Lips
Mehr als nur eine Cover-Version
Microsoft macht jetzt auch SingStar.
So könnte man nach kurzem Erstkontakt mit Lips meinen. „Warum jetzt und nicht schon vor fünf Jahren?“ Meine Frage löste nicht viel Enthusiasmus am Microsoft-Stand aus. Man murmelte etwas davon, dass man die 360 jetzt gut für Community und Partygames positioniert hätte. Und außerdem musste man ja noch die schicken, kabellosen Mikrofone entwerfen.
Ich nahm eines in die Hand und ja, diese gerieten wirklich recht ansprechend. Sie bieten ein gutes „Feel“, nicht zu schwer, nicht zu leicht. Kleine LEDs am unteren Rand blinken fröhlich im Takt und die Tonqualität bei der Übertragung schien ziemlich hochwertig. Hätte es nicht den kleinen Hinweis gegeben, dass es sich hier noch um Prototypen handelt, würde ich jetzt zum Seitenhieb in Richtung der etwas billig geratenen PS3-Mikros ansetzen.
Während der Präsentation standen ein knappes Dutzend Songs zur Auswahl, ohne einen Hinweis, wie viele es am Ende sein werden. Eine gute Zahl versprach man uns. Die kleine Vorauswahl konnte mich persönlich in keiner Weise überzeugen, Fettes Brot oder die Sugar Hill Gang sind jetzt eigentlich keine prädestinierten „Gesangs“künstler und Roland Kaisers Santa Maria werde ich Microsoft nicht so schnell verzeihen können. Böse Erinnerungen an die Lips-Party verfolgen mich heute noch in den Schlaf. Santa Maria, Insel, die aus Träumen geb…Arrrgh!
Aber das ist Geschmacksache und nur ein Bruchteil der finalen Songauswahl, die sich über einen Ingame-Shop dann auch noch reichhaltig und gegen viele, viele Points erweitern lassen wird. Peter Bjorn and Johns „The Young Folks“ fand ich nicht komplett furchtbar, es startete, die Mikros lagen auf dem Tisch und mit dem Singen zu beginnen, war so einfach wie nur irgendwas. Hebt ein Mikro auf, das Spiel erkennt dank der integrierten Bewegungssensoren das was passiert und legt einfach los. Das funktioniert auch zu zweit und schon startet ein kleiner Wettbewerb um die meisten Punkte oder, sofern der Song dies bietet, ein Duett. Noch einfacher und Partytauglicher kann man es kaum gestalten.
Genau dies ist auch Lips Richtung. Es sucht nicht den Hardcore-Karaoke-Meister, sondern bietet sich im Hintergrund bei einem Sit-in oder einer Party ganz unschuldig an. Die beiden Mikros liegen auf dem Tisch, die Titel laufen einfach durch und wenn Euch danach ist, steigt Ihr ein. Lips blendet auf Wunsch die normale Tonspur in den Hintergrund und Euer Gesang ertönt. Und egal wie schlecht Ihr krächzt, das Spiel wird Euch nicht ausbuhen und rauswerfen. Punkte wird es allerdings für unterirdische Performances auch nicht vergeben.
Bei den Scores setzt dann der Karaoke-Anspruch ein. Lips wertet so gut es möglich ist, ob Ihr einfach nur mitsummt, die Tonlage trefft und ob zumindest die Vokale an den Stellen sitzen, wo sich der Song-Texter das so dachte. Ich selber traf bei meiner Reibeisenstimme keinen Ton, dafür konnte ich begnadetere Barben beobachten, bei denen die Punkte hereinrauschten.
Die Bewegungssensoren kommen beim Punktesammeln ins Spiel. Singt Ihr gut – oder zumindest nicht komplett schief –, werden Bewegungen wie das extatische Hochreißen des Mikrofons angezeigt. Führt Ihr diese Bewegungen aus, folgen weitere und ein Punktemultiplikator beginnt, Euren Score drastisch zu erhöhen. Punktejäger dürften eine Weile Spaß dabei haben, sich Wohnzimmer-Superstar hochzusingen.
Kleine Minispiele, verschiedene Visualisierungen neben den Originalvideos, alternative Videos und einiges mehr sorgen für optisch Abwechslung. Und wie wichtig die sein kann, weiß jeder SingStar, der vierzehn Mal das Video zu The Final Countdown sah. Und weil Lips eine echte Partyerfahrung sein soll, dürfen bis zu sechs Musikalische insgesamt mitmischen.
Es werden zwar nur zwei Mikrofone angeboten, die vier Pads steuern zusätzlich per Tastendruck aber noch ein paar Klatschgeräusche und dezente Trommler dazu. Nicht gerade Rock Band, aber niemand auf der Party muss sich ganz ausgeschlossen fühlen. Und solltet Ihr der Meinung sein, dass ein bestimmter Gast ab drei Uhr nachts nicht mehr Santa Maria schmettern sollte, könnt Ihr ihm einfach ein Pad in die Hand drücken und so ein wenig Schadensbegrenzung betreiben.
Jetzt das Beste zum Schluss: Ihr dürft einen Zune, iPod oder sonstigen MP3-Player anschließen und Eure eigene Musik mittels der Visualisierungen verschönern. Das ist aber natürlich nicht das Beste. Es ist möglich, die Mikros dabei zu nutzen. Lips versucht sein Bestes, die Gesangsspur herauszufiltern und bewertet sogar nach seinen Möglichkeiten Eure Darbietung.
Wie genau die Technik funktioniert, weiß ich nicht. Und Microsoft gab auch schon sofort und bereitwillig zu, dass es sicher nicht bei jedem Song und Genre gleich gut funktionieren wird. Klare Pop-Gesangslinien fahren hier sicher besser als das Doom-Metal-Genre. Und was die Bewertung angeht, spielt es gerade im Wettkampf eigentlich keine große Rolle, ob Lips jede Tonfolge des Stückes richtig interpretiert. Beide Spieler werden schließlich nach den gleichen Maßstäben bewertet.
Und wenn es beim Karaoke ein echtes Killerfeature gibt, ist es die Möglichkeit, jeden eigenen Song, unabhängig vom Geschmack der Entwickler und der Auswahl der Spiels, einbinden zu können. Je mehr ich von Lips sah, desto weiter rückte ich von meinem ersten Eindruck eines müden SingStar-Plagiats ab. Hochwertige Hardware, kombiniert mit ein paar witzigen Ideen zu den Bewegungssensoren, perfekte Partytauglichkeit auch für die tonlosesten Gesangeskünstler und die Aussicht, endlich meine ganz eigene Interpretation des Doors-Werks The End zum Besten zu geben. Mehr kann man hier nur schwer herausholen.
Lips erscheint für Xbox 360 Mitte November in den USA. Für Europa gibt es noch keinen Termin, hoffen wir, dass nicht zu viele Lizenzprobleme im Weg stehen.