flasche von einem kaputten Kühlschrank holen lassen will, fällt diese herunter und zerbricht. „Gut, wird schon noch woanders eine sein", dachte ich mir zuerst und machte mich wieder auf die Suche, bevor mir nach rund einer halben Minute einfiel, dass ich ja die Zeit zurückdrehen kann. Gesagt, getan, noch schnell eine Kiste beiseitegeschoben und schon befand sich die Flasche sicher in meinen Händen.
Das Feature kommt wie in Episode 1 regelmäßig zum Einsatz, mal bei kleineren Dingen, die nicht unbedingt entscheidend wirken, mitunter ist es aber auch essenziell für den weiteren Fortschritt. Nach der eben beschriebenen Situation nimmt die Episode jedenfalls deutlich an Tempo auf und gipfelt darin, dass Max ihre Kräfte vorübergehend gar nicht mehr nutzen kann, weil es sie so sehr beansprucht. Und das in einem Moment, in dem sie sie eigentlich ganz gut gebrauchen könnte. Dabei kommt es dann wirklich alleine auf eure weitere Vorgehensweise an - und auch darauf, wie ihr euch zuvor verhalten habt. Hier gibt es kein Zurück mehr.
Das Finale ist ein echter Höhepunkt und sorgt im Zusammenspiel mit den letzten Minuten, aber auch einigen Andeutungen während der gesamten Episode, dafür, dass ihr unbedingt wissen wollt, was hier gerade passiert und was noch passieren wird. Das gilt auch für das Mysterium rund um die verschwundene Rachel. Sie ist irgendwie immer präsent - nicht nur durch die ganzen Flugblätter - und ihr habt ständig den Eindruck, dass hinter ihrem Verschwinden eine schlimme Sache steckt. Aber wer genau womöglich etwas damit zu tun hat, lässt das Spiel ganz geschickt offen beziehungsweise streut diverse Hinweise, die eure Gedankengänge in mehrere verschiedene Richtungen führen könnten - aber sind es auch die richtigen? Wer weiß das aktuell schon.
Inmitten dessen überzeugt Life is Strange weiterhin durch seine farbenfrohe, lebendig wirkende Spielwelt - ob nun in Form der Hintergrundgeräusche, der Musik, der Animationen der Charaktere oder diverser kleiner Details. Das Zusammenspiel aller Teile des Titels stimmt einfach von vorne bis hinten. Die Probleme mit der Lippensynchronität der Charaktere wurde nicht behoben und in der ersten Staffel ist auch nicht mehr mit einer Lösung zu rechnen, aber es ist wiederum nichts, das wirklich großartig störte. Je nach Szene fällt es mal mehr, mal weniger auf, aber von manch anderen Spielen mit ihrer zum Teil grauenhaften Lippensynchronität besonders in Zwischensequenzen ist Life is Strange meilenweit entfernt.
Mir gefällt Dontnods Ansatz eines realistischen, aber zugleich auch mit Mystery-Elementen gespickten Szenarios nach wie vor sehr gut. Lasst euch dabei keineswegs von dem langsamen Start der zweiten Episode entmutigen, denn zum Ende hin wird es richtig dramatisch und mysteriös. Den Entwicklern gelingt es mit einer einfachen, mit Musik untermalten und teils reflektierenden, teils vorausschauenden Sequenz, wie man sie mittlerweile auch am Ende in vielen Episoden von TV-Serien sieht, mich wirklich heiß auf die nächste Folge zu machen. Ich bin sehr gespannt, was hinter all den Vorkommnissen in Arcadia Bay steckt und wie sie womöglich zusammenhängen.